2. MANAGER UNTER DRUCK - Wie weit kann Coaching bei der Streßbewältigung helfen?

Vortrag für den Marketing Club Salzburg
Salzburg, Mai 1999

Seite drucken Seite weiterleiten

Ihnen allen sind die Geschichten über die Bewohner des Städtchens Schilda, die Schildbürger, ein Begriff. Diese Schildbürger kamen eines Tages aufgrund ihrer schlechten Ertragslage zu der Erkenntnis, daß Sie Einsparungsmaßnahmen zu treffen hätten. Als erstes wollten sie sich von den teuren Salzhändlern unabhängig machen und beschlossen, ihr Salz selbst anzubauen. Obwohl sie das dafür vorgesehene Feld sorgfältig bestellten und wässerten, wuchsen aus den angesäten Salzsamen bedauerlicherweise nur Brennesseln. Die Schildbürger aber ließen sich von diesem ersten Fehlschlag bei der Sanierung ihres Stadtbudgets nicht ermutigen und durchforsteten ihre Ausgaben weiter. Dabei stießen sie schließlich auf ihr Stadtpferd. Das war ein braves und fleißiges Tier, das anstandslos und zuverlässig all die schweren Arbeiten erledigte, die man von ihm verlangte. Es hatte nur einen Nachteil: es fraß Hafer, und das nicht zu knapp – und das war natürlich eine unrationelle Sache. Das Pferd hatte seinerzeit schon so hohe Anschaffungskosten verursacht; wie sollte es sich je amortisieren, wenn es auch noch beträchtliche Personalkosten verbrauchte, will sagen, so viel  Hafer fraß?

Die Schildbürger, schlau wie sie waren, erarbeiteten einen Stufenplan mit einem klar definierten Ziel: wir wollen ein haferfreies Stadtpferd. Sie sparten nach und nach immer mehr Hafer ein, was die Stadtkassen tatsächlich entlastete. Schließlich hatten sie das gewünschte Ergebnis erreicht – das Pferd war haferfrei. Ein kleiner Nachteil war allerdings dabei: es war außerdem tot.

 

Das Anforderungsprofil an das Stadtpferd von heute, den Manager, kann man nicht gerade bescheiden nennen.

Ich bin Mitglied in einem Arbeitskreis eines Management-Training-Instituts, der u.a. Richtlinien und Inhalte für Führungskräfteentwicklung erarbeitet. Dort haben wir als Aufgaben einer Führungspersönlichkeit etwa 20 verschiedene Items definiert; ich möchte Ihnen hier nur eine Auswahl davon nennen:

  • Strategische Zielsetzungen und operative Ziele festlegen und vereinbaren
  • Informationen über Kunden, Markt, Trends aufnehmen und weitergeben
  • Aufgaben planen und delegieren
  • Entscheidungsprozesse betreiben und Entscheidungen treffen
  • Mitarbeiter auswählen und über ihren Einsatz entscheiden
  • Teamentwicklung gestalten
  • Organsiationsentwicklungsprozesse steuern
  • Mitarbeiter betreuen, beraten, coachen, einweisen, unterweisen
  • Expertise und fachliche Sicherheit gewährleisten

Nicht genug damit: ein Manager soll auch noch hohe Selbstkompetenz haben (oder, mit einem gängigen Schlagwort, ‚emotionale Intelligenz‘): er soll mit Frustration, Aggression, Streß, Zukunftsangst, Zeitmangel sinnvoll und effektiv umgehen können, und er soll sich selbst motivieren können.

Das alles sollte ihm am besten angeboren sein – oder zumindest perfekt vorhanden, sobald er seinen Job antritt. Vielleicht ein paar Seminare, ein bißchen ‚learning on the job‘ (ein elegantes Wort für ‚Gnadenfrist‘), ein bißchen Coaching durch einen vorgesetzten Mitarbeiter...  schließlich kostet das alles ja Zeit und Geld! Die Idee eines haferfreien Stadtpferdes soll ja manchmal auch außerhalb des Städtchens Schilda auftauchen...

Jetzt könnte man natürlich sagen: der Mann oder die Frau hat ja nichts anderes gewollt. Er oder sie wollte ja unbedingt Manager werden, daß das kein Honiglecken ist, weiß jedes Kind – also was soll’s, das ist halt sein (oder ihr) Job.

Genau das ist die Frage: ist es das, was er unbedingt gewollt hat? Wußte sie überhaupt, worauf sie sich da einläßt?

„Wenn ich das vorher gewußt hätte, wie komplex und kompliziert das alles ist...“ seufzte unlängst in einem Führungskräftetraining eine junge Frau. Den Schluß des Satzes ließ sie bezeichnenderweise offen.

Was meint sie damit, ‚wenn ich das vorher gewußt hätte‘? Was stellen sich angehende Manager eigentlich wirklich vorher vor? Was reizt sie wirklich an diesem Job? Wollen Sie nur Geld scheffeln und hoch hinauf kommen?

Ich hatte im vergangenen Jahr mit insgesamt 83 Personen in leitenden Managementfunktionen im Kontext von Training und/ oder Coaching zu tun. Sie alle bat ich, einen kurzen Fragebogen mit dem Titel ‚Was waren Ihre ursprünglichen Motive, eine Managementposition anzustreben?‘ auszufüllen. Sieben mögliche Antworten waren zu bewerten: ‚Ich wollte Verantwortung tragen‘, ‚Ich wollte viel verdienen‘, ‚Ich wollte Macht und Einfluß haben‘, ‚Ich wollte Dinge bewegen und beeinflussen‘, ‚Ich wollte Entscheidungskompetenz haben‘, ‚Ich wollte Menschen führen und fördern‘ und ‚Ich wollte Karriere machen‘. Für das wichtigste Motiv konnten 7, für das zweitwichtigste 6 bis herunter zu einem Punkt vergeben werden.

 

Hier sehen Sie die Ergebnisse:

 

Natürlich kann man meine Versuchsgruppe nicht linear verallgemeinern: schließlich sind es Personen, die zu Coaching und Training kommen, also möglicherweise eine besonders problembewußte Stichprobe. Trotzdem scheint mir ein Schluß schon möglich zu sein: Menschen, die Manager werden wollen bzw. werden, reizt nicht in allererster Linie Geld, Macht und Karriere, sondern viel mehr die Herausforderung, komplizierte Aufgaben zu lösen. Manager sind Menschen, die tatsächlich Managen im Sinne des Wortes wollen: mit komplexen Anforderungen umgehen, Entscheidungen treffen, Entwicklungen beeinflussen, Menschen führen und anleiten sind ihre primären Ziele.

