31. Games people play. Das Konfliktmodell der Transaktionsanalyse

Games people play. Das Konfliktmodell der Transaktionsanalyse.

Vortrag auf der Konflikttagung des VPA, Mai 2018 Linz

Oh the games people play now
Every night and every day now
Never meaning what they say now
Never saying what they mean

And they wile away the hours
In their ivory towers
Till they're covered up with flowers
In the back of a black limousine

Talking 'bout you and me
And the games people play

Oh we make one another cry
Break a heart then we say goodbye
Cross our hearts and we hope to die
That the other was to blame

Neither one ever will give in
So we gaze at our eight by ten
Thinking 'bout the things that might have been
It's a dirty rotten shame

People walking up to you
Singing glory hallelulia
And they're tryin to sock it to you
In the name of the Lord

They're gonna teach you how to meditate
Read your horoscope, cheat your faith
And further more to hell with hate
Come on and get on board

Look around tell me what you see
What's happening to you and me
God grant me the serenity
To remember who I am

Cause you've given up your sanity
For your pride and your vanity
Turned your back on humanity
And you don't give a damn
Die Spiele, die die Menschen spielen
Jede Nacht und jeden Tag
Niemals sagen, was sie meinen
Niemals meinen, was sie sagen

Und sie warten, dass die Zeit vergeht
Eingesperrt im Turm aus Elfenbein
Bis sie unter Blumen liegen
Hinten in dem schwarzen Wagen

Und wir sprechen da von dir und mir
Und den Spielen, die Menschen spielen

Wieder tun wir einem Menschen weh
Brechen ihr das Herz und gehen weg
Und wir schwören jeden Eid:
Es war alles ihre Schuld

Niemand will jemals nachgiebig sein
Und wir sehen, wie die Uhr sich dreht
Träumen, was sein hätte können
Es ist so schade, wie wir sind

Und sie kommen auf dich zu
Und sie sagen: ach wie schön,
Warten drauf, dich reinzulegen
Während sie zur Kirche geh’n

Schau doch, was du überall siehst
Was ist denn mit uns gescheh’n?
Dabei braucht‘s Gelassenheit
Zu erkennen, wer ich bin

Du hast dein Seelenheil verloren
Für den Stolz und für die Eitelkeit
Lässt das Menschsein hinter dir
Und das interessiert dich einen Dreck

Die Spiele, die die Menschen spielen
Jede Nacht und jeden Tag
Niemals sagen, was sie meinen
Niemals meinen, was sie sagen

(Übersetzung KS)

Ich weiß nicht, ob sich manche von Ihnen, die Junggebliebenen so wie ich, an diesen Song erinnern können, der im Jahr 1969 ein Hit war, gesungen von Joe South. Was ich damals natürlich nicht wusste, war, dass er sich auf einen Bestseller aus der Transaktionsanalyse bezog: „Games People Play“ von Eric Berne, dem Begründer der TA, auf Deutsch „Spiele der Erwachsenen“. Ich erinnere mich an das Lied, weil es wieder und wieder in der Ö3-Musicbox zu hören war, meiner Lieblingssendung, die täglich von 15 bis 16 Uhr lief. Zu der Zeit war ich in der vierten Klasse im Gymnasium, und es war – wie man heute sagen würde – arschknapp. Das war es eigentlich jedes Jahr bis zur Matura. Meine Lehrer und ich spielten so unsere psychologischen Spiele, so nach dem Motto „dumm ist er ja nicht, aber faul.“ Aber nicht nur die Lehrer. Mein Vater hatte mir damals striktes Radioverbot erteilt, ich sollte lernen. Nur ganz „zufälligerweise“ ging meine Mutter täglich genau um drei mit dem Hund spazieren, und meine jüngeren Geschwister verpflichtet ich zu strengster Geheimhaltung. The games people play now – every night and every day now.
Nun, entgegen aller Prophezeihungen wurde doch etwas aus mir, und zu meiner Promotion begegnete mir das Buch wieder. Mein Taufpate schickte es mir mit seiner Gratulation und dem Vermerk, es könne wichtig für mich auf meinem künftigen Weg sein. Dazu muss man wissen, dass ich diesen Mann so gut wie nicht kannte, als ich klein war, war er nach Lübeck weggezogen, wo er als Arzt praktizierte. Ich sah ihn ein einziges Mal, da war ich noch keine zehn, und meine Erinnerung ist diffus. Allerdings schickte er mir jedes Jahr zu Weihnachten ein Geschenk. Das war dann zum Beispiel ein Fläschchen Rasierwasser mit dem Vermerk „Ärztegeschenk“, und zwar in einem Alter, wo ich mich vielleicht gerne schon rasiert hätte (aber noch nicht einmal im Stimmbruch war). Und dann dieses Buch. Ich besitze es heute noch. Talking about you and me and the games people play. Und – so populär es auch ist – es ist kein einfaches Buch, teilweise verwirrend und inkonsistent, teilweise oberflächlich, teilweise mit viel Tiefgang. Seine Faszination bestand zum Zeitpunkt seines Erscheines wohl darin, dass es Mechanismen des Fühlens, des Denkens und vor allem des Verhaltens beschreibt, die wir alle kennen. Denn tatsächlich spielen wir diese Spiele ja wirklich „every night and every day“. Und das Buch weckt, wie auch der Song, die Illusion, das sei ganz einfach durch klare Erkenntnis zu lösen und zu verändern. Das ist aus der damaligen Zeit heraus zu verstehen. Es ist, wie auch der Song, von der plakativen und manchmal besserwisserischen Denkweise des Hippie-San Francisco der späten 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts getragen: wir wissen es besser, wie es geht. Ihr Spießer müsst nur begreifen, wie destruktiv diese Verhaltensmuster sind, dann könnt ihr sie auch verändern. „Make love not war“ war der Slogan dieser Tage.
Doch warum spielen wir diese Spiele, die meist mit sehr unangenehmen Gefühlen verbunden sind? Mit dem Verstand hat es wenig bis nichts zu tun. Erst bei genauerem Hinsehen lässt sich erkennen, wie komplex die transaktionsanalytische Landkarte der Spiele ist und wie tief sie in die menschliche Seele blicken lässt. Dazu macht es Sinn, sie mit anderen Landkarten zu verknüpfen, um die Landschaft der Konflikte, ihrer destruktiven Ausformungen, ihrer persönlichen Hintergründe und möglicher konstruktiver Auswege verstehen zu können.

