11. BEZIEHUNGSORIENTIERTE KURZZEITTHERAPIE
Vortrag auf dem Symposium ‘Psychotherapie‘
Hannover, November 1998
Von der Möglichkeit, kurzfristige beziehungsorientierte psychotherapeutische Behandlung durchzuführen, wurde ich selbst überrascht, man könnte fast sagen, überrumpelt.
Vor ungefähr 3 Jahren kam eine etwa 35-jährige Frau zu mir in die Praxis: sie war seit etwa einem Jahr geschieden und lebte mit ihren drei kleinen Kindern; ihr Ex-Mann übernahm sehr wenig Verantwortung für diese Kinder und kümmerte sich wenig um sie. Sie selbst hatte seit kurzem wieder eine Beziehung zu einem Mann, von dem ihr aber ziemlich klar war, daß sie ihn nicht liebte.
„Im Prinzip will ich mit diesen zwei Männer in meinem Leben besser zurechtkommen, und auch mit meinen Kindern – und so mit meinem Leben überhaupt.“ sagte sie in der ersten Stunde.
Nun, keine besonders ungewöhnlichen Anliegen für eine Psychotherapie, und erfreulich, wie klar die Frau ihre Wünsche formulieren kann, werden Sie sagen – und auch ich dachte das. Aber natürlich, natürlich, meldete sich mein therapeutisches Über-Ich im Hintergrund – die Zusammenhänge mit ihrer Lebensgeschichte, mit ihrer Kindheit, die sind ihr wahrscheinlich noch nicht recht klar. Zum Beispiel steckt hinter diesen Männerbeziehungs-Problemen vermutlich eine gestörte Beziehung zu ihrem Vater. Und dieses ‚mit dem Leben zurechtkommen‘ – klingt sehr nach einer genügsamen, unterwürfigen Mutter, die ihr kein besonders taugliches Modell für ihr Frau-Sein war. Und, wer weiß, vielleicht lauert hinter diesen so plausiblen Zielen ja eine handfeste Depression... alles in allem, na ja, zwei, drei Jahre wird die Sache wahrscheinlich schon dauern.
So halb ironisch ich das jetzt auch sage – so ernsthaft war dennoch meine Haltung dahinter, die ich in den Jahren meiner Arbeit als Psychotherapeut bis dahin entwickelt hatte.
Als ich – vor bald 20 Jahren – Transaktionsanalyse entdeckte, nach einem Psychologiestudium an einem damals stark psychoanalytisch geprägten Institut, war ich fasziniert von den Möglichkeiten, die sie anzubieten schien: schnell auf den Punkt zu kommen, mit klaren Konzepten, an den Verstand gerichtet – mit dem von ihrem Begründer Eric Berne postulierten Ideal der ‚Heilung in einer Stunde‘. Also begann ich meine Ausbildung. In einem langen Prozeß, beeinflußt durch eigene Therapieerfahrung, durch Arbeit mit Drogenabhängigen und psychiatrischen Patienten, in vielen Diskussionen und Auseinandersetzungen mit KollegInnen, veränderte ich diese Haltung. Ich erkannte, daß Menschen Zeit brauchen, um ihre Wunden heilen zu lassen, daß sie vor allem die Erfahrung einer heilsamen neuen Beziehung machen müssen, um sich mit ihren lebensgeschichtlichen Defiziten auseinanderzusetzen, um diese zu bewältigen und letztlich ihre Gegenwart und Zukunft anders gestalten zu können. Ich wurde viel geduldiger und barmherziger mit meinen Patienten, wenn sie nicht bereit waren, sich in einer Stunde oder zumindest nicht viel mehr heilen zu lassen – und dadurch natürlich auch barmherziger mit mir als Psychotherapeut. Ich schrieb ein Buch, ich hielt Vorträge, ich verfaßte Artikel, organisierte Tagungen und bildete PsychotherapeutInnen aus und weiter – und überall legte ich ausführlich die Vorzüge beziehungsorientierter langfristiger Einzel-, Paar- und Gruppenpsychotherapie und ebensolcher Supervision dar. Ich fand wieder zurück zur Psychoanalyse, die meine ersten Studienjahre geprägt hatte, und ich legte mich auch selbst auf die Couch.