So weit, so gut. Leider liegen im Leben Vorstellung und Realität manchmal auseinander. Die Vorstellung, einen Ferrari zu fahren und ihn so richtig auf 300 Sachen hinaufzuheizen, ist wahrscheinlich auch einfacher als die Realität, ein Geschoß mit mehreren Hundert PS auf einer kurvigen Landstraße zu bändigen. Die Wirklichkeit eines Managerlebens sieht leider nicht so aus, daß jemand sagt: ‚So, dieser Rucksack ist  deine Verantwortung. Trage sie also bitte jetzt.‘ Oder ‚Hier sind Dinge, die du bewegen und beeinflussen darfst. Bewege und beeinflusse sie jetzt also.‘

Eines der amüsantesten und anschaulichsten Bücher über Führen, das in der letzten Zeit erschienen ist, stammt  von dem Amerikaner Warren Bennis. Es trägt den bezeichnenden Titel ‚Menschen führen ist wie Flöhe hüten‘. Flöhe hüten – das kommt der Realität des Managerdaseins wohl in der Tat nahe.

Die Flöhe, die ein Manager da hüten, also unter einen Hut bringen soll, haben viele Namen. Einige von ihnen heißen: Organisationsstruktur und Zielsetzung des Unternehmens; Interessen der Eigentümer; Produktinnovation; Marktlage; Zielvorgaben; Mitarbeitermotivation; public relations; Kooperation mit anderen Abteilungen; Vernetzung; EDV; Delegation; Kundenkontakt; Fähigkeiten der Mitarbeiter; Zeitdruck; andere wieder heißen: persönliche Eitelkeiten; Intrigen; Konkurrenz; Inkompetenz; Konflikte; Krisen; Ausfälle; Kündigungen; Einsparungen; Umstrukturierungen ... Wir könnten die Liste gemeinsam wahrscheinlich fortsetzen, bis man uns aus Zeitgründen aus diesem Raum hinausbitten würde.

 

Nun, wenn sich unser prototypischer Manager, der so gerne Verantwortung tragen, bewegen und beeinflussen möchte – nennen wir ihn der Einfachheit halber ‚Herr Schneider‘ - mit all dem (und noch viel mehr) einige Zeit in der Praxis beschäftigt, wird er mit der Zeit unruhig werden. Genauer gesagt wird er mehr und mehr in einen „Zustand der Alarmbereitschaft des Organismus, der sich auf eine erhöhte Leistungsbereitschaft einstellt“ geraten. Mit ebendieser Formulierung definiert Hans Selye einen Begriff, den wir täglich in den Mund nehmen: STRESS. Das an sich ist nicht bedenklich, denn erhöhte (sehr erhöhte) Leistungsbereitschaft ist ja in der Tat von Herrn Schneiders Organismus gefordert. Die Frage ist: wie geht es dann weiter?

Bleiben wir bei der Streßdefinition von Selye (dem Pionier der Streßforschung in den 50er Jahren). Der Organismus begibt sich also in Alarmzustand, weil aus irgendeinem Grund (oder vielen Gründen, siehe oben) erhöhte Leistungsbereitschaft gefordert ist.

Ich möchte Ihnen gerne an diesem Schaubild deutlich machen, was Ihr Körper in Streßsituationen tut: die Durchblutung des Gehirns wird drastisch erhöht, die Pupillen weiten sich, die Atemfrequenz und die Atemtiefe erhöht sich, die Adrenalin- und Noradrenalinproduktion des Nebennierenmarks wird intensiviert, Herzschlag und Blutdruck erhöhen sich, die Leber erzeugt Glukose (Zucker), um einen Energieschub zu ermöglichen, Magen und Darm stellen ihre Verdauungstätigkeit so gut wie ein, die Durchblutung der Muskeln wird verstärkt und ihre Versorgung mit Sauerstoff und Glukose erhöht.

Sie müssen sich dazu deutlich machen, daß unser Organismus in den Zeiten der Morgendämmerung des homo sapiens sapiens konstruiert wurde. Der Steinzeitmensch sieht einen Höhlenbären auf sich zustürzen – sein Organismus geht in Alarmbereitschaft und signalisiert ihm: Flucht (oder auch, wenn es dafür zu spät ist, Angriff) – und stellt alle dafür notwendigen Dinge bereit. Der Steinzeitmensch kann losrennen – oder, je nachdem, angreifen. Sein Körper und sein Geist funktionieren dafür so gut, wie sie eben funktionieren können.

Selye zerlegt die normale gesunde Streßreaktion in 3 Phasen: die Alarmreaktionsphase (eine streßerzeugende Situation tritt auf und der Körper geht in Alarmbereitschaft - das, was das Schaubild vorhin erklärt hat), die Wider-standsphase (der Mensch reagiert auf den Stressor und versucht, mit ihm fertig zu werden – in unserem Beispiel: der Urmensch rennt vor dem Höhlenbären davon oder attackiert ihn) und die Erschöpfungsphase (wenn die Gefahr vorbei ist, taucht man in einen Zustand der Erschöpfung ein. Sie kennen das vielleicht aus der Situation, wenn man zu einem Autounfall kommt: man funktioniert ganz nach Plan, leistet Erste Hilfe, verständigt  Rettung und Polizei – und wenn alles vorbei ist, werden die Knie so weich, daß man die Pedale beim Auto nicht mehr treten kann).

So weit, so normal. Die Streßreaktion ist also für relativ einfach strukturierte Situationen nach dem Muster ‚Hier Problem – da Lösung‘ vorgesehen. Sie ist gedacht als etwas, das schnell und kurzfristig durch Zusammenballen aller Energie und Reduktion des Denkens auf das Allernotwendigste Abhilfe in einer Gefahrensituation bringen soll. Für mittel- und langfristiges strategisches und konzeptiv-planendes Denken sind Phasen des Überlegens, Kombinierens, Ausprobierens mit größerem Zeithorizont notwendig. Mit diesen beiden Mustern – Streßreaktion für Akutprobleme, logisches Kombinieren für strategisches Denken - war die Menschheit von ihrer organischen Ausstattung her im wesentlichen erfolgreich bis herauf zur Industrialisierung: sie nutzten den Nomaden dabei, die menschliche Gattung rund um den Erdball auszubreiten, sie halfen den römischen Legionen, ein Weltreich zu errichten, sie ermöglichten den technischen und kulturellen Fortschritt von der Entdeckung des Rades bis zum World Wide Web.

Die immer rascher komplexer und komplizierter werdende Welt seit den Anfängen des industriellen Kapitalismus vor bald 200 Jahren läßt den Raum für das konzeptiv-strategische Denken immer kleiner werden; je höher das Tempo, je umfassender die Aufgaben, umso häufiger die – subjektiven und objektiven – Akutsituationen. Und umso häufiger wird das, was eigentlich als Muster für die Ausnahmesituation gedacht ist – die Streßreaktion – zum ständigen Begleiter, mehr noch, zum Ersatz für mittel- und langfristiges Konzipieren und Planen.