Zuerst einmal: die Bezeichnung „Spiel“ kann missverstanden werden. Es handelt sich nicht um etwas Leichtes und Unterhaltsames, kein Gesellschaftsspiel, sondern um einen kommunikativen Austausch mit oft unangenehmem, manchmal sogar gewaltsamem Ergebnis und bisweilen gravierenden Folgen. In der Transaktionsanalyse verstehen wir darunter einen äußeren sichtbaren Verhaltensprozess zwischen zwei oder mehr Menschen, dem – und das ist das Entscheidende - ein unbewusster innerpsychischer Vorgang zugrundeliegt und der zu einem vorhersehbaren Ende, verbunden meist mit schlechten Gefühlen, führt. Doch eins nach dem anderen.

Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: eine Patientin oder Klientin, nennen wir sie Frau K., kommt zu ihnen zur Beratung oder zur Psychotherapie. Es ist der Anfang der fünften Sitzung, und es spielt keine Rolle, mit welchem Problem sie zu Ihnen gekommt ist. Sie beginnen die Sitzung, so wie Sie das üblicherweise tun, und dann sagt sie Folgendes:
K: Also, eines muss ich Ihnen schon sagen: Sie haben in der ersten Sitzung gesagt, sie könnten mir helfen. Bisher ist aber keinerlei Verbesserung eingetreten.

Jetzt halten wir einen Moment inne. Vermutlich haben Sie das so nicht gesagt, was immer die Klientin aufgenommen hat. Doch was löst diese Bemerkung in Ihnen aus? Was fühlen Sie? Was denken Sie? Was ist Ihr unmittelbarer Impuls zu antworten?

Ich weiß nicht, was diese Sätze in Ihnen auslösen: Also, eines muss ich Ihnen schon sagen: Sie haben in der ersten Sitzung gesagt, sie könnten mir helfen. Bisher ist aber überhaupt keine Verbesserung eingetreten. Ich habe sie vor einiger Zeit tatsächlich von einer Patientin gehört, und sie lösten in mir den Impuls aus, mich zu verteidigen, wie z.B: Ich habe sicher nie gesagt, ich könnte Ihnen mit Sicherheit helfen. Wissen Sie, ein bisschen Zeit müssen Sie mir schon geben!

Nehmen wir an, ich würde so reagieren und spinnen wir den dann folgenden fiktiven Dialog weiter:

K: Also, eines muss ich Ihnen schon sagen. Sie haben in der ersten Sitzung gesagt, sie könnten mir helfen. Bisher ist aber überhaupt keine Verbesserung eingetreten.
Th: Ich habe sicher nie gesagt, ich könnte Ihnen mit Sicherheit helfen. Wissen Sie ein bisschen Zeit müssen Sie mir schon geben!
K: Ja, aber das dauert jetzt schon etwas lang und kostet auch viel Geld. Wir reden immer nur, und mein Problem wird nicht besser.
Th: Wir reden doch nicht „nur“, wir haben über ihre Gefühle gesprochen, ich habe Ihnen zugehört, und wir haben Bezüge zu Ihrer Kindheit hergestellt.
K: Wie lange soll das denn noch dauern?
Th: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das hängt schon von Ihrer Mitarbeit ab.
K: Und wie soll die aussehen?
Th: Dass Sie sich zum Beispiel auf Ihre Gefühle einlassen.
K: Und das soll mir helfen? Also, jetzt muss ich es schon in aller Deutlichkeit sagen: ich glaube nicht, dass Sie wirklich wissen, was Sie tun. Wie auch immer Sie meiner Freundin geholfen haben, mir helfen Sie nicht.
Th: Ihre Freundin hat sich helfen lassen. Sie tun das nicht. Sie wehren sich gegen die Behandlung.
K: Wenn das so weitergeht, suche ich mir einen anderen Therapeuten.
Th: Ja, tun Sie das nur. Ich habe genug andere Anfragen.

Wie gesagt, das Gespräch hat so nicht stattgefunden. Wie es tatsächlich war, erzähle ich Ihnen später. So, wie ich es jetzt dargestellt habe, ist es genau das, was wir ein psychologisches Spiel nennen: ein kommunikativer Austausch, dessen Ausgang vorhersehbar ist und der mit schlechten Gefühlen auf beiden Seiten endet.

