7. PHASEN BEZIEHUNGSORIENTIERTER TEAMSUPERVISION

Workshop auf der Fachtagung
'Paradigmenwechsel in der Supervision'
Hannover, September 1994

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In einer österreichischen Tageszeitung fand sich kürzlich unter der Überschrift "Supervision gegen den Frust der Lehrer" folgende Notiz:

Ab Herbst will das Unterrichtsministerium den Lehrern aller Schulen vermehrt Supervision anbieten - als "Geheimwaffe" gegen Lehrerfrust, Motivationslosigkeit und den Trend zur Frühpension. Supervision heißt in diesem Fall berufsbegleitende pädagogische Praxisberatung, die dem Betroffenen vor allem helfen soll, mit Problemkindern im Schulalltag besser zurechtzukommen. "Das ist keine Psychotherapie sondern liefert Ratschläge für den richtigen Umgang mit Schülern" so (...) der Leiter der Schulpsychologie.

 

(...)Der Schulpsychologe betont, daß Supervision auch die Kommunikationsfähigkeit fördere, Lösungshilfe bei zwischenmenschlichen Problemen biete und die Teamarbeit verbessere. Der Lehrer müsse dabei weder auf die Couch, noch sein Seelenleben offenlegen. Vielmehr würden in der Gruppe unter der Leitung speziell geschulter Fachleute konkrete Probleme aus dem Schulalltag diskutiert und nach Lösungsansätzen gesucht. (Der Standard 5.7.1994)

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. In diesem Vortrag werde ich zeigen, wie beziehungsorientierte Teamsupervision sich in einem komplexen Geflecht zwischen objektiven Problemen, subjektiver Lösungsunfähigkeit, Gruppenprozeß, hierarchischen Strukturen und persönlicher Beziehungsschwierigkeit bewegt. Das erwähnte Zitat habe ich auch deshalb vorangestellt, weil ich diesen Prozeß am Beispiel einer Supervisionsgruppe von Lehrern und Lehrerinnen einer Höheren Schule darstellen werde; in seinen Grundzügen läßt sich dieser Prozeß aber auch bei jedem anderen Team in der Supervision, unabhängig von der Art der Arbeit, mit der dieses Team beschäftigt ist, beobachten.

Es gibt landläufig drei grundsätzliche Fehlannahmen über Supervision. Die eine ist bereits in der Zeitungsnotiz deutlich geworden: Supervision ist ausschließlich "handfest" "problemorientiert, gibt Ratschläge zur Lösung und hat mit dem Seelenleben nicht das Geringste zu tun. Die Persönlichkeit der SupervisandInnen spielt keine besondere Rolle.

Die zweite Fehlannahme bedeutet das genau entgegengesetzte Extrem und wird oft von Supervisoren und SupervisorInnen praktiziert, die keine andere außer ihrer psychotherapeutischen Ausbildung mitbringen: Supervision ist im Grunde nichts anderes als eine - vielleicht etwas modifizierte - Form der Psychotherapie, die Schwierigkeiten, die am Arbeitsplatz auftauchen, haben primär mit der gestörten Persönlichkeit der SupervisandInnen zu tun, eine Supervisionsgruppe schaut daher nicht viel anderes aus als eine Psychotherapiegruppe.

Die dritte Fehlannahme kommt meistens von SupervisorInnen aus dem organisatiorischen Bereich: das, was bei Supervision wirklich zählt, ist die Um- oder Neustrukturierung der jeweiligen Organisation.

In der folgenden Graphik wird dargestellt, wie Teamsupervision sich an einer Schnittstelle zwischen lösungsorientierter Beratungstätigkeit, individueller Psychotherapie, gruppendynamischem Prozeß und Organisationsentwicklung bewegt. Alle diese Bereiche überschneiden sich mit der Teamsupervision, dennoch stellt diese mehr als ein Konglomerat oder den kleinsten gemeinsamen Nenner aus diesen vier Bereichen dar, sondern darüber hinaus etwas spezifisch Eigenständiges.

Alle diese vier Bereiche spiegeln gleichzeitig bestimmte Phasen des Teamsuper-visionsprozesses wider, in denen der Fokus jeweils auf einem der genannten Punkte liegt. Die Kunst dabei ist es, zu vermeiden, daß die Supervisionsgruppe an einem dieser Punkte, bei einem dieser Bereiche "hängenbleibt". Die Aufgabe des Supervisors/der Supervisorin ist es, durch seine/ihre Interventionen für eine Weiterentwicklung der Gruppe zu sorgen, mit dem Ziel, schließlich strukturelle und personelle Verbesserungen und Veränderungen der Arbeitssituation herbeizuführen und die Kooperationsfähigkeit des Teams zu steigern bzw. herzustellen.

Doch zuvor noch einige Ausführungen zu dem Schlagwort "beziehungsorientiert". Dieser Begriff kommt ursprünglich aus der Psychotherapie, genauer gesagt aus der tiefenpsychologisch orientierten transaktionsanalytischen Psychotherapie (Literaturzitate). Die Grundannahme dabei ist, daß Störungen der menschlichen Persönlichkeit und Störungen der menschlichen Kommunikation ihren Ursprung in frühen Störungen bzw. Unterbrechungen der Beziehung zu den Eltern haben. Aufgrund dieser Beziehungs-, Kontaktunterbrechungen entwickelt ein Mensch bestimmte Strategien, um diese Unterbrechungen zu überbrücken und um die im Zusammenhang mit diesen Traumatisierungen entstehenden schmerzlichen und bedrohlichen Gefühle abzuwehren. Nur in einer neuen, heilenden - der therapeutischen - Beziehung ist es möglich, den Kontakt an diesen unterbrochenen Stellen wieder herzustellen und so Heilung und gesunde Weiterentwicklung zu ermöglichen.

 

Menschen leben ihre Abwehrstrategien und die durch die erwähnten Traumatisierungen gelernten Beziehungsmuster in ihrem Skript weiter und weiter aus. Der Mechanismus, mit dem die ursprünglichen Erfahrungen des schmerzlichen Kontaktabbruchs immer wieder durchgespielt werden, heißt Übertragung. In dem die alte negative Beziehungserfahrung auf einen anderen Menschen in der Gegenwart übertragen wird, ist es möglich die Erinnerung an früher und die damit verbundenen schmerzlichen, angstvollen, bedrohlichen und wütenden Gefühle abzuwehren. Indem ich mit einem Menschen in der Gegenwart dieselben ungelösten Konflikte durchspiele, die ich mit einer wichtigen Bezugsperson in der Vergangenheit hatte - natürlich in der unbewußten oder vorbewußten Hoffnung es könnte diesmal endlich gutgehen - muß ich mich nicht mit dem auseinandersetzen, was früher war. Diese Übertragung bietet gleichzeitig einen ausgezeichneten Zugang zu dem, was in der Lebensgeschichte des Menschen passierte und was abgewehrt werden soll. Das passiert natürlich in Gruppen, und potenziert sich in einer Art gruppendynamischem Effekt (Sejkora 1993): Die Teilnehmer ergänzen und bestärken sich gegenseitig in ihrem Skript und es kommt dadurch zur Entwicklung von einer Art "Gruppenskript".