All das, denke ich, hat meine Arbeit als Psychotherapeut sehr verbessert und sehr intensiviert. Und zugleich habe ich vielleicht auch etwas mehr von meinen frühen TA-Erfahrungen über Bord werfen wollen als nötig und dabei etwas zu simple Kausalitäten aufgestellt:
PSYCHISCHES LEIDEN ENTSTEHT DURCH DEFIZITÄRE BEZIEHUNGSERFAHRUNG
ZUR HEILUNG GEHÖRT ESSENTIELL HEILENDE BEZIEHUNGSERFAHRUNG
daher
PSYCHOTHERAPIE MUSS BEZIEHUNGSORIENTIERT SEIN
BEZIEHUNGSORIENTIERT = LANGFRISTIG
und im Umkehrschluß
KURZFRISTIGE PSYCHOTHERAPIE = BEZIEHUNGSFEINDLICH
JE LÄNGER DAUERND, DESTO BEZIEHUNGSORIENTIERTER
UND DARUM HEILUNGSINTENSIVER
So viel zu dem ideologischen Background, mit dem ich damals die Psychotherapie mit der Frau begann, von der ich Ihnen erzählte.
Da hier nicht Zeit und Raum für eine ausführliche Falldarstellung ist, nur ein paar Aspekte meiner Arbeit mit ihr; nennen wir sie der Einfachheit halber Frau D.
Frau D.‘s Ehe war, wie gesagt, vor etwa einem Jahr nach vielen Schwierigkeiten geschieden worden. Aus ihrer Sicht war ihr Mann immer liebloser und gleichgültiger geworden, ihr und auch den Kindern gegenüber. Seit der Scheidung kümmerte er sich so gut wie gar nicht mehr um die Kinder, worunter diese sehr litten. Daraus resultierte Frau D.‘s erste Frage an mich: „Wie bringe ich meinen Ex-Mann dazu, daß er sich mehr um die Kinder kümmert?“
Seit einiger Zeit hatte sie eine neue Beziehung zu einem ebenfalls geschiedenen Mann, der sie sehr bedrängte, bald mit zusammenzuziehen und womöglich zu heiraten – was für Frau D. wesentlich zu schnell war. Ihre zweite Frage: „Wie bringe ich meinen Freund dazu, mir Zeit zu lassen?“
Frau D. hatte – was mich zwar überraschte, was ich aber vorerst nicht weiter kommentierte – von Anfang an ein Heft herausgezogen, in dem sie meine Bemerkungen, Kommentare, Fragen, Überlegungen und so weiter eifrig mitschrieb. Als ich sie darauf hinwies, daß sie ihre Veränderungswünsche offensichtlich darauf bezogen, das Verhalten anderer ( der ‚2 Männer in ihrem Leben‘) effektiver zu beeinflussen, hielt sie das erste Mal in ihrer Mitschrift an und sah mich nachdenklich an.