Sehen wir uns das näher an. Die Einleitung der Klientin „Also, eines muss ich Ihnen schon sagen. Sie haben in der ersten Sitzung gesagt, sie könnten mir helfen. Bisher ist aber überhaupt keine Verbesserung eingetreten“ ist so, wie sie sich anhört, eine Botschaft auf zwei Ebenen: einer offenen und einer verdeckten. Die offene (wir sagen dazu „soziale Ebene“) ist das, was Sie auch lesen könnten: die Klientin erinnert mich an etwas, was Sie ihr zugesagt hätte und teilt mit, dass keine Verbesserung eingetreten sei. Scheinbar ein verhältnismäßig normaler Gesprächsbeginn. Doch wenn wir genau auf die Wortwahl und den Ton hinhören, wenn wir auf die Impulse achten, die darauf in uns entstehen, dann entdecken wir eine darunterliegende psychologische Ebene: einen versteckten Vorwurf. Damit tut sie den ersten Schritt ins Spiel: sie bietet statt einem inhaltlichen Austausch eine Spieleinladung an.

Landkarten sind eine Hilfe, um sich in einer Landschaft zurechtzufinden. Wenn Sie mit dem Auto in die Berge fahren wollen, orientieren sie sich zuerst auf einer Straßenkarte. Wenn Sie dann eine Wanderung antreten, brauchen Sie eine genauere Wanderkarte. Beide sind nicht die Landschaft, sondern Orientierungen in ihr. Wenn wir von transaktionsanalytischen Landkarten sprechen, dann sollen sie dabei helfen, sich in der der menschlichen Seele und der Interaktion zwischen zwei (oder mehr) Menschen zurechtzufinden. An dieser Stelle brauchen wir ergänzend zur großen Landkarte der Spiele zwei Hilfs-Landkarten, um besser verstehen zu können, was eine Spieleinladung ist.

Die erste ist die der Ich-Zustände und stellt das Persönlichkeitsmodell der TA dar. Unser Ich ist immer da, aber es ist nicht immer gleich. Wir können sehr unterschiedlich fühlen, denken und handeln. Es setzt sich aus verschiedenen Zuständen oder Gruppen von Zuständen zusammen. Berne definiert einen Ich-Zustand als ein jeweils zusammengehöriges System von Fühlen, Denken und Verhalten, und er unterscheidet drei solche Systeme: den Erwachsenen-Ichzustand, in dem wir uns als die erwachsenen Menschen erleben, die wir auf dem Hintergrund unseres Geschlechts, unseres Lebensalters, unseres sozialen und kulturellen Bezugsrahmens sind. Weiters den Eltern-Ichzustand, in dem wir unsere elterlichen Bezugspersonen verinnerlicht haben und unbewusst so fühlen, denken und uns verhalten, wie es einem von ihnen entsprechen könnte. Und schließlich den Kind-Ichzustand, in dem wir kindliche Muster und Erfahrungen aktivieren.

Hören wir auf dem Hintergrund dieser Landkarte noch einmal die Sätze unserer Klientin: Also, eines muss ich Ihnen schon sagen: Sie haben in der ersten Sitzung gesagt, sie könnten mir helfen. Bisher ist aber überhaupt keine Verbesserung eingetreten. Können Sie den unterschwelligen Vorwurf, den kritischen Tonfall hören? „Das muss ich sagen“, nicht: Das möchte ich sagen. Das Wörtchen „aber“, und die Verallgemeinerung „überhaupt keine.“ Das lässt uns vermuten, dass der von ihr aktivierte Ichzustand nicht das Erwachsenen-Ich, sondern zumindest unterschwellig das Eltern-Ich ist.

Wenn wir einen Ich-Zustand aktivieren oder „besetzen“, wie der TA-Ausdruck dafür heißt, dann setzen wir uns damit in Beziehung zu einem (oder mehreren) anderen Menschen, und das bedeutet, wir versuchen bewusst oder unbewusst, dort ebenfalls einen bestimmten Ich-Zustand zu erreichen. Ein simples Beispiel: Wenn ich zu Beginn des weiterführenden Workshops am Nachmittag an Sie die Frage richten würde „Haben Sie zu dem Vortrag vom Vormittag noch Fragen oder Anmerkungen?“, dann würde ich mein Erwachsenen-Ich besetzen und Ihr Erwachsenen-Ich ansprechen. Sie würden dann beispielsweise antworten: „Ja, könnten Sie den Zusammenhang zwischen Transaktionen und Spielen noch einmal erklären?“ und würden damit aus eben diesem Erwachsenen-Ich antworten. Hier sind wir bei der zweiten Hilfs-Landkarte – dem Kommunikationsmodell der TA, den Transaktionen. Grafisch kann man die kurze Interaktion, die ich gerade beschreiben habe, durch zwei parallele waagrechte Pfeile darstellen, die gemeinsam eine Transaktion bilden: eine Sequenz aus einem Stimulus und einer Reaktion, jeweils aus einem Ichzustand einer Person an den einer anderen. Das lässt sich natürlich auch zwischen anderen Ich-Zuständen vorstellen. Wenn ich als Nächstes antworten würde: oje, das wird jetzt aber kompliziert, ich weiß nicht, ob ich das so schnell kann… - dann hätte ich die Ebenen gewechselt und würde aus meinem Kind-Ichzustand Ihren Eltern-Ichzustand ansprechen. Wenn Ihre Antwort dann beispielsweise wäre: na, das erwarte ich aber schon von Ihnen, schließlich sind Sie ja Transaktionsanalytiker! Oder auch: Na, so schwierig kann das ja nicht sein, im Vortrag haben Sie das ja auch hingekriegt! – dann hätten Sie auf zwei unterschiedliche Arten aus Ihrem Eltern-Ich geantwortet, aus dem Ichzustand, den ich angesprochen habe.