Das selbe Phänomen können wir in Organisationen, und damit auch in Arbeitsteams, beobachten. Es entwickeln sich bestimmte Organisations- oder Institutionsskripts (Literaturhinweise). Im supervisorischen Geschehen haben wir es mit einer Vielfalt an Übertragungssituationen zu tun: Der/Die SupervisandIn überträgt auf den/die SupervisorIn, auf andere Gruppenmitglieder, auf die Menschen, mit denen er/sie beruflich zu tun hat, auf die Supervisionsgruppe, das Team als Ganzes, auf die Institution als Ganzes und auf die Personen, die die Institution repräsentieren.

Vor uns haben wir also ein komplexes und kompliziertes Geflecht, das insgesamt zu tun hat mit der Vermeidung von realem Kontakt und realer Beziehung. Der/die SupervisorIn muß also auf den verschiedenen Ebenen diese Geflechts und auf ihren Schnittstellen intervenieren, indem er/sie in die Beziehung mit den Einzelpersonen, mit der Gruppe und mit der Institution hineingeht, dadurch hilft, die Abwehrstrategien zu verringern.

 

Wir begegnen also als SupervisorInnen in der Arbeit mit Teams einer dreifachen Dynamik:

  • dem persönlichen Skript (als einer Verknüpfung der individuellen Abwehrvorgänge und -strategien) der Individuen in dem Team,
  • mit dem Gruppenskript der spezifischen Gruppe (als die Verbindung und gegenseitige Verstärkung und Unterstützung der individuellen Skripts der Teilnehmer),
  • und mit dem Skript der Institution/Organisation, in 8der das Team tätig ist (als die institutionalisierte Verknüpfung von Abwehrstrategien mit bestimmten kulturellen und soziologischen Komponenten, die mit Inhalt und Zielrichtung der betreffenden Institution zusammenhängen).

Ich möchte diesen theoretischen Ansatz näher erläutern am Modell des Racket- oder Skriptsystems von Erskine und Zalcman (..), dessen Anwendung auf Gruppendynamik ich bereits an anderer Stelle demonstriert habe (Sejkora 1993). (Abb. 3)

 

Das Racket- oder Skriptsystem ist nach der Definition ein sich selbst verstärkendes, verzerr­tes System aus Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen, das von skriptgebundenen Personen aufrechterhalten wird. Es besteht aus Skriptglaubenssätzen und Gefühlen, aus dem aktuellen Verhalten und den verstärkenden Erinnerungen und Erfahrungen.

n der mittleren Spalte des Skriptsystems haben wir das sogenannte Display, also das, was - wie zum Beispiel bei einer elektronischen Schreibmaschine - im Hier und Jetzt sichtbar wird: das Verhalten, die aktuellen Gefühle, das körperliche Empfinden und die Fantasien.

In der linken Spalte des Skript­systems, der sogenannten Skriptspalte, finden wir die Skriptglaubenssätze über sich selbst, über die anderen und über die Welt. Zugleich finden wir hier die abgewehrten Gefühle, das heißt die Gefühle, die die ursprüngliche Skriptentscheidung begleiteten bzw. die mit der ursprünglichen Skriptentscheidung abgewehrt wur­den.

In der dritten Spalte des Skriptsystems findet sich das, was "verstärkende Erfah­rungen und Erinnerungen" genannt wird: das funktioniert wie ein innerer Speicher.  Dieser Speicher wirkt wieder zurück auf die erste Spalte - die Glaubenssätze. Die eben gemachte verstärkende Erfahrung und der innere Kontakt mit früheren ähnlichen Erfahrungen bestätigen, daß alles immer so bleiben muß, wie es war, und daß es schon richtig ist, die entsprechenden Gefühle abzuwehren.

 

Holtby (1979), Erskine (1982) und ich selbst (Sejkora 1990) haben weiter ausgear­beitet, wie die Skriptsysteme verschiedener Personen ineinandergreifen und sich wechselseitig ergänzen und verstärken können: das, was die eine Person (z.B. bei einem Paar) an sichtbarem Verhalten im Display ausspielt, paßt genau zu den früheren Erfahrungen des anderen und kann als Bestätigung für die Skriptglau­benssätze im Erinne­rungsspeicher "einsortiert werden

Das Konzept der ineinandergreifenden Skriptsysteme läßt sich unschwer auf die Dynamik in Gruppen ausweiten (Sejkora 1993): jede/r Teilnehmer/in erlebt das Display jedes/r anderen Teilneh­mers/in im Übertragungskontext heißt, als Verstärkung und Bestätigung seiner/ihrer bisherigen Erfahrungen und  Skriptglaubenssätze; das hilft ihm/ihr, seine/ihre Abwehr der ursprünglichen Gefühle aufrechtzuerhalten. Umgekehrt reagiert und agiert jede/r Teilnehmer/in in seinem/ihrem Display (offenkundige Gefühle, Verhalten, Phantasien) auf jede/n andere/n und natürlich auch auf den/die Therapeu­ten/in.

Ich habe diese komplizierte Gruppen-Übertragungsvernetzung in einem Diagramm aufgezeichnet, das der Einfachheit halber von nur vier Teilnehmern ausgeht.

Man kann nun das Diagramm dieses "Supervisionsgruppen­skript­systems" noch ergänzen durch eine weitere Komponente, die jenseits der Dynamik der Einzelpersonen liegt und etwas zu tun hat mit der Dynamik und dem Skript der betreffenden Gruppe.

Ich möchte das darstellen als eine Art übergeordnetes Skriptsystem, das die Verhaltensweisen, verstärkenden Strategien und kollektiven Abwehrmechanismen der Gruppe als Ganzes einschließt. Dieses umfaßt

  • auf der linken, der Skript-Seite, die (unhinterfragten) Glaubenssätze, die (halb- oder unbewußten) immanenten (destruktiven) Zielsetzungen und das, was es zu vermeiden gilt. Die Glaubenssätze einer Supervisionsgruppe können z.B. sein: Supervision bringt letztlich auch nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein, ein Außenstehender kann niemals erahnen, wie es uns wirklich geht. Die immanenten Zielsetzungen könnten sein: zu beweisen, daß es zum herkömmlichen Verhalten keine Alternativen gibt, den Supervisor/die Supervisorin auflaufen zu lassen; vermieden werden soll dabei das Entstehen von wirklicher Beziehung, wirklicher Problemorientiertheit, wirklicher Lösungsfähigkeit - und damit auch von wirklichen Konflikten.
  • in der mittleren Spalten, dem Display können wir die gewohnheitsmäßig eingespielten und wiederkehrenden Verhaltensweisen der Gruppe ansiedeln (wie z.B. Zurückhaltung, Passivität, Schweigen), die verstärkenden Gruppenphantasien (z.B. 'der/die will uns nur in den Krieg schicken', 'heute wird ja doch wieder nichts herauskommen'), sowie die gruppenimmanenten, wiederkehrenden Ersatzgefühle (z.B. Angst oder auch Euphorie).
  • in der dritten Spalte finden wir - so wie im individuellen Skriptsystem - die verstärkenden Erfahrungen, die zur Bestätigung der ersten Spalte gespeichert werden können (z.B. eine Gruppensitzung, die "nichts gebracht hat").