Und dort beginnt der Teufelskreis: wenn Sie in Ihrem Berufsleben über weitere Strecken nach dem Streßraktions-Muster denken, fühlen und handeln, wird – eben weil Übersicht und Überblick immer kleiner werden - Ihr Streß fatalerweise nicht weniger, sondern mehr werden.

 

Lassen Sie uns das an Herrn Schneider beobachten.

Wir sehen ihn an seinem Schreibtisch sitzen, es ist Montagmorgen, und er ist eingedeckt mit Arbeit bis über beide Ohren. Gerade will er sich Notizen machen, was davon er an die Sekretärin abgeben könnte. In diesem Moment läutet sein Telefon: ein sehr – sehr! - wichtiger Kunde will etwas von ihm, und zwar eigentlich schon vorgestern. Er will nicht nur, sondern er setzt auch die Drohung dahinter, daß die Firma ihn sonst als  Auftraggeber verlieren könnte.

Jetzt geht es los: bei Herrn Schneider setzt die Alarmreaktion voll ein, und er startet die Widerstandsphase (die den Stressor bewältigen soll): er setzt alle Hebel in Bewegung, um den Wunsch des Kunden zu befriedigen.

Gerade mitten im vierten Telefonat kommt die Sekretärin herein und gibt ihm einen Zettel: der Chef versucht die ganze Zeit, ihn zu erreichen, und er ist auf 180: ob er denn die 9-Uhr-Besprechung vergessen hätte?

Ein Blick auf die Uhr: 9 Uhr 23! Alarmreaktion!! Neuerliches Einleiten der Widerstandsphase: Schneider rast zum Chef, entschuldigt sich, der hört ihm gar nicht zu und teilt ihm ziemlich barsch einen Auftrag für heute vormittag zu (Bericht bis spätestens 12.30 auf seinem Schreibtisch; wenn Schneider früher bei ihm gewesen wäre, hätte er ja eine halbe Stunde länger Zeit dafür gehabt!).

 

Alarmreaktion! Widerstandsphase: los geht’s mit dem Bericht, ‚nein‘ sagen steht außer Diskussion, der Alte ist eh schon sauer genug. Kaum am Schreibtisch, läutet das Telefon: die Produktion läßt nachfragen, ob Schneider schon noch bei Trost sei, dem Kunden von vorhin so einen Liefertermin zu versprechen? Wie er sich das denn mit dem anderen Großauftrag von letzter Woche vorstelle, ob denn der Kunde warten könne?

Alarm! Widerstand: Anruf bei dem anderen Kunden, um ihm eine kleine Verzögerung abzuringen. Termin mit der Produktion in 20 Minuten, um das zu koordinieren. Die Sekretärin steht an Schneiders Schreibtisch: ob der Brief an die italienische Tochter wirklich so raus soll, oder ob er sich das vorher noch durchsehen wolle?

Alarm! Widerstand: Nein, warten Sie, Frau Müller, in zwei Minuten bin ich bei Ihnen!!!

Sie sehen: die Streßreaktion kennt nur den Mechanismus Problem-Lösung, Problem-Lösung, Problem-Lösung. Ist man einmal in ihrer reduktionistischen Vereinfachung gefangen, versucht man verzweifelt, komplexe Anforderungen in lauter Einzelprobleme zu zerlegen. Das bedeutet aber, daß kaum jemals etwas wirklich fertig gelöst wird, daß die Situation dadurch immer komplizierter und dadurch erst recht streßerzeugend wird. Außerdem kann nie eine Erschöpfungsphase eintreten, in der der Körper wieder auf seine Normalfunktion ‚abkühlen‘ könnte. Das führt auf die Dauer zum körperlichen Ausbrennen: Sie sind andauernd müde bis zur Erschöpfung – und das, bevor Sie am Morgen zu arbeiten begonnen haben.

Noch schlimmer: Sie haben an den Ergebnissen meiner Untersuchung gesehen: das, was den Manager wirklich an seinem Job reizt, ist eben das ‚Managen‘ – das Handhaben und Lösen von komplexen Situationen und Zusammenhängen. Dazu kommt man in dieser Dauerstreßsituation, in diesem Klein-Klein nicht mehr. Das erzeugt auf die Dauer Frustration, Aggression und à la longue Resignation. Zum körperlichen gesellt sich ein seelisches Ausbrennen mit der akuten Gefahr von Rückzug und innerer Kündigung.

Das ist die persönliche Seite; aber auch auf der Ebene der Organisation, des Unternehmens führt Streß natürlich zu erheblichen Problemen. Nicht nur, daß Herr Schneider zu keinem geregelten Ablauf und seine Abteilung daher nicht zur Erfüllung ihrer Ziele kommt; als Nächstes ist leicht vorstellbar, daß er den Kollegen aus der Produktion, die Sekretärin oder den Kunden anschreit. Konflikte eskalieren zu Krisen; Phänomene wie ‚Mobbing‘ (das Hetzen und Intrigieren gegen Kollegen) oder ‚Bossing‘ (das Hetzen und Intrigieren gegen den Chef) treten auf. Die Folge sind massive Reibungsverluste, geringe Effizienz, hohe Mitarbeiterunzufriedenheit und schließlich verminderter Unternehmenserfolg.

Im Oktober 1995 zitierte die Zeitschrift ‚Psychologie Heute‘ Aussagen von Experten der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO. Diese schätzten damals die durch Streß verursachten Schäden für die deutsche Volkswirtschaft (durch Krankheitskosten, Arbeitsausfälle, unternehmerische Ineffizienz) auf 60 Milliarden DM pro Jahr. 1998, nur drei Jahre später, berichtet die Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ von einer Studie der Fachhochschule Köln, nach deren Berechnungen der durch Streß verursachte Schaden für die deutsche Wirtschaft bereits bei 100 Milliarden Mark jährlich liegt. Auf österreichische Verhältnisse umgerechnet wären das etwa 70 Milliarden Schilling (oder  etwas mehr als 5  Milliarden Euro).

Ganz schön kostspielig, wenn man Menschen keine Unterstützung bei der Bewältigung ihres beruflichen Stresses zukommen läßt – wenn man versucht, das haferfreie Stadtpferd zu züchten. Das gilt natürlich insbesondere für Manager, die ja Multiplikatoren in jeder Hinsicht sind: so wie sich ihre Zuversicht, ihre Visionen, ihre Tatkraft auf ihre Mitarbeiter überträgt, so tut es auch ihr unbewältigter Streß.

Eine Großstudie des Instituts für Arbeits- und Sozialhygiene in Karlsruhe über das Streßverhalten von Führungskräften zeigt erschreckende Zahlen: von den mehr als 6000 untersuchten Managern kommt jeder Dritte (!) mit dem Streß in seinem Berufs-leben nicht zurecht, und ein weiteres Drittel hat dabei mehr oder minder deutliche Schwierigkeiten (nach ‚Psychologie Heute‘, 10/1995). Zwei Drittel der Manager kommen mit ihrem Streß schlecht bis sehr schlecht zurecht! Stellen Sie sich vor, wieviel Sand im Getriebe der Wirtschaft das bedeutet!