Beide Arten sind Wege direkter Kommunikation, was nicht heißt, dass beide unbedingt hilfreich wären. Wir sind aber noch nicht bei der Spieleinladung, denn die umfasst – wie erwähnt – zwei verschiedene Ebenen, eine offene soziale und eine verdeckte psychologische. Spielen wir dazu das Beispiel weiter. Wenn ich auf Ihre Frage nach dem Zusammenhang zwischen Transaktionen und Spielen antworten würde: also eigentlich habe ich gedacht, das müsste klar sein – dann würde das vielleicht auf den ersten Blick erwachsen klingen, wäre aber auf der verdeckten Ebene elterlich. Und das eben ist die Einladung in ein psychologisches Spiel: ich kommuniziere scheinbar, auf der sozialen Ebene, erwachsen, auf der verdeckten psychologischen Ebene aber elterlich. Ich werfe gewissermaßen unbewusst einen Köder aus, der Sie einladen soll, nicht auf der offenen Ebene zu antworten („Nein, es ist mir noch nicht klar.“), sondern ebenfalls auf der verdeckten, zum Beispiel mit einer Rechtfertigung („Ja, aber das Ganze ist schon ziemlich schwierig!“). Damit Sie das täten, müssten Sie eine (ebenfalls unbewusste) Bereitschaft mitbringen, ins Spiel einzusteigen, so etwas wie einen wunden Punkt in Ihrer Seele. Sie würden sich vielleicht wie ein Schüler ertappt fühlen, weil Sie etwas nicht verstanden hätten. So beginnt ein Spiel: mit einer gedeckten Transaktion aus Eltern- oder Kind-Ichzustand.

Ich habe so nicht reagiert, aber der Impuls dazu (mich zu rechtfertigen) zeigt, dass die Spieleinladung auf „Spielbereitschaft“ bei mir getroffen ist. Sie hat bei mir einen wunden Punkt berührt. Frau K. hat mit ihrer verdeckten Botschaft einen Köder ausgeworfen, und ich habe ihn geschluckt. Auch meine Antwort „Ich habe sicher nie gesagt, ich könnte Ihnen mit Sicherheit helfen. Wissen Sie ein bisschen Zeit müssen Sie mir schon geben!“ (wenn ich sie gegeben hätte), wäre auf einer offenen und einer verdeckten Ebene, einer sozialen und einer psychologischen, erfolgt. Damit wären wir beide in ein Spiel eingetreten. Das könnte jetzt so weitergehen wie beim Tischtennis, wir würden uns die Bälle der verdeckten unterschwelligen Botschaften eine Zeitlang hin und her schießen, wie vorher geschildert. Damit haben wir die ersten drei Schritte im Spiel beschrieben:

1. Eine Spieleinladung erfolgt durch eine verdeckte Botschaft: ein Köder wird ausgeworfen.
2. Die Einladung stößt auf einen wunden Punkt bei der anderen Person, diese schluckt den Köder und antwortet ebenfalls doppelbödig.
3. Diese Kommunikation geht eine Weile so weiter. In der TA nennen wir das den Austausch von verdeckten Transaktionen.

Und dann passiert etwas, was das Spiel erst komplett macht: der Ärger der Klientin bricht offen hervor. Sie sagt „Und das soll mir helfen? Also, jetzt muss ich es schon in aller Deutlichkeit sagen: ich glaube nicht, dass Sie wirklich wissen, was Sie tun. Wie auch immer Sie meiner Freundin geholfen haben, mir helfen Sie nicht.“
Jetzt ist es heraußen: eine deutliche Abwertung meiner Person und meiner Kompetenz. Das Ping-Pong unseres Tischtennismatches ist zu einem heftigen Schmetterball geworden. Meine – wie gesagt, fiktive Antwort – schmettert den Ball ebenso heftig zurück: „Ihre Freundin hat sich helfen lassen. Sie tun das nicht. Sie wehren sich gegen die Behandlung.“ Damit zahle ich in gleicher Münze zurück. Sie sagt, ich sei ein schlechter Therapeut, ich nenne sie eine unfähige Klientin, Abwertung gegen Abwertung. Und dann machen wir beide das Maß voll:
K: Wenn das so weitergeht, suche ich mir einen anderen Therapeuten.
Th: Ja, tun Sie das nur. Ich habe genug andere Anfragen.

Der 4. Schritt im Spiel besteht darin, dass es zu einem Wechsel kommt: die verdeckte Ebene wird offenkundig. Das ist der entscheidende Moment. In dem darauffolgenden Augenblick des Schweigens holen wir uns beide unseren „Spielgewinn“ ab. Wir fühlen uns beide schlecht, möglicherweise ist das sogar das Ende der therapeutischen Beziehung.