So wie die Skriptsysteme der einzelnen Teilnehmer ineinander greifen und sich wechselseitig ergänzen und verstärken, so verflechten auch die Einzelpersonen sich mit dem Skriptsystem der Gesamtgruppe, verstärken dieses, und dieses verstärkt wieder die einzelnen Skriptsysteme.

 

Wenn wir jetzt dieses Team begreifen als Teil einer Institution, dann können wir das Diagramm erweitern durch eine Art noch einmal übergeordnetes Organisations- oder Institutionsskriptsystem. Das wiederum verkörpert die einer Institution innewohnenden (destruktiven) Gesetzmäßigkeiten, die zu tun haben mit ihrer kulturellen, soziologischen und ökonomischen Situation und der in ihnen tätigen Menschen und deren Skripts. Dieses Organisations- oder Institutions-Skriptsystem läßt sich analog darstellen wie vorher das Gruppen-Skriptsystem.

Lassen Sie mich das am Beispiel der LehrerInnensuper­visionsgruppe verdeutlichen: Wir haben eine Gruppe von in diesem Fall 10 Personen mit ihren individuellen Skriptsystemen, die innerhalb der Supervisionsgruppe miteinander dementsprechend in Beziehung treten. Darüber hinaus entwickelt sich eine spezifische Gruppendynamik, die damit zu tun hat, warum welche Personen hier an diesem Ort versammelt sind und mit welchen kollektiven unbewußten Zielen (das könnte z.B. sein: unter Beweis zu stellen, daß es sinnlos ist den Beruf des Lehrers/der Lehrerin auszuüben, daß in der Schule ohnehin nichts zu verändern ist, daß es mit den heutigen Jugendlichen hoffnungslos ist, daß Supervision nichts bringt; oder auch mit grandiosen illusionären Erwartungen, wie: das Allheilmittel zu finden, das gesamte Schulsystem von Grund auf zu reformieren, die Menschheit über den Umgang mit den SchülerInnen zu verbessern, ...). Darübergeordnet findet sich noch einmal des Skriptsystem der Institution Schule: mit all den immanenten bewußten und unbewußten Zielsetzungen, wie: keine mündigen Menschen hervorzubringen, bestimmte kulturelle Bildungsinhalte ohne Hinterfragen zu transportieren usw.

Besondere Dynamik entsteht dadurch, daß es im Sinne von parallelen Prozessen zu Widerspiegelungen der einen Ebene auf der anderen kommen kann: so kann z.B. der Konflikt eines Supervisanden/einer Supervisandin mit dem Supervisor/der Supervisorin einen Konflikt innerhalb des Teams widerspiegeln, und dieser wiederum einen Konflikt innerhalb der Institution - und natürlich auch umgekehrt. Auf diesen Gesichtspunkt der parallelen Prozesse soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden; er wird jedoch in der Beschreibung der konkreten Supervisionsgruppe eine gewisse Rolle spielen.

Das Ganze dient jetzt natürlich nicht dazu, den/die SupervisorIn restlos zu verwirren und ihm/ihr ein kompliziertes Netz aufzubauen, in dem er/sie sich hoffnungslos verstricken kann. Es dient dazu, um zu demonstrieren, wie wichtig die Aufgliederung des Teamsupervisionsprozesses in verschiedene Phasen mit verschiedenen Brennpunkten ist, um Stufe für Stufe dieses Netz aufzuhellen und faßbar zu machen.

 

Analog den oben dargestellten, immer komplexer werdenden Vernetzungen läßt sich der Prozeßverlauf von Teamsupervision in vier Phasen unterteilen:

  • die Beratungsphase (Eingangsphase)
  • die Selbsterfahrungsphase
  • die Teamphase
  • die Organisationsentwicklungsphase (Abschluß).
  • Jeder dieser vier Phasen hat einen anderen Fokus zum Inhalt, erfordert spezifische Arten von Interventionen und spezifische Arten von Verträgen.

1. Die Beratungsphase

In dieser Eingangsphase des Teamsupervisionsprozesses geht es um das Herausarbeiten folgender Punkte:

grundsätzliche Vereinbarungen (Kosten, Häufigkeit der Sitzungen, Anzahl der Teilnehmer, Fragestellungen und Wünsche des Teams, Struktur der Institution/Organisation, Art und Inhalt der offenliegenden Problem- und Konfliktbereiche...) Hier ist es erforderlich, daß der/die SupervisorIn einige grundsätzliche Informationen  über sein/ihr Supervisions- und Arbeitsverständnis, seine/ihre Vorstellungen über die Arbeitsweise und den grund­sätzlichen Prozeß der Supervision gibt. Diese Phase dient dem gegenseitigen Kennenlernen; es empfiehlt sich, zu Beginn eine  "Probezeit" von etwa fünf Sitzungen zu vereinbaren, bevor im wechselseitigem Einverständnis der Prozeß fortgesetzt - oder abgebrochen - werden kann. In diesen ersten Sitzungen muß der/die SupervisorIn ausreichende Informationen über den Aufbau, die Arbeitsweise und die Zielsetzungen des Teams und der betreffenden Institution/Organisation enthalten, und das Team muß genügend Informationen über die Herangehensweise des Supervisors erhalten.

Die Mitglieder des Teams sind im Allgemeinem mit einer Situation konfrontiert, die ihnen Angst und Unsicherheit bereitet (auch wenn das nicht immer bewußt greifbar ist). Es ist daher vorerst von Seiten des Supervisors/der Supervisorin viel Struktur und Information notwendig, um ein Gefühl der Sicherheit und der Aufgehobenheit zu vermitteln. Sinnvoll sind hier oft Methoden des Visualisierens und Strukturierens (graphische Darstellungen wie Organisationsdiagramme etc.). Eine gute Möglichkeit, Struktur zur Entängstigung zu geben, ist auch, Fragestellungen zu sammeln, diese zu gruppieren und die Themen der ersten Sitzungen zu vereinbaren.

In diesen ersten Sitzungen ist meines Erachtens ein/e aktive/r SupervisorIn gefordert, der/die das Geschehen transparent macht, plant und gliedert. Abstinenz und Abwarten würden zu einem starken Ansteigen des Widerstandes führen. In diesem Teil der Arbeit geht es auch noch nicht um das Anwenden einer der vorher angeführten Skriptsystemkonzeptionen, sondern um die Vorbereitung der künftigen, in die Tiefe gehenden Arbeit.