„Das ist ein Gedanke, der mir auch schon öfter gekommen ist – ob ich nicht viel Energie darauf verwende, auf andere zu schauen, auf das, was sie sagen, was sie tun und was sie möchten.“
„Andere überhaupt oder andere im Sinn von Männern?“
„Schon eher im Sinn von Männer. Männer, die wichtig sind für mich.“
Aus einer spontanen Eingebung heraus beschloß ich, auf ihr Mitschreiben Bezug zu nehmen und sagte:
„Frau D., mir ist aufgefallen, daß sie seit dem Beginn unserer Gespräche (Anm.: wir sind in der 3. Sitzung) sehr genau mitschreiben, was ich sage. Könnte da auch ein Zusammenhang bestehen dazu, daß Sie viel Energie darauf verwenden, zu schauen, was Männer, die Bedeutung für Sie haben, tun oder sagen?“
Wenn sie es gewohnt sind, bei der Reflexion psychotherapeutischer Prozesse in Kategorien von Übertragung und Gegenübertragung zu denken – in den Dimensionen, die sich damit beschäftigen, wie sich frühere Beziehungserfahrung in der Beziehungsgestaltung im Therapieprozeß widerspiegelt, dann werden Sie vielleicht denken: ganz schön schnell, dafür, daß das die dritte Stunde ist. Das war es jedenfalls, was ich dachte, als ich das Experiment dieser Intervention setzte. Und doch setzte ich sie nicht aus einer Laune, sondern in der ziemlich sicheren Einschätzung, Frau D. sei reif für diese Intervention und imstande, damit etwas anzufangen.
Lassen Sie uns einen kurzen Blick darauf werfen, worin denn der Prozeß beziehungsorientierter Psychotherapie überhaupt besteht.
Man kann sagen, daß in diesem Verfahren verschiedene Stränge zuerst eher nebeneinander bestehen, um allmählich miteinander verflochten zu werden. Ich will diese Stränge jetzt nicht alle aufzählen (dafür verweise ich auf meinen Beitrag zum 19. Kongreß der DGTA im kommenden Mai in Berlin über ein Metamodell zur Integration transaktionsanalytischer Methoden). Einige von ihnen sind beispielsweise die Art und Weise, wie der/die KlientIn mit sich selbst umgeht, wie er/sie seine/ihre Beziehungen zu anderen Menschen gestaltet, wie die frühen Beziehungserfahrungen dieser Person ausgesehen haben – und ein ganz wesentlicher ist der der Beziehung zwischen KlientIn und TherapeutIn, der Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung.
Diese Stränge – und noch einige mehr - werden allmählich zu einem ganzheitlichen Veränderungsprozeß der Person und ihrer Beziehungsfähgkeit und Beziehungsgestaltung zusammengebunden. In all diesen Punkten passiert letztlich – explizit oder implizit – Veränderung.
Grundsätzlich ging (oder geht) man in der Psychotherapie generell davon aus, daß der Strang der Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung und der Veränderungsprozeß, der über ihn aktiviert wird, viel Zeit in Anspruch nehmen (im Unterschied zu Veränderungsprozessen, die beispielsweise auf das Verhalten fokussieren). Der Hintergrund für diese Annahme ist folgender: in der Beziehung zum/r Therapeuten/in werden unbewußt frühe destruktive Beziehungsinhalte reaktiviert; über das Bewußtmachen dieser Inhalte wird ein Erkennen und Verarbeiten ebendieser frühen Beziehungserfahrungen möglich. In den tiefenpsychologischen Verfahren, die auf dieser Grundlage vorgehen, wird als mehr oder minder unveränderliches Axiom gesehen, daß die Entfaltung dieser Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung Zeit braucht und ihr Bewußtwerden durch Deutung und Konfrontation noch länger. Diesen Strang der Therapie läßt man daher längere Zeit eher implizit und nur vom Therapeuten wahrgenommen mitlaufen, bevor er – quasi dann zur Hauptstraße beziehungsorientierten Vorgehens werden – ins Zentrum des Geschehens gerückt wird.
Genau von dieser Regel bin ich abgewichen, indem ich bei Frau D. sehr frühzeitig (in der 3. Stunde) und sehr unmittelbar darauf hinwies.