Gewinn? Von welchem „Gewinn“ reden wir da? Niemand steht erfreut vom Spieltisch auf und zählt seine Jetons. Die Klientin ist ärgerlich und erlebt sich unverstanden, wahrscheinlich auch im Stich gelassen. Ich bin in diesem Szenario ebenfalls ärgerlich, auch ich erlebe mich unverstanden und ein Stück weit hilflos, vielleicht auch beschämt. Gleichzeitig sind wir beide in etwas gefangen, was man „Glaubenssätze“ nennt, die gerade wieder bestätigt wurden. Meine könnten beispielsweise sein „Da bemühe ich mich so, und keiner würdigt meine Leistung“ oder, noch destruktiver, „Ich habe es ja gewusst, dass ich ein schlechter Therapeut bin.“ Bei der Klientin hören sich diese Glaubenssätze möglicherweise so an: „Keiner will mir helfen, ich muss alles allein bewältigen“ oder auch „Ich bin einfach ein hoffnungsloser Fall.“ Damit sind wir bei dem Punkt angelangt, den ich vorher einen unbewussten, dem sicht- und hörbaren Vorgang des psychologischen Spieles zugrundeliegenden Prozess genannt habe. Wir beide, die Klientin und ich, würden da etwas wiederholen, das wir schon oft und mit verschiedenen Menschen, vielleicht schon ein ganzes Leben lang, durchgespielt haben. Damit würden wir einem komplexen Muster folgen, das wir in der Sprache der Transaktionsanalyse den unbewussten Lebensplan, das Skript, nennen.

Darauf habe ich mich schon in verschiedenen Vorträgen und Workshops für den VPA bezogen, vielleicht waren Sie bei dem einen oder anderen dabei. Sehr ausführlich finden Sie diese Landkarte und die darin enthaltenen Sub-Landkarten, die „Bausteine“ des Skripts in meinen Büchern „Trennung oder Neubeginn“ und „Vom Lebensplan zum Beziehungsraum“ beschrieben.

Im Skript finden wir die Grundlagen für unsere „Spiele der Erwachsenen“, in Mustern, die wir als Kinder unter dem Druck unserer Umwelt entwickelt haben. Wenn ich „Umwelt“ sage, meine ich die Bezugs- oder genauer gesagt Beziehungspersonen, die wir am Anfang unseres Lebens und in seinem weiteren frühen Verlauf vorgefunden haben und die Art und Weise, wie wir sie uns gegenüber erlebt haben.

Holen wir dazu zur Geschichte von Frau K. aus. Sie ist Mitte Dreißig und ist zur Therapie gekommen, weil sie sich als „beziehungsunfähig“ definiert. Sie hat bereits drei gescheiterte längere Beziehungen hinter sich, und die vierte steht gerade an der Kippe. „Alle lassen sie mich im Stich, immer, und Michael ist auch gerade dabei, das zu tun“, sagt sie. Dieser Schlüsselsatz – ein Glaubenssatz – begleitet sie schon ihr ganzes Leben lang. Sie – nennen wir sie Martina, das ist natürlich nicht ihr wirklicher Name – wurde als zweites von zwei Mädchen geboren, sechs Jahre nach ihrer Schwester, als, wie sie es nennt, „letzten Versuch meiner Eltern, eine vollkommen zerrüttete Ehe zu retten.“ Natürlich funktioniert das nicht. Die kleine Martina erlebt ihre ersten Lebensjahre in einer Atmosphäre von Streit, Hass und letztlich auch körperlicher Gewalt. Nur die Schwester und ihre Großmutter kümmern sich um sie, die Eltern sind vollständig mit sich selbst beschäftigt.

Die Transaktionsanalyse sagt prägnant und klar in einem ihrer Grundaxiome: „People are born OK“ – wir kommen zur Welt mit der angeborenen Grundhaltung, dass wir OK sind, so wie wir sind, und ebenso mit der Bereitschaft, andere ebenso als OK zu erleben. Das tatsächliche Leben der kleinen Martina steht dazu in scharfem Kontrast: von Anfang an lassen ihr Vater und ihre Mutter sie spüren, dass sie nicht in Ordnung ist – nicht wichtig mit ihren Bedürfnissen und ihrem Sein. „Wir hätten dich nicht mehr kriegen sollen“ ist einer der Standardsätze, den sie von ihrer Mutter zu hören bekommt. „Wenn meine Schwester und meine Oma nicht gewesen wären, weiß ich nicht, ob ich überlebt hätte“, sagt sie später in ihrer Therapie.

Als sie sechs ist, verliebt sich ihre Mutter in einen anderen Mann und findet den Mut, sich zu trennen. Ein chaotischer und für Martina ängstigender Rosenkrieg folgt, schließlich zieht die Mutter mit den beiden Kindern weit weg in ein anderes Bundesland, um mit ihrem neuen Gefährten zu leben. Martina fühlt sich einsam ohne ihre Großmutter, der Stiefvater kommt mit den beiden Mädchen nicht klar, die Mutter ist mehr an der neuen Beziehung interessiert als an ihren Töchtern. In der Schule hat es Martina schwer, sie versteht den fremden Dialekt nicht und wird zur Außenseiterin. Als die Schwester 17 ist, zieht sie zurück zum Vater. „Da ist zum nächsten Mal meine Welt zerbrochen, ich habe überhaupt niemanden mehr gehabt“ erzählt Martina. Jahrelang hält sie sich mit dem Plan über Wasser, wenn sie größer ist, auch wegzugehen und bei ihrer Großmutter zu leben. „Jeden Abend vor dem Einschlafen habe ich mir selbst Geschichten erzählt und ausgemalt, wie das werden würde.“

Schließlich, nach Abschluss der Pflichtschule, macht sie ihren Plan tatsächlich wahr. Sie findet auf eigene Faust eine Lehrstelle an ihrem ursprünglichen Heimatort und darf wirklich mit der Großmutter leben. Es folgen nach ihren Angaben die zwei schönsten Jahre ihres Lebens, dann stirbt die Großmutter, eine agile und sportliche Frau, ganz plötzlich an einem Aneurysma. „Alle lassen sie mich im Stich, immer!“ – jetzt verstehen wir die Bedeutung dieses Glaubenssatzes.