 

Was aber sind die Alternativen zu Dauerstreß, zu gesundheitsgefährdender Überlastung, zu effizienzhemmendem seelischem Druck? Leistungsverweigerung durch ‚Aussteigen‘? Alle paar Jahre wieder geistert der Begriff durch die Medien. Seinerzeit war das  Schafezüchten auf dem Biobauernhof in, zur Zeit ist es eher die sonnige Palmeninsel (in diesem Winter tauchte das Thema simultan in Profil, Spiegel und Stern auf). Schon vor 15 Jahren besang die steirische Popgruppe STS diese Sehnsucht: „Irgendwann bleib‘ i dann durt‘.

Abgesehen davon, daß man sich diesen Ausstieg erst einmal leisten können muß, kann das ja auch nicht die Lösung für Menschen sein, die ‚managen‘, also leiten, beeinflussen und bewegen wollen.

Es scheint ja so zu sein, daß wir ein gewisses Maß an Herausforderung und Anspannung durchaus brauchen, um uns in unserem Leben wohl zu fühlen. Nicht umsonst unterscheidet daher die Streßforschung zwischen auslaugendem und krankmachenden ‚Disstreß‘ und dem als positiv erlebten ‚Eustreß‘, dessen Bewältigung man mit Gefühlen von Zufriedenheit und Glück erlebt. Auch den Sängern von STS scheint es so zu gehen: sie treten immer noch auf und veröffentlichen immer noch CDs, nur in dem erwähnten Lied wurde die Zeile ‚Bevor der Herzinfarkt/ mi mit 40 in die Windeln prackt‘ durch ‚... mit 50...‘ aktualisiert.

Aussteigen bleibt also bestenfalls ein Traum. Die wesentlich realitätsnäheren Schlagworte heißen ‚Balancing‘ und ‚Streßmanagement‘. Gemeint ist damit, zwischen Anspannung und Erholung das gesunde Maß zu finden; denn nur eine ausgewogene Mischung zwischen Aktivität und Entspannung hält die Lebensfunktionen in Gang.

Das, was damit gemeint ist, wird mit  drei Begriffen beschrieben: ‚Erholung‘‚ ‚Entspannung‘ und ‚Entwicklung‘.

Zum Wort ‚Erholung‘ brauche ich Ihnen wahrscheinlich nicht viel zu sagen: gemeint damit ist alles, was uns hilft, abzuschalten, Kräfte zu tanken, zu uns selbst zu finden, vom Urlaub über den Waldspaziergang bis zur Partie Golf oder Tennis.

‚Entspannung‘ als gezielte Technik ist der Gegenspieler zur Streßreaktion: hormonelle Veränderungen treten ein, die Skelettmuskulatur entkrampft und lockert sich, Puls und Blutdruck werden gesenkt, die Atemrhythmen werden ruhiger und gleichmäßiger, die Aktivität des Gehirns zeigt Muster, die subjektiv als Gefühle des Wohlbefindens, der Ruhe und der Gelassenheit erlebt werden. Ebenso wie die Streßreaktion ist auch die Entpannungsreaktion ein Muster, das zum natürlichen Verhaltensrepertoire des Menschen zählt.

Entspannung hat längst nicht mehr den Ruf von esoterischem Hokuspokus, sondern gilt als elementarer Bestandteil der Streßbekämpfung. Es gibt sehr viele verschiedene Entspannungsverfahren, vom autogenen Training über verschiedenste meditative Verfahren bis zu Hypnose und Yoga. Interessanterweise haben detaillierte Untersuchungen gezeigt, daß alle diese Verfahren – so unterschiedlich sie in ihrer Technik und ihren spezifischen Effekten sind – doch praktisch ausnahmslos zum gleichen Ergebnis führen: zur ganzheitlichen, Körper und Seele regenerierenden Entspannungsreaktion.

 

Entspannung bewirkt - neben der erwähnten Gegenläufigkeit zur körperlichen Streßreaktion - auch, daß Ihr Denken wieder freier wird und Sie sich dadurch auf die tatsächlichen Probleme konzentrieren können und so weg vom Klein-Klein des Streßmusters kommen.

Beide Elemente, Erholen und Entspannen, sind zentrale Eckpunkte des Streßmanagements. Für sich allein genommen sind es aber nur isolierte Maßnahmen, die zwar kurzfristig Erleichterung und Entlastung bringen, aber noch nicht zu einer langfristigen und dauerhaften Veränderung führen. In diese Richtung zielt das Element ‚Entwicklung‘ im Sinn von Persönlichkeits-Entwicklung und Persönlichkeits–Entfaltung.

Wenn junge indische Elefanten gezähmt und zum Arbeitseinsatz dressiert werden, fesselt man sie an einem Bein mit einem schmerzhaft einschneidenden Metallband an einer Kette. Sobald das Tier versucht, zu fliehen, tut ihm das Bein weh; nur, wenn es geduldig stillsteht, empfindet es keinen Schmerz. Später, wenn die Dressur beendet ist, wird die Kette abgenommen. Der ausgewachsene Elefant wird nur mehr mit einem dünnen Hanfseil am Bein angebunden – ein Hindernis, das er mit Leichtigkeit überwinden könnte. Aber er tut es nicht, weil er die Annahme, daß der Versuch, sich loszureißen, Schmerzen bringen wird, nicht mehr in Frage stellt. Und so ist er in Wirklichkeit kein Gefangener des Hanfseils, sondern seiner eigenen Einstellung und Haltung.

Die unsichtbaren Ketten, mit denen wir Menschen uns fesseln, sind verallgemeinernde Glaubensüberzeugungen, die wir unhinterfragt für wahr halten. Je höher der Streß, desto vereinfachter das Denken (das gehört zur Streßreaktion) – und desto leichter ziehen wir uns auf Glaubenssätze zurück. Reden Sie mit einem beliebigen Menschen, der gerade von seinem Partner oder seiner Partnerin verlassen wurde und dementsprechend unter Streß steht. In aller Regel werden nach wenigen Sätzen die Glaubensüberzeugungen durchschimmern: „Was willst du, so sind die Männer! Können einfach nicht treu bleiben, das liegt in ihrer Natur!“, „So ist das Leben nun einmal – hart und grausam!“, „Was soll’s – ich hab‘ einfach kein Glück bei den Frauen – das war immer schon so!“

Oft sind es erst die Glaubenssätze, die Situationen, die schwierig, anstrengend und kompliziert sind, erst wirklich zum unauflösbaren Streß-Teufelskreis machen.