Hier noch einmal meine Intervention:
„Frau D., mir ist aufgefallen, daß sie seit dem Beginn unserer Gespräche sehr genau mitschreiben, was ich sage. Könnte da auch ein Zusammenhang bestehen dazu, daß Sie viel Energie darauf verwenden, zu schauen, was Männer, die Bedeutung für Sie haben, tun oder sagen?“
Ihre Reaktion darauf war durchaus erfrischend:
„Natürlich könnte ein Zusammenhang bestehen – wenn wir davon ausgehen, daß Sie ein Mann sind, der Bedeutung für mich hat. Aber als mein Therapeut haben Sie das ja naturgemäß.“ (wozu sie mich sehr offen und direkt anlächelte)
„Ich gehe einmal davon aus, daß es für einen Menschen eine Bedeutung hat, in Therapie zu gehen und auch eine Bedeutung, was dieser Therapeut sagt oder tut. Aber ich meine ganz bewußt nicht die Bedeutung als Therapeut, sondern die als Mann. Was waren eigentlich Ihre Gründe, zu einem Mann und nicht zu einer Frau in Therapie zu gehen?“
„Das war für mich ohne zu überlegen klar. Eigentlich komisch, wenn ich so überlege, aber ich habe mir gedacht: was soll mir eine Frau da schon helfen können? Wirklich helfen kann mir nur ein Mann!“
„Wirklich helfen kann mir nur ein Mann... Was sagen Sie denn selbst, als Frau, zu so einer Aussage?“
„Ja, Sie haben recht, eigentlich ist mir sowas zuwider. Wenn eine andere Frau so etwas sagen würde, wäre ich wahrscheinlich empört über so eine Abwertung. Warum sollte eine Frau nicht auch hilfreich sein können?“
„Ich gebe Ihnen völlig recht – auf der Sachebene. Und doch scheint es da einen tiefverwerwurzelten Glauben zu geben...“
„...daß nur Männer das einzig Wahre sind. Idiotisch, ja, aber so kommt es mir immer wieder vor. Und darum mache ich mich dann so abhängig von ihnen.“
„Und wo könnte so ein tiefverwurzelter Glauben herkommen?“
Damit bin ich gewissermaßen wieder beim orthodoxen Vorgehen angelangt: durch gezielte Fragen Frau D. auf die Herkunft dieser Übertragungsspur hinzuführen, damit sie erkennen kann, daß sie da etwas aus der Geschichte ihrer frühen Beziehungsmuster wiederholt.
Ihre Antwort allerdings scheint zu bestätigen, daß mein Aufgreifen der Übertragung tatsächlich zu früh war: sie sagt, da brauche sie Zeit, um darüber nachzudenken, sie wolle es sich bis zur nächsten Stunde überlegen.
Meine Vermutung, in der darauffolgenden Sitzung werde das Thema vorerst vom Tisch sein und erst in einige Zeit wieder aufgreifbar werden, erweist sich aber als völlig unzutreffend: Frau D. erzählt voller Eifer, die Frage der letzten Stunde habe sie die ganze Zeit über beschäftigt und sie sei zu einigen hochinteressanten Ergebnissen gekommen, die bis in ihre Kindheit zurückreichten und die sie mir gerne mitteilen würde.
Und dann erzählt sie, daß ihre Mutter eine sehr depressive und überforderte Frau gewesen sei – „eigentlich die meiste Zeit handlungsunfähig“, sagt Frau D. Die kleinsten Anforderungen, wie zum Beispiel Unterstützung bei den Schulaufgaben oder das Versorgen von alltäglichen kleinen Verletzungen ihrer Kinder seien für sie nahezu unlösbare Anforderungen gewesen, über die sie regelmäßig in Tränen ausgebrochen sei. Von daher komme wohl ihr Bild, daß Frauen völlig inkompetent seien, wenn es um Problemlösungen gehe. Und gleichzeitig, sagt sie, habe ihr Vater dadurch eine enorme Bedeutung bekommen – „wir alle haben ja immer nur darauf gewartet, daß er heimkommt, in der Hoffnung, er würde besser mit dem allem zurechtkommen.“ Aber das habe sich als Irrtum herausgestellt; Frau D.‘s Vater habe zwar nach außen hin Lösungskompetenz vermittelt, in Wirklichkeit seien seine ‚Lösungen‘ allerdings genauso untauglich gewesen wie die der Mutter. Zudem sei er allerdings so rechthaberisch gewesen, daß er nicht einmal einsehen habe können, daß er sich geirrt habe. Ob ich ein Beispiel dafür hören wolle (und es gebe Dutzende davon)?