 

Fallbeispiel

Im Frühherbst 1991 wandte sich eine Gruppe von Lehrer/Innen an einer berufsbildenden Höheren Schule mit der Bitte um Supervision an mich. Wir vereinbarten einen Termin zur Vorbesprechung, zu dem derjenige Lehrer, der die Organisation übernommen hatte, eine schriftliche Einladung von mir an interessierte Personen weitergab. Zu diesem Termin kamen 10 Personen, acht Frauen und zwei Männer, alle etwa in der Altersstufe zwischen 25 und 40 Jahren. Nachdem ich mich vorgestellt hatte und kurz über Sinn und Zweck von Supervision, insbesondere an Schulen, erzählt hatte, bat ich die Teilnehmer/Innen, sich vorzustellen und ihre Erwartungen und Ängste hinsichtlich der Supervision mitzuteilen.

Die Ängste bewegten sich hauptsächlich im Bereich "zuviel von sich herzeigen müssen", "aufgemacht werden" etc. Die Erwartungen ließen sich in folgende Gruppen teilen

  • mehr Spaß am Lehrberuf finden,
  • mit "schwierigen Schülern" besser zurecht kommen,
  • mit schwierigen Kollegen umgehen können,
  • das Klima mit der Leiterin der Schule verbessern.

In dieser hierarchisch gegliederten Rangordnung finden sich im Grunde alle wesentlichen Punkte wieder, die sinnvolle Teamsupervision berücksichtigen muß: die Selbstverwirklichung im Beruf, das bessere Erfüllen der beruflichen Aufgaben, Verbesserung der Kooperation im Team und der Bereich der übergeordneten Organisation.

Wir vereinbarten anschließend eine "Probezeit" von drei Sitzungen, bevor wir eine gemeinsame Entscheidung über Fortführung oder Beendigung der Supervision treffen wollten. Mein Vorschlag, in diesen Sitzungen vornehmlich die direkte pädagogische Arbeit mit den Schülern zu behandeln, wurde bereitwillig von der Gruppe angenommen.

 

Der sinnvolle Ausgangspunkt in der Beratungsphase ist die unmittelbare Arbeit, die die SupervisandInnen zu leisten haben, und die Schwierigkeiten damit. Auch wenn manche Supervisonsgruppen dazu tendieren, Probleme im Team oder hierarchische Probleme mit Vorgesetzten vorzuziehen, weil sie möglicherweise aktuell brennen, ist es doch sinnvoll (soweit möglich), diese Fragen vorerst zurückzustellen. Denn die Auseinandersetzung mit den unmittelbaren Arbeitsproblemen ermöglicht folgende Dinge:

  1. a) der Supervisor lernt sowohl die Einzelpersonen in ihren konkreten Schwierigkeiten als auch den konkreten Aufgabenbereich und die konkrete Arbeitssituation gründlich kennen,
  2. b) über Beratungsarbeit an einzelnen konkreten Problemen kann die Beziehung zwischen dem Supervisor und der Gruppe hergestellt und vertieft werden,
  3. c) die Gruppe beginnt dort zu arbeiten, wo es "am wenigsten heikel" d.h. (vorerst) am wenigsten kompliziert und in die Tiefe gehend wird,
  4. d) über diese konkreten Arbeitsprobleme kann allmählich ein Einstieg zur zweiten, der Selbsterfahrungsphase, also zum persönlichen problematischen Hintergrund der SupervisionsteilnehmerInnen gefunden werden.

Fallbeispiel

In den drei vereinbarten Sitzungen (zu je drei Einheiten) wurden folgende Themen diskutiert:

  • die Arbeit mit einer "schwierigen" Klasse, d.h. einer Klasse mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an verhaltensauffälligen SchülerInnen,
  • die Arbeit mit einer passiven Klasse,
  • die Herangehensweise an einzelne, aus verschiedenen Gründen besonders schwierigen SchülerInnen,
  • die Vermittlung verschiedener, für die SchülerInnen weniger interessanter Lehrinhalte.

In diesen Sitzungen entwickelte sich rasch ein reges Diskussionsklima und eine erstaunlich hohe Lösungskapazität innerhalb der Gruppe, sich gegenseitig sowohl mit Ratschlägen zur Seite zu stehen, als auch Auswege aus schwierigen Situationen zu finden. Ich ging von meiner Seite her eher sparsam mit Ratschlägen um, sondern brachte mich aktiv vor allem in der Exploration und Diagnose von Problemen ein bzw. darin, Probleme "auf den Punkt zu bringen". Die Lösungsvarianten spielte ich den Teilnehmern immer wieder zurück, mit Aussagen wie "Sie sind die pädagogischen Experten". 

 

Die zentrale Frage in dieser Phase ist: "Wie kann man an verschiedene Probleme im Arbeitsbereich herangehen?" -

verhältnismäßig unabhängig von der Persönlichkeit des/der jeweils Betroffenen. Dadurch wird die supervisorische Arbeit vorläufig auf einem relativ allgemeinen Level gehalten, was zur Entängstigung der TeilnehmerInnen beiträgt (insbesondere bei Ängsten, wie sie in dieser Gruppe geäußert wurden "aufgemacht zu werden")

Nach den vereinbarten drei Sitzungen kamen wir sehr rasch überein, die Supervision fortsetzen zu wollen und vereinbarten dafür vorerst die Zeit bis zum Ende des Schuljahres in Abständen von etwa vier Wochen d.h. weitere sieben Sitzungen. Vertragliche Ziele vereinbarten wir keine weiteren als die bisher eher global gehaltenen.

 

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs zur Thema Verträge: Ich halte es nicht für sinnvoll, am Anfang einer länger dauernden beziehungsorientierten Supervision detaillierte Inhaltsverträge zu machen, da die SupervisandInnen ja im Grunde gar nicht wissen können, wohin die Reise wirklich geht. Verträge sind eingangs abzuschließen zu formal organisatorischen Dingen; zum Supervisionsgeschehen schließe ich eher eine Art "Prozeßvertrag" (Weil 1986). Dabei geht es um Vereinbarungen der Art "sind sie bereit sich unter meiner Leitung auf den gemeinsamen Prozeß der Supervision einzulassen und zu sehen, wohin er uns führen wird?". Konkrete Inhaltsverträge sind zu diesem Zeitpunkt nur in sehr eingegrenztem Maße möglich, eben zu den auftauchenden Fragestellungen. Präzisere Inhaltsverträge werden erst in späteren Phasen der Supervision, wenn es den TeilnehmerInnen deutlicher klar geworden ist, worum es geht oder gehen sollte.

Es ist jedoch unerläßlich, in irgendeiner Form einen Vertrag über einen Prozeß zu schließen bevor man zur nächsten, der Selbsterfahrungsphase, übergehen kann.

2. Selbsterfahrungsphase

In diesem Teil des Geschehens geht es darum, die TeilnehmerInnen mit dem persönlichen bzw. persönlichkeits­geschichtlichen Hintergrund ihrer beruflichen Probleme in Berührung zu bringen - wir können beginnen mit dem einfachen Skriptsystem zu arbeiten. Die Frage, die hierbei im Mittelpunkt steht, heißt "wie kommt es, daß gerade ich diese besondere Art von Schwierigkeiten mit meiner Arbeit habe?" Dafür ist aber unbedingt ein neuer Prozeßvertrag erforderlich.