Gehen wir noch einmal die Szene an Herrn Schneiders Montagmorgen durch, diesmal aber mit einer anderen Kameraeinstellung: wir betrachten ihn sozusagen von innen.

 

Er sitzt also, eingedeckt mit Arbeit, am Schreibtisch und denkt:

‚Oh Gott, die Woche fängt ja schon gut an! Der Erholungswert vom Wochenende ist jetzt schon dahin! Ich muß irgendwas an die Müller abgeben – aber das kenne ich, das wird sowieso nichts. Was man nicht selber macht, das tut einem niemand.‘

Erster Glaubenssatz! Herr Schneider krampft sich ein bißchen weiter ein; eine Erleichterung seiner Situation durch Abgeben von Arbeit, durch Delegieren, ist jetzt nur mehr schwer möglich.

Das Telefon läutet, der wichtige und ungeduldige Kunde ist dran.

‚Das hab‘ ich jetzt noch gebraucht! Was soll ich tun? Und in 10 Minuten ist Chefbesprechung! Warum hilft mir denn keiner??? Aber natürlich – immer wenn’s schwierig wird, muß man allein durch!‘

 

Zweiter Glaubenssatz (der natürlich mit dem ersten verwandt ist): Schneider kann jetzt gar nicht mehr überlegen, ob es nicht vielleicht doch jemanden gäbe, der für ihn den Kunden weiterbetreut oder der für ihn zur Besprechung geht.

 

Der Kunde merkt Herrn Schneiders Druck und setzt noch eins drauf.

‚Hilfe! Ich darf das jetzt nicht vermasseln! Ich muß ihn halten, koste es, was es wolle! Das muß jetzt perfekt über die Bühne gehen!‘

Dritter Glaubenssatz: Schneider kann weder rational überlegen, was das Halten des Kunden wirklich kosten darf und was nicht, noch was Optionen im Falle des Mißerfolgs wären. Er verwickelt sich in logische Widersprüche: Perfektion (soweit so etwas überhaupt menschenmöglich ist) kann man nur unter rationaler Abwägung aller möglichen Varianten erreichen  sicher nicht wenn es gehen muß, ‚koste es, was es wolle‘ (weil man dann in Gefahr ist, wichtige Aspekte zu übersehen).

Herr Schneider setzt also alle Hebel in Bewegung, die ihm einfallen, um den Wunsch des Kunden zu befriedigen.

‚Das dauert wieder! Warum können die in der Produktion sich nicht einmal auf einen Termin festlegen! Warum passiert immer mir so was?‘

 

Glaubenssatz Nummer vier: Zum einen passiert ‚so etwas‘ überhaupt nicht nur Herrn Schneider, sondern ständig und überall. Zum anderen ‚passiert‘ es nicht, so wie Regen oder Sonnenschein passieren, sondern Herr Schneider hat aktiv das seine zu dieser Situation beigetragen (‚Koste es, was es wolle‘, hat er gesagt). Mit dieser Glaubensposition macht er sich zum bedauernswerten Opfer, das eigentlich nicht viel tun kann als zu leiden und zu dulden. Nicht gerade eine günstige Haltung, um ihn aus der Streßspirale herauszuziehen, in die er sich nun immer weiter hineinschraubt.

 

Die Sekretärin kommt herein: er hat die Chefbesprechung vergessen.

‚So, natürlich. Ganz klar. Das hat ja auch noch kommen müssen.‘

Fünfter Glaubenssatz! Was heißt ‚kommen müssen‘? Herr Schneider hat den Termin verschwitzt, ‚gekommen‘ ist gar nichts. Er verstärkt seine passive Haltung und würzt sie noch durch einen guten Schuß sarkastischer Resignation – nicht unbedingt das, was man ‚erfolgsorientiert‘ nennen würde.

Donnerwetter beim Chef, Ausfassen des Berichts mit einer knappen Deadline.

‚Keine Chance, da muß ich durch! Ein ‚Nein‘ schluckt der Alte nie, und jetzt schon gar nicht!‘

 

Nummer sechs: warum soll der Chef ein Nein ‚nie‘ schlucken? Es ist immerhin nicht vollständig auszuschließen, daß er Vernunftargumenten zugänglich ist, auch wenn er schon verärgert ist; jedenfalls ist nicht von vornherein davon auszugehen, daß er die Situation mit dem wichtigen Kunden unter keinen Umständen begreifen kann oder will.

 

Die Produktion ruft an: so geht das nicht mit dem Auftrag, da muß der andere Kunde warten.

Ich schaff‘ das alles einfach nicht! Ich schaff‘ es nicht!!! Ich bin am Ende!

Siebenter (und vielleicht entscheidender) Glaubenssatz: wenn ein Mensch so fest davon überzeugt ist, daß er etwas nicht schafft, dann müßte es schon mit dem Teufel und allen erdenklichen Zufällen zugehen, wenn er es doch schaffen würde.

Immer wieder glaubt Herr Schneider (wie der Elefant) an einer tonnenschweren Kette zu hängen – die bei näherer Betrachtung vielleicht ein Hanfseil, vielleicht auch nur ein Bindfaden oder eine Spinnwebe ist.

Damit will ich nicht sagen, daß all das leicht zu lösen und leicht zu bewältigen ist. Aber es ist zu bewältigen und zu lösen, wenn Herr Schneider seine Einstellungen und Haltungen, seine Herangehensweise an Probleme und Herausforderungen, letztlich seine Lebensgestaltung und seine Karriereplanung verändert: mit einem Wort, wenn er an seiner langfristigen Persönlichkeits-Entwicklung arbeitet.

‚Persönlichkeit‘ meint – kurz gesagt - die Gesamtheit von Denken, Fühlen, Verhalten und Einstellungen, die einen Menschen in seiner Individualität ausmachen, so, wie er sich seiner Umwelt präsentiert und so, wie er sich selbst erlebt.

‚Persönlichkeits-Entwicklung‘ heißt daher ganz allgemein, die Kapazitäten des Denkens und Fühlens zu erweitern, die Einstellungen in positiver Art und Weise zu verändern, um so zu nachhaltig verändertem Verhalten zu finden.

Neuere psychologische Untersuchungen haben eine Persönlichkeitskomponente festgestellt, die in der Bewältigung von Schwierigkeiten, Krisen und Streßsituationen essentiell zu sein scheint: die Resilienz oder Widerstandsfähigkeit. Der amerikanische Familientherapeut Wright erklärt diese Fähigkeit an einem anschaulichen Bild: ein resilienter Mensch ist wie ein Boxer, der im  Ring zu Boden geht, angezählt wird, aufsteht und danach seine Taktik grundlegend ändert. Ein Mensch, der nicht widerstandsfähig ist, ändert seinen ‚Kampfstil‘ nicht und läßt sich erneut niederschlagen (nach Psychologie Heute, 5/1999).

