6. METHODEN UND TECHNIKEN TIEFENPSYCHOLOGISCHER TRANSAKTIONSANALYSE

Leitvortrag auf der Fachtagung ‘Tage Tiefen-
psychologischer Transaktionsanalyse’
Kassel, September 1993

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Wir haben in den vergangenen Tagen viel über beziehungs­orientierte Transaktionsanalyse gesprochen und gehört. Be­reits das Programm dieser Tage hat es klar formuliert:

"Tiefenpsychologische Transaktionsanalyse ist beziehungso­ri­entiert."

Als ich vor einigen Monate daranging, mein Konzept für die­sen Leitvortrag unter der erwähnten Prämisse der Be­ziehungso­rientiertheit zu entwerfen, begann ich, mich zu fragen, ob das nicht ein Widerspruch in sich selbst sei - Techniken und Methoden der Beziehungsorientiertheit zu kon­zipie­ren.

Wie kann man mit Methoden und Techniken eine Beziehung auf­bauen und führen? Würden Sie an eine - egal welche soziale Beziehung herangehen und sich den Kopf über Metho­den und Techniken zerbrechen? Vermutlich nicht.

Aber andererseits, so dachte ich als Nächstes, warum in diesem Fall nicht? Warum wehre ich mich so dagegen? Schließ­lich geht es ja nicht um egal welche soziale Bezie­hung, sondern um eine professionelle mit dem Ziel der Ver­änderung und der Hei­lung, also eine zielge­rich­tete Bezie­hung. Und da muß es doch auch ein gewisses Repertoire an Methoden und Techniken geben.

 

Allmählich wurde mir klar, warum die Frage für mich so schwierig klang.

Der Grund dafür liegt wohl in meiner Geschichte mit psy­chotherapeutischer und insbesondere transaktionsana­lyti­scher Methodik und Technik, und damit auch in der Ge­schich­te der Transaktionsanalyse überhaupt. Und ich d ein Stück weit ist es auch die Geschichte von uns allen, die wir hier diese Fachtagung veranstal­ten.

Und da ein zentrales Axiom tiefenpsychologischen Denkens ja darin besteht, daß nur im Bewußtsein über und in der Bewältigung der eigenen Geschichte Neues entstehen kann, erlauben Sie mir einen kurzen historischen Abstecher.

Wir alle, die wir im Veranstalterverzeichnis dieser Tagung stehen, lernten die Transaktionsanalyse etwa Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre kennen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie - die TA - sich von dem, was der frühe Eric Ber­ne über Intuition, über soziale Beziehungen, über mensch­liche Kommunikation gedacht hatte (Berne 1961, 1991), weit weg hin zu einem hoch technisierten Apparat entwickelt. An die Stelle der tiefenpsychologischen und humanistisch-psy­cho­logischen Wurzeln der TA war ein merkwürdig schnellig­keits- und erfolgsorientiertes Gedankengut getreten.

Dieser große Wandel liegt wohl in der Widersprüchlichkeit der Person Bernes begründet; er wird von Menschen, die ihn gekannt haben, sehr unterschiedlich beschrieben (Cheney 1971, James 1977, Steiner 1982): zum einen als sehr freund­lich und liebenswert, zum anderen als schroff, zy­nisch und unnahbar. Ich denke, daß in den letzten Lebens­jahren Bernes diese Schroffheit wohl die Überhand gewann, nicht zuletzt unter dem Einfluß eini­ger seiner Schüler diesen Jahren trat immer mehr die Effektivität, Schnellig­keit und Machbarkeit der transakti­ons­analytischen Psycho­the­rapie in den Vordergrund. Berne'­sche Aussagen wie "Al­les Wesentliche geschieht in den er­sten drei Transaktio­nen", "Es kommt darauf an, einen Pati­enten in einer S zu heilen", "Der Therapeut muß zu jedem Zeitpunkt jeder Gruppensitzung alle wie immer gear­te­ten physischen Reak­tionen aller Gruppenmitglieder im Au­ge haben" führten meines Erachtens zu etwas, das ich die 'beziehungsfeind­liche Position' der Transaktionsanalyse nennen möchte. Pro­grammatisch für diese Zeit war der Titel des Buches von Bob und Mary Goulding "The Power is in the Pa­tient" (Goulding & Goulding 1978) - die Macht liegt beim Patienten. So scheinbar autonomiefördernd das auch klingt, so beziehungsfeindlich ist es letztlich doch, den/die Pa­tien­ten/in einfach auf sich selbst zurückzuwerfen und als TherapeutIn aus der Beziehung herauszunehmen.