„Meine jüngere Schwester hat sich einmal die Hand gebrochen, das heißt, sie ist wo runtergefallen und hat Schmerzen gehabt und meine Mutter ist ausgeflippt, hat zu heulen angefangen, was sie denn jetzt tun soll und überhaupt, wieso immer ihr so etwas passiert und so weiter. Schließlich hab‘ ich meinen Vater im Büro angerufen, der ist sofort höchste Eisenbahn nach Hause gekommen, hat sich die Hand angesehen und hat gesagt – da ist gar nichts, ein bißchen Salbe und meine Schwester soll sich ansonsten nicht so anstellen. Eine Woche später, wie die Hand schon ganz grün und blau und fast doppelt so dick war, bin ich schließlich mir ihr zum Arzt gegangen (Anm. Frau D. war 13). Der hat mich dann völlig fertig gemacht, was uns denn einfällt, die Hand nicht zu behandeln. Die Hand hat dann schließlich in Narkose noch einmal gebrochen werden müssen, weil die Knochen ganz falsch zusammengewachsen sind. Und mein Vater schließlich hat wieder mich angebrüllt, was ich denn mit der Schwester beim Arzt verloren hätte, die Hand sei doch erst jetzt gebrochen, weil man sie unsachgemäß versorgt hätte.“
Ich h war beeindruckt von dieser intensiven Selbstanalyse und pflichtete Frau D. in ihren Überlegungen – über die Ursachen ihres Mißtrauens Frauen gegenüber – bei.
Nach ‚klassischer‘ übertragungsorientierter Psychotherapie wäre es jetzt angebracht gewesen, bei der Mutter zu bleiben, Frau D.‘s Geschichte mit ihr und vor allem ihre Gefühle dazu weiter zu explorieren und durchzuarbeiten. ‚Frauen taugen nicht zum Lösen von Problemen‘ – das ist der Glaubenssatz, den sie aus dem Verhalten ihrer Mutter abgeleitet hat. Das ist sicher eine schmerzvolle Geschichte gewesen, und sie hat dazu geführt, daß Frau D. viel schneller erwachsen werden mußte, als ihr guttat. Mit diesem Schmerz könnten wir uns jetzt natürlich befassen; dann würden wir mit dem Material gehen, daß die Klientin – vordergründig – als erstes anbietet. Das würde der Technik langfristiger tiefenpsychologischer Psychotherapie entsprechen: in vielen Schleifen allmählich an den Kern der Sache zu kommen und die vielen einzelnen Fäden allmählich zu einem ganzen zu binden. Erst wenn das Thema ‚Vater‘ quasi von selbst in den Vordergrund gerückt wäre, wäre es an der Zeit gewesen, sich damit zu befassen.
Allerdings war der Ausgangspunkt dieser Überlegungen Frau D.‘s Haltung zu Männern (konkret mir gegenüber) gewesen, ausgehend auch von ihrem Ziel, mit den Männern in ihrem Leben ‚besser zurechtzukommen‘. Wieder entschied ich mich daher zu unorthodoxem Vorgehen.