Resilienz wird durch 7 Faktoren definiert:

  • Resiliente Menschen akzeptieren Krisen und die damit verbundenen Gefühle: dieser Aspekt korrespondiert eng mit der Fähigkeit der ‚emotionalen Intelligenz‘, die zur Zeit eine große Rolle in der aktuellen Diskussion spielt.
  • Resiliente Menschen suchen nach Lösungen: gemeint damit sind konstruktive strategisch geplante Lösungen statt dem Klein-Klein der Streßreaktion, das ich vorher beschreiben habe.
  • Resiliente Menschen lösen ihre Probleme nicht allein, das heißt, sie sind bereit, über ihre Sorgen zu sprechen und dafür Rat und Hilfe anzunehmen.
  • Resiliente Menschen fühlen sich nicht als Opfer: die Frage ‚warum gerade ich?‘ stellt sich für sie so gar nicht (weil sie ohnehin müßig ist).
  • Resiliente Menschen bleiben optimistisch.
  • Resiliente Menschen beschuldigen sich nicht selbst, sondern übernehmen statt dessen ihre Verantwortung.
  • Resiliente Menschen planen voraus.

 

Alle diese Fähigkeiten lassen sich erwerben, erlernen, verbessern – entwickeln im Sinne der Persönlichkeits-Entwicklung. Eine professionelle Methode, um diesen Prozeß zu unterstützen, die sich immer weiteren Zuspruchs erfreut, ist das Führungskräftecoaching.

‚Coaching‘ bedeutet nichts anderes als derselbe Begriff im Sport meint: jemand, der Höchstleistungen bringen muß, läßt sich dabei von einem spezifisch qualifizierten Berater unterstützen. Im Unterschied zum internen Coaching für Mitarbeiter, das durch die Führungskraft wahrgenommen wird, empfiehlt es sich, Führungspersonen selbst durch externe Berater coachen zu lassen .

Wie geht nun ein Coach vor, um bei der Entwicklung von Resilienz, von Streß-Widerstandsfähigkeit zu helfen?

 

Herrn Schneiders Chef, der Geschäftsführer des Unternehmens, empfiehlt ihm, wegen seiner akuten Überlastungsprobleme einen Coach zu konsultieren.

Nach einigen Informationsfragen über Herrn Schneiders Stellung im Unternehmen, seinen Arbeitsauftrag und Ähnliches kommt der Psychologe zur Sache:

C: Herr Schneider, was genau ist denn Ihr Problem?

Sch: Ich würde sagen, ich fühle mich von früh bis spät überfordert.

C: Meinen Sie, Sie fühlen sich für Ihre Arbeit nicht kompetent genug?

Sch: Wenn Sie inhaltlich kompetent meinen, da eigentlich im Prinzip schon. Aber – ich würde sagen, organisatorisch ist mir das alles über den Kopf gewachsen.

C: Was ist ‚das alles‘?

Sch: Na alles eben – vom ersten Telefonat bis zum letzten.

C: Herr Schneider, wir müssen zu genaueren Problemdefinitionen kommen. Sie sind hier, um Dinge zu verändern, die Ihnen Unbehagen bereiten. Aber ‚alles‘ ist zu global. Alles kann man nicht verändern.

Sch: Ich weiß auch nicht recht – es ist halt so viel, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.

C: Das klingt so, als ob eines ihrer Probleme darin besteht, Struktur und Ordnung in die Dinge zu kriegen.

Dem stimmt Herr Schneider zu und fühlt zu seiner Überraschung Erleichterung –obwohl er sich von dem Coaching eigentlich nicht viel erwartet hat.

Ein Grund für diese Erleichterung hat mit dem 3. Aspekt der Resilienz zu tun: resiliente Menschen lösen ihre Probleme nicht allein – oder umgekehrt: wenig resiliente Menschen leiden darunter, daß sie glauben, ihre Probleme allein lösen zu müssen. Der Manager, der zum Coach kommt, soll ein Gefühl des Vertrauens bekommen können, daß er seine Schwierigkeiten nicht mehr ganz alleine lösen muß, sondern daß ihm jemand dabei zuhört, ihn versteht und ihm Hilfestellung gibt.

Der zweite Grund ist, daß er ein Stückchen von der Streßreaktion wegkommt, indem er wieder anfängt, zu denken und zu reflektieren. Damit ist er nicht mehr unmittelbar im Streßgeschehen drin und kann differenzieren statt verallgemeinern.

In dieser kurzen Gesprächssequenz klangen bereits 3 wesentliche Elemente von Coachingprozessen an:

  • 1. eine Vertrauensbeziehung herstellen (um frei über alle Ängste und sorgen reden zu können)
  • 2. die Denkfähigkeit stärken (als entscheidende Lösungsvoraussetzung)
  • 3. Probleme und Ziele klar definieren

Um sich ein genaueres Bild von der Situation Herrn Schneiders zu machen, bittet ihn der Coach in der zweiten Sitzung, eine typische Problemsituation aus seinem Berufsalltag zu schildern. Herr Schneider beschreibt genau die Sequenz, die wir bereits zweimal aus verschiedenen Kameraperspektiven mitverfolgt haben.

C: Gut, Herr Schneider. Beim letzten Mal haben wir als ein Ziel definiert, Struktur und Ordnung in die Dinge zu kriegen. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe, daß Sie das in so einer Situation nicht schaffen?

Sch: Weil’s eben alles zu viel ist.

C: Zu viel für einen einzelnen Menschen?

Sch: Weiß ich nicht. Zu viel für mich, jedenfalls. Ich schaff‘ das alles halt nicht.

C: Also das Quantum an Arbeit ist zu groß? Wenn es weniger wäre, würden Sie es schaffen?

Sch: Hm – gute Frage. Man denkt sich immer, weniger müßte es sein, dann würde man es schon in den Griff kriegen. Aber dann wäre es immer noch so viel, daß man alles gleichzeitig bedenken müßte ...

C: Und?

Sch: Geht das überhaupt, so viel gleichzeitig zu bedenken?

C: Sie meinen, ob Menschen komplexe Situationen beherrschen können? Grundsätzlich ja. Es gibt Menschen, die das können – sogar eine ganze Menge.

Sch: Das stimmt, sie haben recht. Aber ich – ob ich das kann?

 

Zwei weitere Prinzipien eines Coachingprozesses sind:

  • 4. Vom Allgemeinen zum Spezifischen zu kommen (denn Probleme sind immer nur spezifisch, nie allgemein lösbar) und
  • 5. Persönliche Verantwortung zu stärken: niemand anderer kann ein Problem für mich lösen; wenn, dann kann nur ich selbst das tun.

Zurück zur Unterhaltung zwischen Herrn Schneider und seinem Coach. Herr Schneider hatte gerade die Frage aufgeworfen, ob er persönlich komplexe Situationen beherrschen könne.