Wir alle wuchsen also transaktionsanalytisch in dieser technologisch orientierten Phase auf. Wir lernten, schnel­le Verträge zu schließen, rasche Interventionen zu setzen, zu konfrontieren, Neuentscheidungen herbeizuführen (wenn möglich, innerhalb von 20 Minuten). Wir lernten, die Ver­än­de­rung in den Fokus zu stellen und dieser mythologisier­ten "Veränderung" alles andere unterzuordnen.

Die Aussagen von zwei Klienten zu diesem Thema ließen mich zum ersten Mal nachdenklich werden. Der eine war ein Mann, dem ich in der etwa zehnten Stunde wie immer, so, wie ich es von den Gouldings gelernt hatte, die Frage stellte: "Was wollen Sie heute ändern?" - die klassische Einlei­tungsfrage einer Therapiesitzung dieser Zeit schlechthin. Daraufhin verblüffte er mich mit der Antwort "Muß ich denn immer etwas verändern?"

Und kurz danach, als eine Frau zum Erstgespräch kam und von mir gleich eingangs mit der Frage "Was wollen Sie in ihrem Leben ändern?" konfrontiert wurde, gab Sie schlicht zur Antwort "Wenn ich das wüßte, würde ich nicht hier sitzen".

Solche und ähnliche Erfahrungen brachten mich allmählich zum Nachdenken - auch darüber, was denn mit mir in meiner Eigenerfahrung mit TA passierte und passiert war.

So oder ähnlich ging es wohl den meisten von uns, und das wachsende Unbehagen war es, das uns etwa gegen Mitte bis Ende der 80er Jahre so fasziniert sein ließ von den tiefenpsychologischen, beziehungsorientierten Möglich­kei­ten der Psychotherapie, über die damals in der Trans­akti­onsanalyse angefangen wurde zu diskutieren. Wir alle hat­ten unsere Geschichte des eher sorglosen, technologieori­en­tierten Umgangs mit Klienten, und vor allem hatte alle eine Geschichte des eher sorglosen, beziehungslosen und technologisierten Umgangs mit uns selbst in eigenthe­ra­peu­tischen Situationen.

So begannen wir, nach und nach Beziehung in den Vorder­grund zu stellen und die 'Technologie' tendenziell beisei­te zu lassen.

Als ich in meinen Überlegungen zu diesem Vortrag an diesem Punkt angelangt war, wurde mir klar, daß wir mit dieser  Hal­tung - "Lassen wir die Technik beiseite und gehe Beziehungen ein" - auch dabei waren, ein Stück unserer Ge­schichte und damit unserer Verletzungen zu verleugnen, ab­zu­wehren. Erst als ich bereit war, mich mit diesen abge­wehrten Verletzungen auseinanderzusetzen und meine eigene Geschichte mit TA anzunehmen, konnte ich Überlegungen an­stellen, was an dem sogenannten 'Technikkram' nützlich war, und wie sich das mit tiefenpsychologischen Konzepten verbinden lassen könnte.

Warum habe ich Ihnen diese Geschichte erzählt? Sie soll hier als ein Beispiel dafür dienen, worum es im gesamten Vorgang der tiefenpsychologisch orientierten transakti­onsanalytischen Psychotherapie geht: um die Auseinander­setzung mit der eigenen Geschichte, um ihr Annehmen und um ihre Bewältigung. Für diesen Vorgang hat die professio­nel­le heilende therapeutische Beziehung als Medium zu dienen, und in den Dienst dieses Vorgangs sind Methodik und Technik zu stellen.

Ich werde später noch auf die erzählte Parabel zurückkommen.

Jemand, der zur Psychotherapie kommt, hat Beziehungserfahrungen gemacht. Diese Beziehungserfahrungen waren in vieler Hinsicht nachteilig für diese Person, und in ihnen entwickelte er oder sie ein mehr oder weniger negatives Lebens- und Beziehungskonzept - das, was wir in TA das Skript nennen. So, wie ich in meiner Suche nach einem heilenden - und natÃ…rlich auch mich selbst heilenden - therapeutischen Verfahren meine verletzenden Beziehungserfahrungen mit der Transaktionsanalyse machte, so machte diese Person in ihrer Suche nach Kontakt ihre verletzenden Beziehungserfahrungen. So, wie ich trachtete, die Auseinandersetzung mit diesen Verletzungen zu vermeiden, indem ich

anfing, Teile meiner Geschichte mit TA zu verleugnen, indem ich eine Zeitlang alles über Bord zu werfen versuchte, was ich gelernt hatte, so vollzieht sich überhaupt die Entwicklung des Skripts: ein Mensch entwickelt Abwehrstrategien, um nicht mit schmerzlichen Gefühlen und schmerzlichen Erinnerungen in Kontakt zu kommen.