Wie überlebt ein kleiner und später sehr, sehr junger Mensch diese Jahre? Durch eine beeindruckende kreative und intuitive Leistung: Martina baut sich Stück für Stück ein Konzept, einen Lebensplan, einen Überlebensplan, auf. Die einzelnen Bausteine will ich jetzt nicht im Detail schildern, das würde zu weit führen. Aus einer verdrehten Lebensgrundhaltung (ich bin nicht OK, so wie ich bin), aus destruktiven Grundbotschaften, die sie empfängt (ich bin nicht wichtig, ich sollte eigentlich gar nicht da sein), aus Glaubenssätzen, die entlastend wirken sollen (alle lassen sie mich im Stich, meine Bedürfnisse zählen nicht, ich muss für die anderen da sein, das ist eben so), aus der Unterdrückung natürlicher Gefühle (Schmerz, Angst, Trauer, Wut) und ihrer Überdeckung durch repetitive Ersatzgefühle (Hilflosigkeit, Ärgerlichkeit) und aus Antreibern, die helfen sollen, da herauszukommen (ich muss stark sein und alles ertragen, ich muss es allen recht machen) schafft sie sich ein Konstrukt, das zwar wacklig und einsturzgefährdet ist, das ihr aber kontinuierlich hilft, die Hoffnung auf ein besseres Leben aufrechtzuerhalten. „Ich habe nie aufgehört, mir meine Einschlafgeschichten zu erzählen, das tue ich heute noch. Und in diesen Geschichten wird immer alles endlich gut – wenn ich nur durchhalte.“ Dieser Satz könnte ergänzt werden durch: und wenn ich mit meiner Ich-bin-nicht-OK-Position abfinde, mich und meine Bedürfnisse nicht wichtig nehme, meine Glaubenssätze aufrechterhalte, für andere da bin und meine Gefühle unterdrücke. Natürlich kann diese Rechnung nicht aufgehen – das versteht Martina als erwachsene Frau, aber die Auswege, auf denen ihr kindliches Lebenskonzept beruht, sind mächtiger als ihr Verstand. Und so überträgt sie diese Muster in ihre Partnerbeziehungen und wiederholt sie dort, immer in der Hoffnung, es könne endlich gut werden. Schließlich überträgt sie sie auch in die therapeutische Beziehung zu mir.

Damit sind wir zurück bei den Spielen der Erwachsenen und dem „Gewinn“, der daraus resultiert. Wir rekapitulieren:
1. Ein Köder wird ausgeworfen. Dahinter steckt ein subjektiv als unerfüllt erlebtes oder unerfüllt vermutetes Bedürfnis der Person 1. In Frau K.s Fall ist es vielleicht das Bedürfnis, in ihren Sorgen, die Therapie könnte keinen Erfolg bringen und ihr Leben nicht „gut“ werden, ernst genommen zu werden. Die Strategie zur Erfüllung dieses (gesunden und normalen) Bedürfnisses stammt aus dem Skript und wird von seinen Glaubenssätzen und seinen Ersatzgefühlen gespeist. Das ist die intuitiv und unbewusst gesendete Spieleinladung in Form einer verdeckten Transaktion – scheinbar erwachsen, doch unterschwellig aus dem Eltern-Ichzustand.
2. Der Köder trifft einen wunden Punkt bei der Person 2 (den 1 intuitiv erahnt hat), hier dem Therapeuten. Dieser Punkt hat wiederum mit seinem Skript, also mit seinen frühen Beziehungserfahrungen, zu tun. Auch bei ihm wird ein subjektiv unerfülltes Bedürfnis angesprochen (dazu später).
3. Person 2 nimmt die Spieleinladung an und reagiert aus dem verdeckt angesprochenen Ichzustand (hier: K) statt aus dem Erwachsenen-Ich.
4. Damit wird wiederum der wunde Punkt bei Person 1 getroffen, der ja schon das Motiv für ihre Spieleinladung war.
5. Es folgt eine Serie von verdeckten Transaktionen, bis die beiden schließlich
6. einen Wechsel („switch“) vornehmen, der die verdeckte Ebene offenkundig macht:
K: Wenn das so weitergeht, suche ich mir einen anderen Therapeuten.
Th: Ja, tun Sie das nur. Ich habe genug andere Anfragen.
7. Anschließend gibt es einen Moment der Verwirrung, in dem beide Personen ihren
8. „Spielgewinn“ in Empfang nehmen: alles ist so, wie es immer war, ich habe es ja schon von vornherein gewusst.