C: Und – denken Sie, daß Sie das grundsätzlich können?

Sch: Da bin ich mir nicht so sicher ...

C: Und warum sollen Sie’s nicht können?

Sch: Weil – jetzt ist mir spontan in den Sinn gekommen: Weil ich zu dumm dafür bin.

C: Herr Schneider, es gibt zwei Gründe, aus denen ein Mensch Dinge kann oder nicht kann: der eine hat mit seinen angeborenen und erlernten Fähigkeiten zu tun – der andere, mit dem was er glaubt. So lange Sie daran glauben, daß Sie etwas nicht können, werden Sie es auch nicht können, auch wenn Sie die dementsprechenden Fähigkeiten hätten.

Sch: Und wenn ich es aber nun wirklich nicht kann?

C: Das ist natürlich nicht auszuschließen. Solange Ihr Glaubenssatz ‚Ich bin zu dumm‘ aber alles andere überdeckt, ist es schwer, herauszufinden, was Sie können und was nicht, beziehungsweise was Sie noch lernen können oder lernen müssen.

Destruktive Glaubenssätze sind wie Kleister - sie verkleben das Gehirn und erschweren das Denken und Handeln. Oder ein anderes Bild: sie sind wie der schlammige Bodensatz eines ansonsten klaren Teiches. Wenn der Schlamm aufgewühlt wird, ist das Wasser getrübt, und man kann nicht herausfinden, was drin ist und was nicht.

Das nächste (und zugleich zentrale) Prinzip des Coachingprozesses ist daher

  • 6. Glaubenssätze zu enttrüben und zu entkräften.

Wenn Sie wollen, machen Sie sich die Mühe und achten Sie ein, zwei Stunden lang in einer anstrengenden Situation darauf, ob und wie oft Sie innerlich mit einem destruktiven Glaubenssatz in Berührung kommen. Dafür gibt es ein paar Kennzeichen:

  • Wenn man einen Glaubenssatz zu sich sagt, redet man sich oft innerlich per ‚Du‘ an (statt mit ich); z.B.: ‚Das schaffst Du nie!‘ oder ‚Das mußt Du perfekt hinkriegen!‘
  • Glaubenssätze sind immer Verallgemeinerungen (das signalisieren Ausdrücke wie ‚nie‘, ‚immer‘, ‚alle anderen‘, ‚nur ich‘, ‚immer ich‘; mein Vater pflegte in Streßsituationen zum Beispiel zu sagen ‚Das kann kein Mensch!‘); oft sind Glaubenssätze Redewendungen, Lehrsätze oder Sprichwörter (‚So ist das Leben – hart und ungerecht!‘); einer der Lieblingssprüche meiner Mutter war ‚Man ist nicht zum Vergnügen auf der Welt!‘
  • Glaubenssätze beziehen sich fast immer auf folgende drei Dinge: mich, die Anderen und die ganze Welt bzw. das ganze Leben
  • Destruktive Glaubenssätze werden fast immer von unangenehmen Gefühlen wie Ärgerlichkeit, Hilflosigkeit, Verzagtheit, Verzweiflung begleitet.

 

Ein Mensch, der in Streß kommt, muß auf eine bestimmte Anforderung oder auch Herausforderung reagieren (z.B. Herr Schneider auf den Kunden, der schnell etwas von ihm will). Diese Herausforderung an sich ist nicht gut und nicht schlecht, die ist so, wie sie ist. Die Frage, wie ich darauf reagiere, ist zum einen von meinen realen beruflichen und menschlichen Fähigkeiten abhängig, zum anderen in hohem Maß von meiner subjektiven Einstellung zum Problem. Und diese subjektive Seite sind meine Glaubenssätze: wie sehr ich an meine Lösungskompetenz glaube oder nicht.

Sie haben an unseren Aufnahmen mit der inneren Kamera gesehen, wie bei Herrn Schneider die Glaubenssätze nur so herunterprasseln – je stressiger die Situation, desto mehr. Ein entscheidender Faktor zur Resilienz, zur Widerstandsfähigkeit gegen Streß, besteht darin, seine inneren destruktiven Glaubenssätze zu enkräften und durch positive zu ersetzen.

Warum aber haben Menschen überhaupt destruktive Glaubenssätze und warum aktivieren sie sie gerade unter Streß?

Denken Sie an das Bild mit dem Elefanten. Wie er müssen wir uns in frühen Phasen unseres Lebens mit schwierigen Situationen zurechtfinden: mit Eltern, die zuwenig Zeit haben, mit Lehrern, die zu hohe Anforderungen stellen, mit Gleichaltrigen, die uns verspotten und noch vielen anderen Faktoren. Der Elefant versucht, sein Schicksal zu mildern, indem er sich mit seiner Kette abfindet: so ist es eben, ich bin gefangen, was soll ich mich dagegen auflehnen. Das Kind, das von anderen Kindern immer gehänselt wird, weil es so klein ist, versucht auch, mit einem Glaubenssatz sein Leben leichter zu machen: was soll’s, ich bin eben eine lächerliche Figur, wirklichen Erfolg haben nur die anderen; besser, ich stelle mich von vornherein darauf ein.

Diese frühen Denk- und Erklärungsmuster über sich selbst, über andere Menschen und über die Welt graben sich sehr, sehr tief in unsere Erinnerungsspuren ein. Sie wurden zur Bewältigung von Streßsituationen geschaffen – also ist es nur logisch, daß sie in Streßsituationen wieder auftauchen. Das tun sie umsomehr, als ja die körperliche Streßreaktion Vereinfachungen und Verallgemeinerungen im Denken braucht, um schnelle Lösungen herbeiführen zu können.

Diese frühen Muster sind also gewissermaßen der Schlamm im Teich unseres klaren Bewußtseins, der bei Streß aufgewühlt wird und unsere objektiven Fähigkeiten zu denken und zu handeln trübt.

Es gibt im Prinzip zwei Möglichkeiten, Glaubenssätze zu enttrüben und zu entkräften: das eine ist die Konfrontation mit der realen Logik (so, wie ich vorhin in meinen Anmerkungen zu inneren Kameraposition Herrn Schneiders 7 Glaubenssätze entkräftet habe). Eine solche Konfrontation kann beispielsweise so aussehen:

C: Sie denken, Sie sind zu dumm dafür, komplexe Situationen zu lösen? Wie haben sie es denn bis dorthin geschafft, wo Sie jetzt sind? Haben sie geblufft, oder waren die anderen alle blind? Oder war es Bestechung?

Sch (lacht; oft ein deutliches Zeichen dafür, daß die Denkfähigkeit wieder einsetzt): Nein, ich glaube eigentlich nicht, daß es eine Frage der Dummheit ist. Vielleicht eher eine Frage der mangelnden Erfahrung, und das macht mir dann Angst.