„Frau D., an dieser Geschichte wird sehr klar deutlich, wo ihre Haltung herkommt, daß Frauen Ihnen bei der Lösung von Problemen nicht helfen können. Aber begonnen haben wir ja damit, daß Sie soviel Energie darauf verwenden, sich an Männern zu orientieren, die für Sie wichtig sind. Männer sind das einzig Wahre, haben Sie gesagt. Wie erklärt sich das aus dieser Geschichte – und wahrscheinlich hundert ähnlichen?“
Nach einigem Nachdenken sagt Frau D.:
„Vielleicht weil ich die Hoffnung so bald aufgegeben habe, daß meine Mutter mir hilft...“
„Darum hat der Vater und die Hoffnung auf ihn so eine große Bedeutung bekommen?“
„Ja...“
„Und wenn er auch versagt hat – so wie mit der Hand Ihrer Schwester?“
„Das hab‘ ich mehr als Ausrutscher gesehen und mir gedacht, das wird schon noch werden.“
„Und wenn nicht bei ihm, dann doch bei anderen Männern?“
„Ja, stimmt... ich hab‘ mir relativ bald gedacht, hoffentlich kann ich bald heiraten, dann wird das alles anders...“
Sie merken den feinen Unterschied: in der Realität sind beide, Mutter und Vater, unfähig zum Lösen von Problemen. Bei der Mutter zieht Frau D. den Schluß ‚Frauen können mir nicht helfen‘. Aber beim Vater, bzw. Männern, hofft sie weiter – „das wird schon noch werden“. Zum einen liegt das daran, daß der Vater immerhin zumindest Lösungskompetenz verspricht, zum andern daran, daß Frau D. – als Kind – es nicht ertragen würde, in vollständiger Hoffnungslosigkeit zu versinken (die es bedeuten würde, zu erkennen, daß niemand ihr hilft und niemand für sie da ist).
Ich teile ihr diese Überlegungen mit. Frau D. wird zuerst nachdenklich, dann betroffen und schließlich traurig; sie beginnt zu fühlen, wie allein sie mit ihren Problemen war (und auch noch ist).
So zufrieden ich nach dieser Stunde mit Frau D.‘s Entwicklung bin, so überrascht bin ich dennoch über die Schnelligkeit. Diese Überraschung verstärkt sich noch, als mir Frau D. in der nächsten – der 5. – Stunde mitteilt, sie sei draufgekommen, daß ihre Beziehung zu ihrem Ex-Mann genau nach dem gleichen Muster der Beziehung zum Vater verlaufen bzw. verlaufe immer noch so: er verspreche ständig Lösungen für alle nur auftauchenden Probleme und sie glaube ihm; daraufhin halte er nichts davon ein. Unmittelbar konkret stelle sich das beim Besuchskontakt mit den Kindern; sein Verhalten, Termine mit ihnen immer wieder abzusagen oder erst gar nicht einzuhalten, kränke sie sehr.
Ich will jetzt nicht im Detail die weitere Arbeit mit Frau D. an diesem Punkt schildern; Resultat ist jedenfalls, daß sie innerlich zu trennen beginnt zwischen dem, was ihr als Kind passierte und den Problemen, die ihre Kinder mit ihrem Vater haben. Sie erkennt, daß es ihre Aufgabe ist, den Kindern in deren berechtigten Forderungen an ihren Vater den Rücken zu stärken und selbst vom Ex-Mann zu verlangen, daß er sich um seine Kinder kümmert.
In der sechsten Stunde will sie über ihren jetzigen Freund sprechen; der ist nämlich ein Mann, der durchaus zu seinen Zusagen steht und auch Problemlösungskompetenz hat. Ich stelle ihr die Frage, ob es möglich sein könne, daß sie diesen Mann deswegen nicht liebt, weil er nicht dem Muster ihres Vaters entspricht. Das ist zwar für sie – und auch mich nach der Arbeit an dem Thema – nicht schlüssig mit ja oder nein zu beantworten, sie kommt jedoch zu dem Schluß, daß ihr die Beziehung zu diesem Mann guttut und sie sie daher aufrechterhalten will. Sicher ist sie sich allerdings darüber, daß ihr sein Tempo an Nähe zu schnell ist und sie bis auf weiteres nicht mit ihm zusammenziehen will. Sie will sich diesmal nicht seinen Wünschen unterordnen, nur um ihn nicht zu verlieren (was wiederum dem Muster der Beziehung zum Vater und der ersten Ehe entsprechen würde).