 

Es ist jedoch dringend notwendig, diese Art von Arbeit gründlich von psychotherapeutischem Geschehen zu unter­scheiden: In der Psychotherapie geht es darum, einen

Klienten/eine Klientin allmählich in die Regression hineinzuführen und in dieser Regression unerledigte Probleme aus der Vergangenheit zu lösen. In der Super­vision ist die zentrale Fragestellung (vor allem in dieser Phase der Supervision), den Supervisanden/die Supervisandin aus der Regression heraus zu führen, damit er/sie erwachsen in der Lage ist, den Teil der Probleme zu lösen, die mit seiner/ihrer Persönlichkeit zu tun haben. Dabei ist ein äußerst behutsames und reduziertes Vorgehen im Vergleich zur Psychotherapie zu wählen; die Berührungs­punkte des Supervisanden/der Supervisandin mit seiner/ihrer Lebensgeschichte werden in erster Linie kognitiv angesprochen. Interventionen wie "sei der kleine Junge/das kleine Mädchen von drei Jahren und fühle wie das ist, wenn deine Mutter XY tut", sind in der Supervision unzulässig.

Der Zeitpunkt zum Übergang in diese Phase ist gegeben, wenn der Supervisor/die Supervisorin den Wiederholungs­charakter bestimmter Arten von Schwierigkeiten, spezifisch für den/die einzelne/n TeilnehmerIn feststellen kann. Auf diese Art und Weise wird es dann möglich, den/die SupervisandIn mit der Frage zu konfrontieren "was hat es denn mit dir zu tun, daß du immer wieder in diese besondere Art von Schwierigkeiten gerätst?"

Fallbeispiel

In der sechsten Sitzung der Supervisonsgruppe berichtete Frau K., eine etwa 30-jährige Englischlehrerin zum wiederholten Mal von Schwierigkeiten, die sie mit einem besonders aufsässigen siebzehnjährigen Schüler habe.

 

K: Ich hab's ja schon öfter erzählt, es ist immer wieder das gleiche: er tut so, als ob ich nicht im Raum wäre, redet laut mit seinen Mitschülern. Wenn ich ihn anspreche, gibt er entweder keine oder freche Antworten. Ich bin wirklich hilflos, jetzt haben wir schon so oft darüber gesprochen, aber alle die Vorschläge, die ihr mir hier gemacht habt, funktionieren nicht. Ich bin einfach hilflos mit ihm.

S: Und was ist es, was Sie da so hilflos macht, wenn er sich so verhält?

K: Ich komm mir einfach so verarscht vor, so lächerlich.

S: Das kann ich schon verstehen. Aber das allein wäre noch keine Grund, sich auch hilflos zu fühlen. Man könnte da ja auch z.B. ärgerlich oder traurig oder sonstwie oder auch gleichgültig reagieren.

K: Es ist einfach so das Gefühl, er ist stärker als ich und macht mit mir was er will und ich könnte schreien und toben, es würde überhaupt nichts nützen, er würde nur lachen über mich.

S: Geht es Ihnen manchmal auch mit anderen Schülern so, Frau K?

K: Ja, schon. Vor allem am Anfang, als junge Lehrerin war das besonders arg. Jetzt ist es mit den Jahren schon etwas besser geworden, aber der Georg, der treibt mich da ganz massiv wieder hinein.

S: Wenn ich Sie so erlebe, dann habe ich den Eindruck, irgendwas passiert, daß Sie plötzlich nicht mehr die erwachsene, kompetente Pädagogin sind, sondern wie mit einem Ruck zu einem kleinen hilflosen Mädchen werden. So vielleicht etwa drei, vier Jahre würde ich sagen, wenn ich Sie da so über diese Gefühle reden höre.

K: Ja, da ist schon etwas dran. Irgendwie kommt mir vor, ich könnte mich wie ein kleines Kind auf den Boden werfen und mit den Beinen trommeln und mit dem Kopf auf den Boden schlagen, so wütend und hilflos bin ich da. Aber nützen würde es ja auch nichts.

S: Das muß eine sehr tiefe Art von verzweifelter Hilf­losigkeit sein, die Sie da erfaßt, daß es Sie da so zurückwirft in ihre Vergangenheit. - Kennen Sie solche Situationen und Gefühle aus Ihrem Leben als kleines Mädchen?

K: Ja, schon; da fällt mir mein großer Bruder ein. Der war fünf Jahre älter, und hat mit mir gemacht was er wollen hat. Immer wenn er einen Frust wegen irgendetwas gehabt hat, dann hat er das an mir ausgelassen, hat mich gehänselt und verspottet dafür, wie dumm und klein ich bin.

S: Und wie war das für Sie?

K: Ich hätte aus der Haut fahren können. Was hätte ich den tun sollen, ich war so klein und er war so groß und mächtig. Und niemand hat mir geholfen.

S: Ja. Genau das ist der Punkt. Niemand hilft dem kleinen Mädchen gegen dieses große Scheusal. Und darum ist es auch so hilflos. Das einzige, was bleibt sind stumme Tränen der Verzweiflung.

K: (nickt, Tränen in den Augen)

S: Und was hätte geholfen gegen den großen Bruder?

K: Wenn jemand gekommen wäre und gesagt hätte: verdammt noch mal, jetzt laß sie endlich in Ruhe! (Pause) Genau das ist es, was ich mir jetzt manchmal mit dem Georg wünsche - jetzt fällt mir auf, daß der ja auch Georg heißt, genau wie mein großer Bruder (lacht) - daß irgendwer hereinkommt, z.B. die Frau Direktor und zu ihm sagt: Jetzt hör endlich auf mit dem Scheiß.

S: Und was brauchen Sie, damit Sie das selber sagen können? Das finde ich nämlich eine durchaus brauchbare Intervention für so einen Flegel.

K: Was ich brauchen würde? Na ja, wahrscheinlich daß ich erwachsen bleiben könnte.

S: Genau. Und vielleicht gelingt Ihnen das, wenn Sie sich in solchen Momenten klar machen, daß er nicht Ihr großer Bruder, sondern eigentlich halb so alt wie Sie und Ihr Schüler ist.

K (nickt): Genau! Eigentlich ist es ja wirklich eine Frechheit, was der mit mir aufführt!

 

Wir können hier wieder unsere Graphik des Skriptsystems zu Hilfe nehmen: Die Verhaltensweisen und Hilflosig­keitsgefühle von Frau K. sind das Display, das Ausspielen im Hier und Jetzt. Außerhalb ihres Bewußtseins kommt sie in Kontakt mit den verstärkenden Erfahrungen und Erinnerungen (wie es immer war mit dem großen Bruder und eventuell anderen Männern) - und das verstärkt ihre Glaubenssätze, unterlegen, hilflos und klein zu sein. Das Gefühl, das dadurch abgewehrt werden soll und das zum damaligem Zeitpunkt vollkommen nutzlos war, ist Wut. Indem ich Frau K. auf diese Zusammenhänge hingewiesen und sie dabei unterstützt, ihre Wut auszudrücken, wird ein erstes Durchbrechen dieses Systems möglich.