C: Und die blockiert Sie dann.

Die zweite Möglichkeit, Glaubenssätze zu entkräften, besteht darin, sozusagen dem Elefanten zu zeigen, daß er  in Wirklichkeit nicht mehr an der Kette hängt.

 

  • 7. Das Entkoppeln von Gegenwart und Vergangenheit

ist das nächste Element im Coachingprozeß. Das erfordert allerdings etwas Fingerspitzengefühl und auch eine bereits gewachsene Vertrauensbeziehung zwischen Coach und Manager.

C: Herr  Schneider, Sie glauben so hartnäckig immer wieder daran, daß Sie zu dumm sind oder daß Sie ein Versager sind. Wie lange in ihrem Leben denken Sie denn schon so?

Sch: Hm – eigentlich so lange ich mich zurückerinnern kann ...

C: So was denkt ein Mensch ja nicht aus Lust und Laune. Jeder würde lieber von sich denken, daß er klug und erfolgreich ist. Wie kommt es, daß Sie gelernt haben, so wenig von sich zu halten?

Sch: Wenn Sie mich so fragen – wie soll jemand von sich was halten, von dem kein Anderer etwas hält?

C: Erzählen Sie mir mehr darüber.

Sch: Mein Vater wollte aus mir immer einen ‚Superburschen‘ machen – so hat er das genannt. Ich war ihm viel zu schwächlich und viel zu langsam.

C: Was Sie gemacht haben, war nie gut genug.

Sch: Nie!

C: Und was hat er getan, wenn es nicht gut genug war – wenn Sie nicht gut genug für ihn waren?

Sch: Verschieden. Gespottet, geschimpft, aber das Schlimmste war, wenn er gesagt hat: ein trauriges Schicksal.

C: Ein trauriges Schicksal?

Sch: So einen Sohn zu haben wie mich.

C: Und wie war das für Sie – wie haben Sie sich gefühlt?

Sch: Schrecklich. Alleingelassen. Hoffnungslos.

C: So wie in ihren beruflichen Streßsituationen?

Sch (denkt nach): Sie haben recht! Das macht mich jetzt ganz schön betroffen!

C: Erinnern Sie sich an die Glaubenssätze, die wir bei der Analyse Ihres Montagmorgens herausgefunden haben, Herr Schneider? ‚Keiner hilft einem – da muß man alleine durch!‘ oder ‚Ich darf das nicht vermasseln! Das muß perfekt über die Bühne gehen!‘

Sch: Oder ‚Warum passiert mir immer so was?‘ oder ‚Ein ‚nein‘ schluckt der nie!‘ ...

C: Und vor allem ‚Ich schaff‘ das einfach nicht!‘

Sch: Paßt alles haarscharf auf meinen Vater!

C: Paßt vor allem haarscharf auf die Situation des kleinen Buben, der Sie waren.

(Pause, Sch. ist sichtlich betroffen)

C: Was geht in Ihnen vor, Herr Schneider?

Sch: Ich bin sehr nachdenklich. Daß das so lange nachwirken kann! Und so viele traurige Erinnerungen!

(Pause)

C: Und so viele Chancen, die Gegenwart anders zu gestalten.

Sch: Sie haben recht!

In einem nächsten Schritt –

  • 8. Neulernen

- geht es um das Sammeln, Einüben und Verwerten von neuen Erfahrungen, mit dessen Hilfe Herr Schneider mehr und mehr seine Glaubenssätze und Streßmuster verlernen kann. Dem Coach kommt dabei die Aufgabe zu, Herrn Schneider immer wieder zu ermutigen, zu bekräftigen und ihn beim Bewältigen von Frustrationen zu unterstützen.

 

Dabei spielt

 

  • 9. Das Finden neuer, positiver Glaubenssätze

eine zentrale Rolle. Herr Schneider sucht sich verschiedene positive Leitsätze – man könnte auch sagen ‚Erlaubnisse‘. Er fertigt sich dazu am PC Cartoons an, die er an seine Pinwand hängt. Hier sind die beiden wichtigsten davon:

Einen zehnten und letzten Punkt möchte ich schließlich noch erwähnen:

  • 10. Die Umgestaltung des außerbetrieblichen Umfelds

Wenn Herrn Schneiders beruflicher Veränderungsprozeß nachhaltig sein soll, muß er sein ganzes Leben umgestalten: das heißt, er muß lernen, auf Erholungsphasen, Urlaube, Ausgleich, Hobbys zu achten. Das heißt aber noch wichtiger, daß er seine privaten Beziehungen zu seiner Frau, seinen Kindern, seinen Freunden so gestaltet, daß er genug Zeit und Raum für diese Menschen schafft. Nur so kann er den nötigen Rückhalt und die emotionale Stabilität bekommen, die er für die Herausforderungen seines Manageralltags braucht. Und positive und nahe soziale Beziehungen sind ein wesentlicher Faktor zur Selbstmotivation.

Coaching ist keine Psychotherapie, zwischen diesen beiden Prozessen bestehen scharfe Abgrenzungen. Coaching ist kein Instrumentarium für nachhaltige Störungen der Persönlichkeit, sondern ein hochspezifischer handlungsorientierter Prozeß zur Erhöhung der beruflichen Effizienz. Der primäre Fokus ist nicht die Bewältigung einer traumatischen Vergangenheit, sondern die aktive Auseinandersetzung mit der Gegenwart.

Die Dauer von Coachingprozessen kann sehr unterschiedlich zu sein, in Abhängigkeit von den definierten und vereinbarten Zielen. Manche umfassen nur vier bis fünf Stunden, manche Führungskräfte begreifen Coaching als eine kontinuierliche und regelmäßige Begleitung ihres ganzen Berufslebens. „Für den Körper gehe ich regelmäßig joggen, für die Seele zum Coach.‘ drückte es unlängst ein Manager aus der Industrie aus.

Ein Persönlichkeits-Entwicklungs-Prozeß, um mit Streß sinnvoller umgehen zu können wie bei Herrn Schneider, ist mit etwa ein bis eineinhalb Jahren bei Sitzungen etwa alle 2 bis 3 Wochen zu veranschlagen. Das mag auf den ersten Blick lange klingen, ist es aber nicht wirklich, wenn man bedenkt, daß die zentralen Glaubenssätze, um die es dabei geht, ja oft ein Leben lang eingelernt wurden. Die ersten Veränderungen und Erfolge passieren ja nicht erst nach diesem Zeitraum, sondern in aller Regel schon sehr bald. Und vor allem ist es ein spannender, manchmal anstrengender, manchmal beglückender, in jedem Fall ein herausfordernder Prozeß, in dem oft ganz unglaubliche persönliche Ressourcen sichtbar werden.

 

 

Seite drucken Seite weiterleiten
nach oben