 

Konflikte, die durch ungesunde Beziehungserfahrungen entstehen, können nicht gesund verarbeitet werden - es müssen stattdessen psychische Abwerhmaßnahmen getroffen werden.  Diese zum Zeitpunkt der Entstehung notwendigen ungesunden Verarbeitungsstrategien bergen den Keim der späteren Störung in sich.

Lassen Sie uns kurz einen Blick darauf werfen, was dabei innerpsychisch, innerhalb der Persönlichkeit und des Ichs passiert und erlauben Sie mir dazu einen Exkurs in die transaktionsanalytische Ichpsychologie.

Eric Bernes fundamentaler Beitrag dazu ist die Theorie der Ich-Zustände (Berne 1961, 1991) - die Annahme, daß das Ich verschiedene Zustandsformen annehmen kann:

  • eine erwachsene Form, die sich unter Einbeziehung der Lebenserfahrung und des Einflusses anderer Personen mit dem Hier und Jetzt auseinandersetzt,
  • archaische Formen, in denen frühere, kindliche Arten zu sein, wiederbelebt werden
  • und von außen übernommene Formen, in denen Personen, die starken Einfluß auf uns hatten, vornehmlich unsere Eltern, wiedererstehen.

Diesen Ich-Zuständen legt Berne die sogenannten 'psychischen Organe' zugrunde:

  • die Archäopsyche, in der wie in einem großen Behälter all das gespeichert ist, was wir früher erlebt, erfahren und gelernt haben,
  • die Exteropsyche, der Behälter, in dem all die Einflüsse äußerer Personen auf uns aufbewahrt werden,
  • und schließlich die Neopsyche, die Gegenwärtiges mit den in beiden Speichern vorhandenen und erreichbaren Informationen verbindet und, so gut es ihr möglich ist, angemessen im Hier und Jetzt agiert und reagiert, denkt, fühlt und handelt (vgl. dazu Gurtner/Rath/Sejkora/Springer 1993).

In traumatischen Konfliktsituationen kann es aber - je früher im Leben eines Menschen, desto massiver - sein, daß die Neopsyche mit der gesunden Lösung dieses Konfliktes überfordert ist. Dafür kann es mehrere Ursachen geben: es kann sein, daß die Neopsyche aufgrund des geringen Lebensalters noch nicht genügend entwickelt für die Lösung eines solchen Konfliktes ist. Es kann sein, daß sie nicht genügend Unterstützung von außen hat und zu sehr auf sich selbst angewiesen ist. Es kann sein, daß noch nicht genügend oder nicht genügend zugängliche Informationen in Archäo- und Exteropsyche vorhanden sind, und es kann sein, daß die Neopsyche aufgrund schon vorhergegangener, unbewältigter Konflikte bereits beschädigt ist.

Aufgrund dieser Umstände kann die Neopsyche also im entstehenden Konflikt nicht genügend integrieren, modifizieren und differenzieren, um das gegenwärtige Geschehen in Verbindung mit früheren Erfahrungen und äußeren Einflüssen zu einer gesunden Lösung zu bringen. Sie muß daher andere, ungesunde Konfliktlösungen finden - und diese findet sie in Form der Abwehr, des Verdrängens, Vergessens, Unterdrückens der mit dem Konflikt verbundenen schmerzlichen und angstvollen Gefühle und Erinnerungen.

Sie erinnern sich an meine Erzählung: Plötzlich - als die Tiefenpsychologie in der Transaktionsanalyse auftauchte - wollte ich alles bisher Gelernte verwerfen und am liebsten nichts mehr davon wissen: um die Gefühle und Erinnerungen an meine schmerzvollen Erfahrungen verdrängen zu können.

Abwehrvorgänge geschehen nicht ohne Langzeitfolgen für die Psyche. Sie bewirken, daß an entscheidenden Punkten der Persönlichkeitsentwicklung Stillstand eintritt: die abgewehrte Erinnerung wird innerlich als Kindheits-Ich-Zustand fixiert und kann nicht auf gesunde Weise integriert werden. Sie ist in Zukunft dem  Zugriff der Neopsyche entzogen, d.h. sie kann nicht gesund für spätere Ereignisse verwertet werden . Ebenso wird die Erinnerung an die als bedrohlich erlebte Elternperson nicht sinnvoll in die Exteropsyche eingebaut (sinnvoll heißt in diesem Zusammenhang später wieder verwertbar), sondern als starrer Eltern-Ich-Zustand einverleibt, mit dem Fachwort 'introjiziert'.