Im Fall unseres fiktiven Dialogs könnte dieser Gewinn bei Frau K. so aussehen: Frustration, Hilflosigkeit und Ärger darüber, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden als vertrautes schlechtes Gefühl; Unterdrückung ihrer authentischen Gefühle (Traurigkeit, Verletzung, Scham); Bestätigung ihrer Glaubenssätze (Ich kann tun, was ich will, keiner versteht mich. Wieder werde ich im Stich gelassen); ihre Antreiber sind bestätigt (Also werde ich weiter stark sein und alleine durchhalten müssen); und schließlich, unterhalb ihres Bewusstseins, bestätigen sich damit ihre lebenslangen Skripterfahrungen (es war immer so und es wird immer so bleiben). Ähnliches könnten wir beim Spielpartner, also beim Therapeuten analysieren. Mit diesem „Gewinn“, mit dieser scheinbaren Bestätigung ihrer bisherigen negativen Lebenserfahrungen, kann Martina nun in die nächste Runde gehen –weiter mit mir, mit dem nächsten Therapeuten, mit ihrem Partner oder mit wem auch immer.

Was hat das alles mit Konflikten zu tun?
In unserem Buch „Die Kunst der starken Führung definieren Henning Schulze und ich einen Konflikt als „das Zusammentreffen zweier oder mehrerer Tendenzen (Ziele, Absichten, Wünsche, Bedürfnisse, Meinungen, Werthaltungen ...), die
- in unterschiedliche Richtungen weisen
- hinsichtlich ihrer Erfüllung voneinander abhängen
- nicht zur gleichen Zeit erfüllt werden können.“

Das trifft auf unser Beispiel auf der realen Ebene gar nicht zu. Unsere Bedürfnisse gehen gar nicht in unterschiedliche und unvereinbare Richtungen. Beide wollen wir gesehen, verstanden und gewürdigt werden. Allerdings konstruieren wir aufgrund unser Skripterfahrungen Gegensätzlichkeiten und damit einen Konflikt. Jeder glaubt: der Andere hält sich für wichtiger und interessiert sich nur seine Bedürfnisse. Wenn wir unsere vielleicht unterschiedlichen, vielleicht gar nicht so verschiedenen Bedürfnisse selbst und gegenseitig respektieren würden, ließe sich der (mögliche) Konflikt auf der Ebene unserer Erwachsenen-Ichzuständen klären oder überhapt vermeiden. Frau K. könnte fragen, wie denn meine Vorstellungen über den weiteren Verlauf der Therapie, meine Zugänge und meine Hypothesen seien, und ich könnte es ihr erklären. Wenn wir aber mit Vorerwartungen, Vorerfahrungen, Fantasien, verinnerlichten Mustern in die Kommunikation über ein mögliches Konfliktthema einsteigen, dann neigen wir dazu, Spiele zu spielen. Der ursprünglich ganz normale Vielleicht-Konflikt entartet zu einem tatsächlichen. Die transaktionsanalytische Landkarte der Spiele zeigt die Fühl-, Denk- und Handlungsweisen von Menschen in destruktiv inszenierten und ausgetragenen Konflikten. Und sie tut noch mehr: sie zeigt die unbewussten Hintergründe dafür, die in den Skripts der betroffenen Personen liegen. Wenn wir ein psychologisches Spiel spielen, dann tun wir das nur zu einem Teil mit der Person, die uns gegenübersitzt oder -steht. Häufig versuchen wir, offene Rechnungen mit Menschen aus unserer Vergangenheit zu klären. Im Unterschied zu anderen psychologischen Konfliktlösungmodellen bleibt die Spiele-Landkarte nicht auf der Ebene des Verhaltens und der Verhaltensänderung stehen, sondern analysiert die tiefenpsychologische Motivation dahinter. Sie hilft uns, mehrere Fragen zu stellen und zu beantworten.
1. Welche legitimen Bedürfnisse motivieren die beteiligten Personen zum Spiel?
2. Aus welchen Gründen gehen wir beide davon aus, dass diese Bedürfnisse nicht verstanden werden?
3. Welche Vorerfahrungen stehen dahinter?
4. Was brauchen wir, um unsere Bedürfnisse wahrzunehmen und entsprechend zu äußern?

In der geschilderten Sitzung beginnt Frau K. also wie geschildert mit ihrer Spieleinladung:
K: Also, eines muss ich Ihnen schon sagen. Sie haben in der ersten Sitzung gesagt, sie könnten mir helfen. Bisher ist aber keinerlei Verbesserung eingetreten.