Wie bereits erwähnt, ist es notwendig, sehr behutsam mit der Regression und den Elementen der Selbsterfahrung umzugehen. D.h., nicht zu lange den Fokus auf die Vergangenheit zu legen und relativ schnell - wesentlich schneller als im psychotherapeutischen Geschehen - den Bezug zum Hier und Jetzt und zur Veränderung des Denkens, Fühlens und Verhaltens herzustellen.

Sehr oft sind SupervisandInnen, besonders aus dem psychosozialen und pädagogischen Bereich, sehr beeindruckt von dieser Art der Arbeit und von dem Kontakt, den sie da mit sich selbst und in ihrer Lebensgeschichte aufnehmen können. Dadurch entsteht oft so etwas wie ein "regressiver Sog"; an diesem Punkt wäre es dann ein Leichtes, die Gruppe in eine Selbsterfahrungs- oder Therapiegruppe "umzuwandeln". Das stellt auch insofern eine gewisse Versuchung für den/die SupervisorIn dar, als er/sie zu diesem Zeitpunkt des Supervisionsgeschehens oft viel an Bewunderung und Zuwendung für sein/ihr geschicktes und effektives Umgehen mit der Persönlichkeit und der Seele der TeilnehmerInnen erhält. Es ist daher einerseits notwendig, diesem Sog zu widerstehen, andererseits aber auch, diese Phase nicht zu sehr abzukürzen. Es ist schon notwendig, daß die TeilnehmerInnen gründlich in Kontakt mit sich und markanten wunden Punkten ihrer Geschichte kommen, soweit diese die berufliche Situation tangieren. Jedoch sollte man hier keinen Absolutheitsanspruch stellen: es wird immer wieder TeilnehmerInnen geben, die auf diese Art der Arbeit eher mit Widerstand reagieren und sich darauf nicht so sehr einlassen wollen. Diese sollte man nicht forcieren, sondern, wenn sie es wollen auch in ihrer Zuhörerrolle verharren lassen.

 

Natürlich gibt es auch immer wieder ein "Zurückkehren" zur Beratungsphase; es wäre nicht sinnvoll, bei jedem von den SupervisandInnen präsentierten beruflichem Problem sofort die persönlichkeitsgeschichtliche Komponente zu suchen.

 

3. Die Teamphase

Warum ist die Selbsterfahrungsphase so bedeutungsvoll im Prozeß? Aus ganz pragmatischen Gründen: Wenn die TeilnehmerInnen in Kontakt mit den Skriptmechanismen kommen, die sie in ihrer Arbeit ausleben und verstärken, dann können sie auch ein Verständnis dafür entwickeln, wie sie als Gruppe, als Team interagieren und was dabei wiederum die skriptgebundenen Aspekte sind. Diesen Gesichtspunkt sollte man sich immer wieder vor Augen halten; wir haben als SupervisorInnen in Teams die Selbsterfahrungselemente nicht einzubringen (oder nicht primär einzubringen) um TherapieklientInnen zu schaffen. Wir haben ein übergeordnetes Ziel im Auge zu haben und das ist die Funktionsfähigkeit des Teams und der Organisation, in der dieses Team arbeitet.

Früher oder später wird in der supervisorischen Arbeit ein Punkt auftauchen, wo es mehr oder minder um Konflikte innerhalb der Gruppe bzw. innerhalb des Teams geht. Manchmal wird dieser Punkt sehr schnell auftauchen (z.B.  in Supervisionsgruppen, wo man als SupervisorIn primär wegen eines Teamkonflikts geholt wird), manchmal wird es notwendig sein, daß der/die SupervisorIn interventions­technisch auf diesen Punkt hinarbeiten muß. Dabei macht es natürlich einen Unterschied, ob man mit dem gesamten Team arbeitet (wie z.B. in einer psychosozialen Einrichtung wie einer Beratungsstelle) oder, wie in dem angeführten Fallbeispiel, nur mit einem Teil des Teams, in diesem Fall mit einem Teil des Lehrkörpers. Im letzteren Fall ist es nämlich in aller Regel so, daß Teamkonflikte vorerst in der Art vorkommen, daß über nicht an der Supervision teilnehmende KollegInnen geklagt, geschimpft, problematisiert etc. wird. Die Gruppe selbst versucht, sich dann in dem Selbsterfahrungsklima, das mittlerweile herrscht wohlig einzurichten und die inneren Konflikte nach außen zu projizieren. Diese Projektionen sind letztlich zu konfrontieren, auch wenn natürlich den Problemen mit nicht anwesenden KollegInnen ein gewisser Raum gegeben werden muß.

Fallbeispiel

Genau so eine Situation entstand nach etwa drei Semestern der Arbeit mit der LehrerInnensupervisonsgruppe, also nach ca. 15 Sitzungen. Immer wieder wurde Kritik an anderen, nicht an der Supervision teilnehmenden Fachkräften des Lehrkörpers laut. Dominierender Unterton dabei war "denen würde es auch nicht schaden, so wie wir sich einer Supervision zu unterziehen", "wenn doch nur alle so ernsthaft und kooperativ wären wie wir" und Ähnliches. Gleichzeitig verstärkte sich die Sehnsucht der Gruppe nach weiterer regressiver Arbeit; so traten die TeilnehmerInnen mit dem Ansinnen an mich heran, ein von der Supervision separiertes Selbsterfahrungswochenende mit ihnen abzuhalten.

 

An dieser Stelle intervenierte ich wie folgt:

S: Es tut mir leid, aber ich muß Ihr Angebot ablehnen. Das würde den Rahmen der gemeinsamen supervisorischen Arbeit sprengen.

G (männlicher Teilnehmer): Aber es wäre ja sowieso außerhalb der Supervision.

S: Es würden sich trotzdem zu große Vermischungen ergeben. Es wäre für Sie und wahrscheinlich auch für mich letztlich nicht mehr trennbar, ob Sie Supervisanden und Supervisandinnen oder Therapieklienten und -klientinnen sind. - Ich denke, wir sind hier an einem Punkt, den die meisten Supervisionsgruppen früher oder später erreichen. Sie kommen auf den Geschmack, mit sich und ihrer Seele und Persönlichkeit zu arbeiten und verlieren dabei manchmal das Ziel, ihre Arbeitsfähigkeit zu verbessern, etwas aus den Augen. Mein Eindruck ist, daß Sie damit auch - mehr unbewußt als bewußt - etwas vermeiden wollen, nämlich sich mit dem unangenehmen beruflichen Alltag weiter auseinanderzusetzen und statt dessen sozusagen in höhere Sphären der Therapie oder der Selbsterfahrung zu entweichen. Mir ist aufgefallen, daß die persönlichen Probleme, die manche von Ihnen zu den Sitzungen mitbringen, mehr und mehr auch ins Private hinübergehen. Das würde diese meine Hypothese unterstützen.