Das - dieser punktuelle Entwicklungsstillstand - aber  mindert wiederum die weitere Fähigkeit der Neopsyche, künftige Konflikte sinnvoll zu lösen und erhöht die Wahrscheinlichkeit neuer Abwehrvorgänge, neuer Fixierungen, neuer Introjektionen.

Das alles formt sich allmhlich zu dem komplexen, diffizilen, autonomiebeschr„nkenden Gebilde, das wir in der Terminologie der TA 'Skript' nennen.

Wenn wir wieder zu meinem Beispiel zurückgehen: Die Abwehr der Erinnerung an die Verletzungen mit der 'technologieorientierten' TA verminderte die Fähigkeit, neue, in diesem Fall tiefenpsychologische Ideen auf gesunde Weise zu integrieren. Das Neue mußte wieder so idealisiert werden, wie es seinerzeit die TA wurde. Und da nichts auf der Welt ideal ist, auch nicht im Bereich der Psychotherapieschulen,  beinhaltet das wieder neu die Gefahr von Enttäuschung und Verletzung - die dann wieder abgewehrt werden mußte. Statt daß eine gesunde Neopsyche das Sinnvolle am Neuen übernehmen und mit Sinnvollem am Alten kombinieren würde, wird das sehnsüchtige, idealisierende fixierte innere Kind reaktiviert.

So weit, so kompliziert.

Lassen Sie mich nun, nachdem ich Ihre Aufmerksamkeit mit diesem Exkurs lange genug strapaziert habe, zu meinen Schlußfolgerungen für den therapeutischen Prozeß und den Implikationen für Methodik und Technik kommen.

Ich brauche nicht mehr ausführlich darauf einzugehen, daß und warum es notwendig ist, eine Übertragungs- Gegenübertragungsbeziehung einzugehen - darüber ist in den vergangenen Tagen viel gesprochen worden. Hier nur so viel:

Um das Skript des/r Klienten/in sichtbar werden zu lassen, muß eine Beziehung aufgebaut werden, die es ermöglicht, die Übertragung in ihrer ganzen Intensität zu entfalten, in all ihrer vermischenden Idealisierung und all ihrer abgrenzenden Verdammung. Erst wenn dieses ungeheure Gesamtkunstwerk der persönlichen Abwehr dasteht, wenn die fixierten Kindheits- und introjizierten Eltern-Ich-Zustände sowie die Beschädigungen der Neopsyche sichtbar werden, dann wird es möglich, skriptanalytisch in die Geschichte des/r Klienten/in  vorzudringen, um so die nötigen Heilungsschritte einzuleiten.

 

Daher ist die erste Frage zu Technik und Methodik: Wie wird der Aufbau einer solchen Beziehung ermöglicht?

Meiner Ansicht nach unterscheidet sich Technik und Methodik tiefenspychologisch orientierter Transaktionsanalyse an diesem Punkt ziemlich deutlich von der orthodoxen Psychoanalyse. Während der klassische Analytiker nach außen hin nichts Spezielles tut, um die Übertragungsbeziehung besonders zu fördern (Vgl. Greenson 1973, Mertens 1990, 1992), sondern sie durch die Haltung der Abstinenz entstehen läßt, trete ich für eine bewußte Unterstützung der Entwicklung dieser Beziehung ein (Sejkora 1989, 1991, 1992, 1993). Ich halte es für bedeutsam, von Anfang an zwar behutsam, aber doch deutlich aktiv in die Beziehung einzutreten.

Der/die KlientIn streckt von Beginn an gewissermaßen seine Fühler nach einem geeigneten Objekt für seine Projektionen aus; als TherapeutIn erleichtern und ermöglichen wir ihm das, indem wir Interesse, Einfühlungsvermögen und Akzeptanz zeigen. Die Grundhaltung für den Aufbau der Übertragungsbeziehung läßt sich am ehesten mit den drei Charakteristika beschreiben, die Carl Rogers für die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie entwickelt hat (Rogers 1974):

 

  • Kongruenz oder Echtheit des Therapeuten,
  • grundsätzliches Verstehen und Akzeptanz,
  • Einfühlsamkeit oder Empathie.