Die nächste, siebente, Stunde beginnt Frau D. mit der Feststellung, sie möchte die Therapie beenden. Das, was sie gebraucht habe, habe sie bekommen, ihre Position den beiden Männern gegenüber, dem Ex-Gatten und dem Freund, sei wesentlich klarer und wesentlich gefestigter; das wiederum habe ihren Kontakt zu den Kindern deutlich verbessert, da sie dafür weit mehr Energie und Zeit übrig habe.
Ich bin anfangs überrascht; nach allem, was ich gelernt und erfahren habe, kann das wohl nichts anderes als Widerstand sein. Widerstand dagegen, jetzt, nach anfänglichen Fortschritten, wirklich in die Tiefe zu gehen. Als ich merke, daß ich Dinge denke wie ‚Na ja, schade, aber sie wird es schon noch merken, daß sie zu früh abgebrochen hat‘, wird mir klar, wie besserwisserisch und elterlich die Haltung ‚Psychotherapie muß in jedem Fall lang dauern‘ ist. Mir gegenüber sitzt eine Frau, die Vitalität und Energie ausstrahlt, die spürbar und sichtbar weiß, was sie will und die begonnen hat, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Kurzum, ein Mensch, dem Psychotherapie geholfen hat und der jetzt keine mehr braucht. Wie anmaßend und der sichtbaren Realität entfremdet ist doch die Einstellung, dieses Therapieende sei zu früh!
Ich habe – angeregt durch die Erfahrungen im Prozeß mit Frau D., die mich, wie gesagt, fast ‚überrumpelt ‚ haben, theoretische Konzeptionen für beziehungsorientierte Kurztherapie entwickelt und seither immer wieder mit gutem Erfolg angewandt. Trotzdem will ich das Gesagte relativieren: nicht für alle PatientInnen ist dieses Erfahren erfolgversprechend; für viele wende ich nach wie vor Langzeitverfahren mit viel Raum für die Entfaltung von Übertragung und Gegnübertragung an.
Ein Vorgehen wie bie Frau D. braucht ein paar Ausgangsbedingungen – sowohl auf der Seite des/der Therapeuten/in als auch des/der Patienten/in:
- der Therapeut/ die Therapeutin muß Erfahrung und Fingerspitzengefühl im Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung haben (das beinhaltet auch eigene Erfahrung in übertragungsintensiver Eigentherapie)
- der Patient/ die Patientin muß ein einigermaßen stabiles Ich haben; psychodiagnostisch heißt das, das Verfahren ist anwendbar bei nicht allzu schweren neurotischen und leichten narzißtischen Problemen (wie bei Frau D.). Dringend abzuraten von kurzen Therapien ist bei schweren narzißtischen und Borderline-Persönlichkeiten sowie psychosomatischen und latent psychotischen Problemen.
- die Anliegen des Patienten/ der Patientin müssen primär auf der Verhaltens- und der sozialen Ebene liegen (also nicht z.B. ‚Ich will endlich herausfinden, wer ich wirklich bin‘). Einige Beispiel dafür: Entscheidungen treffen, ob er/sie in einer Beziehung bleiben will oder nicht, Trennungen/ Scheidungen verkraften, leichte Angstproblematiken.
- die Beziehung zwischen Therapeut/in und Patient/in muß relativ rasch eine gute Stabilität erreichen; sollten sehr früh Störungen, Mißtrauen, Zweifel, Ängste in dieser Beziehung auftauchen, sind das Anzeichen einer Kontrainidkation für Kurztherapien.