St. (weibliche Teilnehmerin): Aber wir haben doch in der letzten Zeit auch viel über Konflikte mit manchen Kollegen aus unserem Lehrkörper gesprochen.

S: Stimmt, das haben wir. Und ich denke, da sind auch einige für Sie wertvolle Verbesserung im Klima in der Schule passiert. Aber vermeiden wir damit nicht auf die Dauer auch etwas? Und mit wir meine ich wirklich uns, denn ich bin ja auch Teil des Prozesses.

St.: Und was wäre das, was wir vermeiden?

S: Es kann ja schwerlich so sein, daß es hier nur zwei Arten von Konflikten gibt: die, die jeder einzelne von Ihnen mit sich selbst in seinem Inneren hat, und die natürlich auf seine oder ihre Lehrtätigkeit zurückspiegeln oder die Konflikte, die Sie mit Leuten haben, die gar nicht hier in der Gruppe sitzen. Ich denke, es wird allmählich erforderlich, auch darauf hinzuschauen, wie es denn mit Konflikten untereinander, hier in dieser Gruppe steht, und darauf, wie konfliktfähig Sie denn als Gruppe, als Team sind.

L (weibliche Teilnehmerin): Und was hätten wir Ihrer Meinung nach davon, wenn wir das tun?

S: Wenn Sie hier als Gruppe konfliktfähiger werden, dann wird das vermutlich in irgendeiner Weise auf andere Teile der Kollegenschaft auch ausstrahlen und auf das Klima, in dem in der Schule mit Konflikten umgegangen oder nicht umgegangen wird.

Es ist normal, daß  die Gruppe hier Anzeichen von Widerstand spüren läßt. Schließlich hat sie es sich ja angenehm eingerichtet in dieser Atmosphäre von Selbsterfahrung und Projektion der Konflikte nach außen. Wie gesagt, daß so eine Atmosphäre entsteht, ist unbedingt notwendig, damit sich die TeilnehmerInnen sicher genug fühlen können, an wiederum schwierigere Dinge heranzugehen.

Lassen Sie mich auf das Diagramm vom Gruppenskriptsystem zurückkommen. Ich habe in meiner oben zitierten Intervention in ersten Ansätzen auf Aspekte des übergeordneten Systems hingewiesen, auf Mechanismen und Glaubenssätze (wie z.B. wir sind gut - die anderen sind böse, "eigentlich wäre Therapie ja viel wichtiger als schnöde supervisorische Arbeit").

 

Fallbeispiel

Als ersten Schritt analysierten wir dann, wie die von mir angesprochenen Mechanismen mit den persönlichen Skriptsystemen zusammenhingen und durch diese verstärkt wurden bzw. diese wiederum die individuellen Strukturen  verstärkten.

In der nächsten Sitzung war der Widerstand noch weiter angewachsen; anfangs herrschte viel Schweigen in der Gruppe, niemand wollte ein Thema einbringen, die TeilnehmerInnen äußerten Verunsicherung.

 

S: Und wie geht es Ihnen, wenn wir diesen Ausdruck "Verunsicherung", den Sie da gebraucht haben, umbenennen in "Angst"?

Pause

St.: Na ja, das könnte man schon so nennen. Ich für meine Person hab sicher so ein Stück Angst, was wird denn jetzt passieren, wie wird denn das weitergehen? Wenn es denn jetzt wirklich um Konflikte in unserer Gruppe gehen soll, ich kann mir zwar noch nicht vorstellen, um welche, aber werden wir uns denn dann noch so gut verstehen können untereinander? Für mich war das ja immer ein sehr angenehmer sicherer Platz, wenn ich hierher kommen konnte.

S: Das klingt so wie: werden mich die anderen dann noch mögen? Werde ich dann noch zur Gruppe dazugehören?

Diese Angst wurde vom überwiegenden Teil der Gruppe geteilt.

Ein wesentlicher Glaubenssatz im Skriptsystem der Gruppe wurde damit deutlich: Wir können keine Konflikte austragen bzw. aushalten.

 

S: Und diese Überzeugung stimmt ja nicht zu 100%: wir sind ja gerade dabei, einen Konflikt auszutragen. Es gibt einen Konflikt zwischen dem, was Sie gerne möchten, und dem, was ich gerne möchte oder dem, was ich für sinnvoll halte. Und ich habe den Eindruck, Sie halten diesen Konflikt sehr wohl aus.

St.: Aber es ist nicht unbedingt lustig.

S: Das ist schon richtig. Konfliktaustragung muß nicht immer lustig sein, auch wenn es dabei auch lustvolle Aspekte geben kann. Aber aushaltbar ist es.

 

Die Gruppe stimmt dem zu.

In den nächsten Sitzungen entwickelte sich ein zäher, langsamer Prozeß, in ähnlicher Art, wie eben beschrieben. Dessen Hauptinhalt waren immer wieder Enttrübungen  des Glaubenssatzes "wir halten es nicht aus, wenn es Konflikte gibt".

Auf dem Umweg, daß die Teilnehmer allmählich lernten, Konflikte mit mir auszuhalten und auszutragen, entstanden allmählich erste zaghafte Auseinandersetzungen in der Gruppe, zuerst über inhaltlich- methodische Fragen des Unterrichts. Zu Beginn des fünften Semesters der gemeinsamen Supervisionsarbeit war die Gruppe dann soweit, auftauchende Konflikte untereinander anzusprechen und auch auszutragen. Dadurch lösten sich allmählich  skriptsystem­zugehörige Verstrickungen und wechselseitige Verstärkungen untereinander bzw. das Gruppenskriptsystem. Als Beispiel soll hier der Konflikt zweier Teilnehmerinnen kurz beschrieben werden, die beide gemeinsam mit einer Klasse eine Woche in Schottland verbracht hatten. In der darauffolgenden Supervisionssitzung stellte sich anhand des Berichtes über die Woche, bei der Schüler und Schülerinnen sehr aufsässig und lästig gewesen waren, heraus, daß zwischen den beiden Lehrerinnen große unausgesprochenen Spannungen aufgetaucht waren. Beide zeigten sich ganz verwundert darüber, daß nicht nur der einen die andere sondern auch umgekehrt der anderen die eine die ganze Woche über gehörig auf die Nerven gegangen war. Indem durch die Auseinandersetzung darüber der Glaubenssatz "Konflikte können nicht gelöst werden und dürfen daher auch nicht angesprochen werden " durchbrochen wurde, konnte eine neue Basis der gegenseitigen Akzeptanz hergestellt werden.