Von dieser Grundeinstellung aus halte ich in dieser Phase vieles für sinnvoll und verwertbar, was wir vom technischen Apparat der von Berne konzipierten Transaktionsanalyse vorrätig haben. Hierzu gehören vor allem die berühmten acht Grund-Interventionstechniken von Berne (Berne 1966): Befragen, Spezifizieren, Konfrontieren, Erklären, Illustrieren, Bekräftigen, Interpretieren und Kristallisieren. Diese Techniken dienen primär der Enttrübung, der in diesem Abschnitt eine wesentliche beziehungsfördernde Funktion zukommt (vgl. Loomis/Landsman 1985). Auch soziale Verträge zu eingeschränkten Themenbereichen sind hier förderlich (vgl. Stewart/Joines 1990)- wenn man im Auge behält, daß sie nur untergeordnete Funktion im Gesamtprozeß der Therapie haben und nicht zum Hauptstrang der therapeutischen Bemühungen werden dürfen.

 

Oft bedeutet es eine starke Verlockung für den Narzißmus des/r Therapeuten/in, gleich am Anfang wirkungsvoll und effektiv dazustehen und sich so möglichst Bewunderung und Idealisierung des/r Klienten/in zu verschaffen. Das würde aber bedeuten, daß wir uns dem/r Klienten/in als eine bestimmte, uns angenehme Art von Übertragungsobjekt anbieten - er/sie muß aber die Zeit haben, in uns das Übertragungsobjekt zu finden, das er/sie für sich braucht.

Der Aufbau der Beziehung kann sehr unterschiedlich lange dauern, je nach Art der Störung des Klienten auch mehrere Jahre. Oft - bei schwereren Störungen - ist es ratsam, das Tempo der Übertragung zu bremsen, bei neurotischer Problematik auf der anderen Seite sind oft Wege nötig, die Übertragung zu intensivieren.

Soviel in der hier gebtenen Kürze zur ersten Aufgabe der Methodik, der des Aufbaus der Übertragungs- Gegenübertragungsbeziehung.

Wie gesagt: in dieser Beziehung entfaltet sich das Skript des/r Klienten/in, er/sie lebt es mit dem/r Therapeuten/in aus. Dabei werden Fixierungen, Introjektionen und Beschädigungen des neopsychischen Funktionierens sichtbar. Daher treten dann methodisch-technisch zwei Gesichtspunkte in den Vordergrund:

 

  • das Lockern der Abwehr zum Durcharbeiten und Auflösen von Fixierungen und Introjektionen
  • und die Stärkung und Nachentwicklung der neopsychischen Fähigkeiten.

Der erste Punkt - Lockern der Abwehr zum Durcharbeiten und Auflösen von Fixierungen und Introjektionen - ist so zu verstehen, daß die alte Entscheidung zum Aufbau der Abwehr aufgegeben werden und so die damals nicht fühlbaren Gefühle allmählich wieder auftauchen können. In diesem Prozeß werden die verschütteten Erinnerungen bewußt, und die Gefühle darüber, wie schlimm diese Erfahrungen waren, können durchlebt werden. Dabei wird Schritt für Schritt die Übertragung vom Therapeuten gelöst, und es treten die Personen in den Vordergrund, mit denen tatsächlich die Dinge erlebt wurden, die auf den Therapeuten projiziert werden.

Technisch ist es dabei nicht notwendig, nach bestimmten traumatischen 'Szenen' zu suchen, wie das etwa in der traditionellen Neuentscheidungsarbeit getan wird (Goulding & Goulding 1981). Einerseits geht meistens die reale Traumatisierung und Skriptentwicklung nicht punktuell, sondern Stück für Stück an Hunderten und Tausenden von ähnlichen Ereignissen und Erfahrungen vor sich - weniger ein einzelnes Ereignis, als vielmehr die ganze Beziehung zu den Eltern wird zum Trauma (Müller-Pozzi 1984). Und andererseits tauchen im Durcharbeiten der Übertragung die vielfältigsten Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle fast 'von selbst' auf - dank der in der intensiven Beziehung zum Therapeuten gelockerten Abwehr.

Was bedeutet 'Durcharbeiten der šbertragung'? Indem der/ die Therapeut/in mit dem/r Klienten/in sorgfältig analysiert, was er/sie mit uns (oder z.B. anderen Mitgliedern der Therapiegruppe, vgl. Sejkora 1993) wiederholt, indem wir ihn/sie auf die ungestillte Sehnsucht dahinter hinweisen, kann er/sie in Kontakt damit kommen, wie er/sie es schon ein Leben lang - vergeblich - immer wieder gleich versucht.