Jetzt aber zur Vorgangsweise selbst: verhaltenstherapeutische und systemische Verfahren, die auch auf kürzere Behandlungszeiträume ausgerichtet sind, sind eher darauf orientiert, Übertragungszusammenhänge zu vermeiden oder zumindest nicht zu thematisieren. Bei der beziehungsorientierten Kurztherapie ist das genau umgekehrt:
So, wie sie es bei Frau D. gesehen haben, wird sehr bald ein wesentlicher Aspekt der Übertragung (der in Zusammenhang mit dem Problem steht) aufgegriffen, angesprochen und auch gedeutet. Dazu ist einerseits ein gutes Gespür des Therapeuten/ der Therapeutin für die eigene Gegenübertragung nötig (denn die liefert die Indizien für diese Übertragungselemente), andererseits die erwähnte Ich-Stabilität des Patienten/ der Patientin. Andernfalls wird er/ sie ein so frühes Aufgreifen der Beziehungsinhalte als beschämend empfinden, woraus ein wesentliches Hindernis für die weitere Beziehung entstehen könnte.
Wenn wir zu unserem Modell mit den verschiedenen Strängen zurückkehren, dann kann man ‚klassische‘ übertragungsorientierte Psychotherapie etwa so beschreiben: die verschiedenen Stränge entwickeln sich mehr oder minder nebeneinander her, insbesondere der der Übertragung und Gegenübertragung. Erst wenn dieser sehr entwickelt ist, werden Bezüge zum Strang der lebensgeschichtlichen Erfahrungen (des Skripts) hergestellt, und erst wenn dort viel Klarheit und Bewältigungsarbeit geschehen ist, wird Bezug genommen auf die aktuellen sozialen Beziehungen.
Im beziehungsorientierten Kurzzeitverfahren geht das gewissermaßen im Zeitraffer vor sich:
- Beginnend in der Regel bei den Beziehungen zu anderen Menschen und den Problemen damit wird – sobald sich ein günstiger Moment dafür ergibt –
- aktiv deutend zur Schiene der Übertragung (mit dem Diagnostikum Gegenübertragung) übergewechselt. Wichtig dabei ist (und auch bei den kommenden Schritten), daß das kognitive Element, d.h. die eigene Denkleistung des/der Patienten/in eine entscheidende Rolle spielt. Es geht nicht darum, eine intensive Übertragungsbeziehung zur Entfaltung zu bringen, sondern mittels dieser kognitiven Leistung zu erkennen, daß es sich hier um die Wiederholung
- alter Beziehungsmuster handelt. Über deren Analyse – also das Erkennen der Grundzüge der Skriptmechanismen – erlangt der Patient/ die Patientin Einsicht in
- die Rolle, die er/sie selbst im heutigen Leben spielt (die Beziehung zu sich selbst). Das wiederum führt zu
- veränderten Verhaltensweisen, die durch Um- und Neulernen ins Verhaltensrepertoire eingehen. Das verändert
- die sozialen Beziehungen im Sinne des Therapievertrages. Und von dort aus kommen wir letztlich wieder zurück
- zur Beziehung der Person zu sich selbst – und zum
- Abschluß der Therapie.
Statt eines intensiven Prozesses haben wir also nur einige der wesentlichsten Schritte dieses Vorgangs durchlaufen.
Der entscheidende Punkt, auch in Abgrenzung zum Langzeitverfahren, ist der: langzeitliche Psychotherapie hat eine Um- und Neustrukturierung weiter Teile der Person zum Inhalt, in einem Verfahren, in dem sehr viel von der eigenen Person und ihren Defiziten freigelegt wird. Wenn das notwendig und/oder wünschenswert ist (bei entsprechender Schwere der vorliegenden Störung oder z.B. bei Ausbildungskandidaten/innen in Psychotherapie), dann ist eine langdauernde Behandlung mit intensiver Übertragungs-Gegenübertragungsbeziehung anzustreben (d.h. Dauer zwischen einem und fünf Jahren). Wenn nicht, dann ist eine kurze beziehungsorientierte Psychotherapie (zwischen 5 und 25 Sitzungen)
- effektiver
- ökonomischer
- ethisch angemessener
- dem Problem des/der Patienten/in adäquater.