Allmählich begann sich die Gruppe als ein Gebilde von Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, Auffassungen, Handlungsweisen und Gefühlen zu verstehen und auch das Bereichernde und Ergänzende an dieser Tatsache zu sehen. Dies resultierte schließlich in einem fächerübergreifenden Projekt, das die Mehrzahl der Gruppenteilnehmer für ihre Schule konzipierte.

 

4. Organisations- oder Institutionsphase

Damit war der Prozeß der Supervisionsgruppe nahezu unmerklich auf eine höhere Ebene übergegangen: die Einbeziehung und damit auch die Herausforderung der gesamten Institution oder Organisation: der Schule, an der sie alle unterrichteten.

Oft geht der Übergang in diese Phase nicht so reibungslos vor sich. Auch bei Erreichen der Kooperationsfähigkeit macht sich oft bei Teams wieder eine Beharrungstendenz bemerkbar, auf dieser dann angenehmen Stufe zu verbleiben und sich nicht den nächsten wieder unangenehmen und wieder Konflikte herbeiführenden Aufgaben zu widmen. In diesem Fall ist dann wieder der/die SupervisorIn mehr gefordert, durch seine/ihre Interventionen ein Fortschreiten der Gruppe zu ermöglichen.

In dieser letzten Phase, wenn das Team kooperations- und arbeitsfähig geworden ist, geht es darum, zu klären wo es von Seiten der Institution oder der Organisation hakt und was hier an Möglichkeiten besteht, strukturelle Veränderungen durchzuführen. Dieser abschließende Teil der Teamsupervision ist oft der schwierigste, weil er mit schmerzlichen Erfahrungen hinsichtlich der eigenen Grenzen bzw. der Grenzen des Teams und der Grenzen der Veränder­barkeit einer Organisation verbunden sein kann. Er ist auch nicht zu verwechseln mit Organisationsentwicklung im eigentlichen Sinn, wo man es direkt mit einer Organisation und ihrem Umstrukturierungsprozeß zu tun hat. Hier geht es darum, welche Veränderungen das Team in die Organisation einbringen und auch durchsetzten kann.

 

Fallbeispiel

Mit dem vorher erwähnten fächerübergreifenden Unterrichts­projekt, das die Mitglieder der Supervisionsgruppe konzipiert hatten, wirbelten sie an der Schule einigen Staub auf. Es gab Kollegen, die sich dem widersetzten, vor allem von Seite der Schulleitung her wurde der Sache hartnäckiger Widerstand entgegengebracht. Die "Argumente" dagegen waren vor allem: so etwas kann doch nicht funktionieren, das ist viel zu kompliziert, da gibt es nur Schwierigkeiten mit der Schulbehörde, die Schüler und die Eltern werden das nicht wollen. Es war nicht überraschend, daß hier ähnliche Glaubenssätze auftraten wie auf der Stufe vorher: Veränderung ist eigentlich unmöglich, Konflikte können nicht erfolgreich ausgetragen werden. Nach mehreren Sitzungen entschied sich die Gruppe auf meinen Vorschlag hin schließlich, die Direktorin zu einer Sitzung einzuladen. Auf dieser wurde in zähen Verhandlungen mühsam ein Kompromiß ausgehandelt. Das Projekt wurde grundsätzlich genehmigt, die LehrerInnen mußten jedoch einige Abstriche hinsichtlich der finanziellen Mittel machen, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden und auch hinsichtlich des zeitlichen Ausmaßes, das für sie wünschenswert gewesen wäre. Die Konfliktfähigkeit, die die TeilnehmerInnen in den fünf Semestern vorher gelernt hatten, wurde dabei auf eine harte Probe gestellt.

In den schlußendlich noch verbleibenden zwei Sitzungen bis zum Ende des Sommersemester 1994 kamen wir dann übereinstimmend zu der Entscheidung, die gemeinsame Arbeit zu beenden, da ein Großteil der möglichen Ziele erreicht war. Es waren auch die Grenzen der Veränderbarkeit des Schulapparates deutlich geworden. Die SupervisandInnen waren ihrer und meiner Einschätzung nach gut in der Lage, in Zukunft aufgrund der neu erlernten Fähigkeiten  Konflikte zu lösen bzw. Vorschläge für Veränderungen und Verbesserungen an der Schule zu erarbeiten. Als eine direkte Folge des Einflusses, der von der Supervisions­gruppe ausgegangen war, bildeten sich an dieser Schule zwei weitere Gruppen von interessierten KollegInnen, die sich beide auch vor etwa einem halben Jahr bzw. einem Jahr in einen Supervisionsprozeß bei einem Supervisor bzw. einer Supervisorin begaben.                          

Abschließend noch einige zusammenfassende Worte über den hier dargestellten Prozeßverlauf und die Rolle des Supervisors/der Supervisorin darin.

Dieser Prozeß bewegt sich aufsteigend auf vier Ebenen von der Einzelperson hin zur gesamten Organisation. Wir haben es dabei mit parallelen Prozessen auf allen Ebenen zu tun: was sich in der Supervisionsgruppe untereinander und zum Supervisor/zur Supervisorin hin abspielt, spiegelt in gewisser Weise die Problemsituation am Arbeitsplatz wider. Die Probleme, die die Gruppe miteinander hat, spiegeln die Probleme wider, die sie als Ganzes mit der Institution hat. Am Beispiel der LehrerInnensupervisionsgruppe: angefangen von den Problemen, die die TeilnehmerInnen mit dem Unterricht und den SchülerInnen hatten, über die Konfliktpunkte mit mir als Supervisor, über die Dynamik innerhalb der Gruppe bis hin zur Dynamik der Organisation zog sich als genereller Glaubenssatz: Veränderung ist eigentlich unmöglich, Konflikt sind nicht lösbar und nicht aushaltbar. Das Vorgehen des Supervisors/der Supervisorin dabei ist derart, auf der untersten Ebene anzufangen, die zyklischen Mechanismen der Wiederholung aufzugreifen, zu durchbrechen und die Glaubenssätze zu enttrüben. Interventionstechnisch bewegt sich der Supervisor dabei  zwischen zwei Polen: vermehrtes Eingreifen versus größere Abstinenz zur Förderung der Lösungsfähigkeit der TeilnehmerInnen, wenn die Zielrichtung der jeweiligen Phase zum Tragen gekommen ist. Jeweils an den Übergängen zwischen den einzelnen dargestellten Abschnitten bzw. am Anfang jeder neuen Phase ist verstärkte Präsenz des Supervisors/der Supervisorin, verstärkte Konfrontation und verstärkte Direktheit gefordert. Sobald der intendierte Prozeß auf der jeweiligen Ebene in Gang kommt, ist es für den Supervisor/die Supervisorin wichtig, sich ein Stück zurückzunehmen und die Gruppe lang genug ihre Kapazitäten auf der entsprechenden Stufe entfalten zu lassen. Wichtig dabei ist, daß er/sie aus der vielfachen Verschachtelung und Komplexität des Gesamt­prozesses die jeweils wichtige Ebene herausschält, ohne dabei die anderen Ebenen und den Vorgang als Ganzes aus den Augen zu verlieren.

 

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