 

Dabei erkennt er/sie Stück für Stück, daß es nicht um den/ die Therapeuten/in (die anderen Gruppenmitglieder) geht, sondern um die Mutter/den Vater usw. dahinter.

Mit dieser Arbeit am Durcharbeiten der Fixierungen einher geht die Arbeit an der Auflösung der Introjektionen. Die Transaktionsanalyse hat dafür eine spezifische Technik, die Arbeit mit dem Eltern-Ich-Zustand, den verinnerlichten Eltern, entwickelt (McNeel 1976, Mellor/Andrewartha 1980, Sejkora 1989, Erskine/Moursund 1991, Christoph-Lemke 1991; auch dieses Thema ist bereits ausführlich auf dieser Fachtagung behandelt worden). Dadurch können die inneren Botschaften unterbrochen und die Fixierung des Kindes nachhaltig gelöst werden.

Um auf meine Geschichte mit TA und der Tiefenpsychologie zurückzukommen: indem ich erkannte, welche Wünsche ich auf die neuen, beziehungsorientierten Ideen projizierte, wurde es mir möglich, wahrzunehmen, was sich dahinter verbarg - der Wunsch, die Verletzungen, die ich vorher erlebt hatte, vergessen zu können. Im Bewußtwerden dieser Tatsache und indem ich dabei mit den entsprechenden Gefühlen in Kontakt kam und im Austausch darüber mit Kollegen, denen es ähnlich erging und ergangen war, lösten sich die fixierten Abwehrhaltungen.

Mit diesen Schritten - dem Lösen und Durcharbeiten von Fixierungen und Introjektionen - wird die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die Integration dessen, was damals passiert ist, in die Neopsyche vor sich gehen und gesunde Bewältigung der bisher unbewältigten Konflikte geschehen kann. Dazu ist aber noch ein wesentlicher Punkt notwendig, den ich in diesem Referat zentral darstellen möchte, weil ich denke, daß er in der bisherigen Diskussion weniger Rolle gespielt hat: die Stärkung der Neopsyche und die technisch-methodische Seite dieses Vorganges.

Wir haben gesehen, daß die Entstehung des destruktiven Skripts aus Abwehrvorgängen besteht, die wesentlich aus kreativen, sinnvollen Leistungen der kindlichen Neopsyche auf ihrem aktuellen Funktionsstand, bedingt durch Entwicklungsalter und eventuelle vorhergegangene Beschädigungen, bestehen. Wir mÃ…ssen uns also therapeutisch an dieses frühe, unreife, beschädigte Erwachsenen-Ich des Kindes wenden und ihm helfen, sich nach- und weiterzuentwickeln.

Eric Berne hat in seinen Büchern und Artikeln viel vom Erreichen und Stärken des Erwachsenen-Ichs gesprochen (Berne 1961, 1966, 1970). Das wurde oft mißverstanden als ein Ansprechen der Neopsyche des Menschen auf dem Stand von, sagen wir, 35 oder 40 Jahren, den wir physisch als Klienten/ in vor uns haben. Es nutzt jedoch oft wenig, an die neopsychische Logik von 35 oder 40 zu appellieren oder mit dieser zu konfrontieren, wenn wir es mit der neopsychischen Logik eines, sagen wir, dreijährigen Kindes zu tun haben.

Dort müssen wir ansetzen, dort muß Heilung und Nachreifung der beschädigten Ich-Strukturen erfolgen. Wenn wir begreifen, daß die Skriptentscheidungen für einen Dreijährigen logisch Sinn machten und die Neopsyche an den beschädigten Punkten keine Gelegenheit hatte, weiterzuwachsen, dann wird klar, daß wir uns zuerst mit dieser dreijährigen Neopsyche auseinandersetzen müssen.

Lassen Sie mich als Beispiel einen Mann nehmen, der auf seine Frau krankhaft eifersüchtig ist und sie auf Schritt und Tritt kontrollieren will. Wir können an den schmerzhaften Erfahrungen dieses Mannes mit seiner Mutter arbeiten, die ihn im Stich ließ, sobald er ihr den Rücken kehrte. Wir können ihn mit der heutigen Realität konfrontieren, daß seine Frau ihn nicht im geringsten verläßt - oder daß, wenn sie es wollte, er sie ja doch nicht ständig kontrollieren und vor allem nicht durch Kontrolle festhalten könnte. Bestenfalls wird er uns sagen: "Vom Verstand her kapiere ich das ja, aber mein Gefühl ist anders." Aber es ist nicht nur das Gefühl, es ist auch der Verstand, der ihm seine Eifersucht und Kontrolle sinnvoll erscheinen lassen - aber eben der Verstand eines Dreijährigen, der tatsächlich die Gefahr des Verlassen- und Betrogenwerdens verringern konnte, indem er seine Mutter durch Kontrolle tyrannisierte. Mit diesem frühen Verstand, dieser frühen Logik müssen wir uns auseinandersetzen.

Als ich diesem Mann - denn es geht hier um ein konkretes, erlebtes Beispiel - die übertragungsintensive Zusicherung gab: "Egal, ob Ihre Frau Sie verläßt und betrügt oder nicht, zu mir können Sie kommen, solange Sie wollen", gab er zur Antwort: "Ja, das glaube ich Ihnen. Schließlich zahle ich Sie ja dafür." Auf der Ebene von 35 Jahren wäre so eine Äußerung vielleicht als Zurückweisung eines Beziehungsangebotes zu verstehen gewesen. Für die Logik eines Dreijährigen, und der war da ja auch angesprochen, ist sie bestechend klar und schlüssig. In einem Alter, wo handfeste Beweise für das Nicht- Verlassen, das Bleiben gefordert sind, und Dinge wie Vertrauen, Hingabe, Einlassen noch nicht fester Bestandteil neopsychischen Funktionierens sein können, muß eben zuerst Handfestes passieren, damit höhere Stufen der Erwachsenen-Ich-Fähigkeiten und der Persönlichkeitsstruktur erreicht werden können.

 

Erst als ich - um auf das Beispiel vom Anfang zurückzukommen - die innere Logik meines Herangehens an die TA-Ausbildung begreifen konnte, nämlich die innere Logik des Wunsches nach einer Quasi-Liebesbeziehung, eine Logik, die in meinem damaligen Leben viel Sinn machte, wurde mir eine andere Umgangsweise mit diesem verletzenden Teil meiner Geschichte möglich. Damit konnte ich innerlich 'weiterwachsen' und meinen Umgang mit anderen Psychotherapie-Inhalten verändern.

Was ist technisch-methodisch für diesen zentralen Teil der therapeutischen Arbeit notwendig? Eine genaue Kenntnis entwicklungspsychologischer Vorgänge, und vor allem der altersgemäßen logischen Denkvorgänge auf entsprechenden entwicklungspsychologischen Stufen. Es würde allerdings hier zu weit führen, eingehend darzulegen, wie und an welchen Charakteristika neopsychische Defizite auf welchen Entwicklungsstufen zu erkennen sind, und wie damit umzugehen ist.

Ich denke auch, daß hier ein wesentliches Merkmal beziehungsorientierten Technik- und Methodikverständnisses in Abgrenzung zu technologieorientierten Sichtweisen deutlich wird: Es ist nicht gut möglich, für beziehungsorientiertes therapeutischen Vorgehen einen Katalog 'was ist wann, wo, bei wem zu tun oder zu lassen' anzulegen. Wichtig ist ein grundlegendes Verständnis der krankmachenden und damit der heilenden innerpsychischen Vorgänge. Technik und Methodik sind im spezifischen Einzelfall den spezifischen Umständen anzupassen und können daher nur grob umrissen werden.

 

Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf einen vierten Punkt von Methodik und Technik zu sprechen kommen - die Integrationsarbeit.

Wenn wir die ersten drei Punkte erfolgreich hinter uns gebracht haben - den Aufbau der Beziehung, das Durcharbeiten und Auflösen von Fixierungen und Interjektionen und die Reparation der beschädigten neopsychischen Strukturen - dann wird die heutige, tatsächlich erwachsene Neopsyche nachreifen und mehr und mehr funktionsfähig werden können. Dann kann das, was passiert ist, was Teil der Lebensgeschichte ist, ins volle Bewußtsein integriert und für die Zukunft nutzbar gemacht werden. So wie in meinem Beispiel: dann kann man überlegen, was man aus der gelernten, traditionellen Transaktionsanalyse übernimmt und mit tiefenpsychologischen Ansätzen verbindet - und was man davon verwirft.

Beim Integrationsprozeß kommt dem/r Therapeuten/in eher die Rolle eines Begleiters und Freundes zu. Der/die Klient/in berichtet seine/ihre Erfahrungen in der Alltagsrealität mit dem Umsetzen des Neugelernten, und gemeinsam wird dabei analysiert, welche Erfahrungen der/die Klient/ in dabei gemacht hat und wie damit weiterhin umzugehen ist. Technisch wird dabei meist so vorgegangen, daß die Abstände zwischen den Therapiesitzungen vergrößert werden, um dem/der Klienten/in Zeit zu lassen, Erfahrungen zu sammeln, über die in den Stunden dann gesprochen werden kann.

 

Entscheidender Gradmesser dessen, wie sehr der/die Klient/ in imstande ist, als erwachsene Person zu funktionieren, ist, wie er/sie sich mit der Tatsache der Trennung vom/ von der Therapeuten/in auseinandersetzt und diesen Abschiedsprozeß bewältigt.

Erst nach der Integrationsphase kann der therapeutische Prozeß zu einem sinnvollen Abschluß gebracht werden - dann ist an die Stelle der Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung die reale Beziehung zwischen zwei in ihren Ich-Strukturen funktionsfähigen erwachsenen Menschen getreten.

 

Literatur:

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  • BERNE, E.: Principles of Group Treatment. New York, 1966
  • BERNE, E.: Was sagen Sie, nachdem Sie Guten Tag gesagt haben? Fischer tb 1973
  • BERNE, E.: Transaktionsanalyse der Intuition. Ein Beitrag zur Ich-Psychologie. Paderborn, 1991.
  • CHENEY,W.D.: Eric Berne: Biographical Sketch. 1971. In: Volume of Selected Articles from the Transactional Analysis    Journal, 1971-1980
  • CHRISTOPH-LEMKE, Ch.: Therapie mit den inneren Eltern.In: SELL, M. (Hrsg.): Geschichte und Transaktionsanalyse.       Symposium 10 Jahre INITA, Hannover 1991
  • ERSKINE,R.G./MOURSUND,J.: Kontakt, Ich-Zustände, Lebensplan. Paderborn 1991
  • GOULDING,M./GOULDING,R.: The Power is in the Patient. A TA/Gestalt Approach to Psychotherapy. San Francisco        1978
  • GOULDING,M./GOULDING,R.: Neuentscheidung. Stuttgart 1981
  • GURTNER, M./RATH,I./SEJKORA,K./SPRINGER,G.: Transaktionsanalytische Psychotherapie. Salzburg,1993 (unveröff.)
  • GREENSON,R.R.: Technik und Praxis der Psychoanalyse. Stuttgart 1973
  • JAMES,M.:Eric Berne, the Development of TA, and the ITAA. In: James,M.: Techniques in Transactional Analysis,            Reading 1977
  • LOOMIS, E./LANDSMAN, S.G.: Manisch-depressive Struktur: Möglichkeiten der Behandlung. In:Zeitschrift für TA,Jg2,      1985
  • McNEEl, J.: The Parent Interview. In: Selected Articles from the TAJ 71-80
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  • MERTENS, W.: Einführung in die psychoanalytische Therapie, Bd. 2. Stuttgart-Berlin-Köln 1992
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  • MÜLLER-POZZI, H.: Trauma und Neurose. In: BERNA-GLANTZ, R./DREYFUS, P.(Hrsg.): Trauma - Konflikt         Deckerinnerung. Stuttgart 1984
  • ROGERS,C.: Encounter-Gruppen. München 1974
  • SEJKORA, K.: Männer unter Druck. Wege aus typisch männlichen Lebenskonflikten. Salzburg 1989
  • SEJKORA, K.: Therapieverlauf, Therapieplanung und therapeutische Beziehung. In: SELL, M. (Hrsg.):Geschichte und     Transaktionsanalyse. Symposium 10 Jahre INITA, Hannover 1991
  • SEJKORA, K.: Diagnose von Ich-Zuständen in der therapeutischen Beziehung. Workshop am 13.Kongreß der DGTA,     Mainz 1992 (unveröff.)
  • SEJKORA, K.: Beziehungsorientierte transaktionsanalytische Gruppenpsychotherapie. Workshop am Kongreß der         deutschsprachigen Gesellschaften für Transaktionsanalyse, Lindau 1993 (unveröff.)
  • STEINER,C.: Wie man Lebenspläne verändert. Die Arbeit mit Skripts in der Transaktionsanalyse. Paderborn 1982
  • STEWART,I./JOINES,V.: Die Transaktionsanalyse. Freiburg-Basel-Wien 1990

 

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