Statt spontan zu antworten achte ich auf meine Impulse: ich erlebe mich angegriffen und fühle mich gekränkt und auch etwas beschämt. Ich möchte mich rechtfertigen. Das zeigt mir, dass sie einen Köder ausgeworfen und einen wunden Punkt bei mir berührt hat. Der hat mit meiner frühen Geschichte zu tun, nicht mit Frau K. – mit einer Geschichte des Helfenwollens, des Helfenmüssens und davon, in meinen Anstrengungen nicht wahrgenommen und gewürdigt zu werden. Die ersten Fragen in dem Prozess gehen also an mich selbst:
- Was habe ich im Moment für ein Bedürfnis?
Antwort: Ich möchte in meinem Bemühen, Frau K. zu unterstützen, wahrgenommen werden. Dafür ist sie nicht die richtige Adresse, sie kommt nicht zur Therapie, um mich zu verstehen, sondern um von mir verstanden zu werden. Zweite Frage:
- Wie kann dieses Bedürfnis erfüllt werden?
Antwort: Von mir selbst. Ich mache mir klar, dass Frau K. die Person ist, die sie ist, nicht meine Mutter, die erst gegen Ende ihres Lebens erzählte, dass sie erst jetzt verstehen würde, wie sehr ich damals überfordert war. Das Problem war, sagte sie, dass du so gescheit warst und wir nicht gesehen haben, wie klein du noch warst. Diese Erinnerung berührt mich und hilft mir. Sie macht mir bewusst, dass ich nicht mehr klein und nicht mehr überfordert bin. Ich weiß, dass ich ein kompetenter Therapeut bin, der nicht allen Menschen helfen kann und das auch nicht können muss. Wenn es mir mit Frau K. nicht gelingen sollte, wäre das sehr schade, aber nicht beschämend. Und jetzt kann ich zur dritten Frage kommen:
- Was ist Frau K.s legitimes Bedürfnis hinter ihrer Spieleinladung?
Im Zweifelsfall, wenn wir noch nicht mehr darüber wissen, ist es wohl bei den meisten Menschen das Bedürfnis, wahrgenommen und ernstgenommen zu werden. Also antworte ich so:

Th.: Frau K., verstehe ich Sie richtig, dass Sie keine Veränderung ihres Leids erleben und dass Sie gehofft haben, ich könnte Ihnen da schneller helfen?
K.: Genau.
Th.: Das heißt, ihr Leidensdruck ist sehr groß.
K.: Na was glauben Sie denn? Meine Beziehung steht auf der Kippe, und ich fühle mich elend. Will am liebsten in der Früh nicht aufstehen. Alles ist so sinnlos, und ich habe nach der ersten Sitzung so gehofft, jetzt wird alles besser.
Th.: Ich habe also Ihre Hoffnungen enttäuscht? Dass jetzt endlich alles besser wird?
K.: Na ja, irgendwie schon.
Th.: Von dieser Hoffnung haben Sie mir schon erzählt. Von den Geschichten, die Sie sich allabendlich erzählt haben und immer noch erzählen. Das hat mich sehr berührt. Und es berührt mich auch jetzt, dass Sie dieselbe Hoffnung auch in mich gesetzt haben und jetzt enttäuscht sind.
K. (beginnt zu weinen): Warum geht denn immer alles schief?
Th.: Was brauchen Sie denn von mir, damit unserer Therapie nicht schief geht? Oder positiv formuliert: dass wir Erfolg haben?
K.: Dass Sie mir Zeit geben. Dass Sie mir helfen, mir selbst Zeit zu geben.
Th.: Gerne, Frau K. Sie haben die Zeit, die Sie brauchen.

Damit haben wir das Spiel verlassen und haben einen gemeinsam Raum betreten, in dem wir miteinander jenseits der Erfahrungen früherer Beziehungen kommunizieren können: in den Beziehungsraum.

Natürlich lässt sich die Landkarte der Spiele auch für andere Landschaften als die der therapeutischen oder beratenden Beziehung anwenden – überall dort, wo Menschen Spiele spielen und Konflikte destruktiv austragen. Nicht nur dort, wo ich Mitspieler bin, sondern auch im professionellen Konfliktmanagement kann ich damit Menschen Zugänge zum gegenseitigen Verstehen ihrer gesunden und normalen Bedürfnisse und damit zu ihren Beziehungsräumen öffnen. Dazu ist nicht immer tiefenpsychologisch orientierte Arbeit mit der frühen Lebensgeschichte und dem Skript erforderlich. Wichtig ist das Verständnis dafür, dass hier zwar aktuelle Konflikte (destruktiv) ausgetragen werden, hinter denen sich aber frühere ungelöste Konflikte verstecken, ohne dass diese unbedingt analysiert werden müssen.

Wie ist es mit Frau K. und ihrer Therapie weitergegangen? Nun, ihre Skepsis gegenüber der Behandlung ist nicht verschwunden, aber sie ist mittlerweile ein gesundes Instrument des Hinterfragens geworden. Die Beziehung zwischen uns ist produktiv geworden. Gleichzeitig öffnet sie sich selbst neue Beziehungsräume in ihrem Leben. Hier ein Ausschnitt aus der bisher letzten Sitzung vergangene Woche:
K: Wenn ich Sie mit meinem regelmäßigen Hinterfragen langweile, sagen Sie es mir bitte.
Th: Ich langweile mich überhaupt nicht. Sie haben das Recht, alles, was hier geschieht, zu hinterfragen.
K: Das mit meiner Lebensgeschichte ist ganz schön mühsam, aber es erleichtert mich auch sehr. Nur: was ist mit Michael und seiner Lebensgeschichte? Er hat ja auch seine Macken.
Th: Wie jeder Mensch.
K (lacht): Genau. Aber mir geht es um die Frage: das macht ja alles Sinn für mich. Aber es braucht doch immer zwei – zum Streiten und auch zum Lösen von Konflikten.
Th: Natürlich braucht es das. Was ist ihre Frage in diesem Zusammenhang?
K: Kann ich Michael einmal mitbringen zur Therapie? Zu einer Paartherapie, meine ich? Damit er mich besser verstehen kann, und damit ich ihn besser verstehen kann. Ich glaube, er ist doch kein so ein Idiot, wie ich immer gedacht habe.

Das Konzept der psychologischen Spiele kann bei der Klärung von Konflikten helfen, indem ich meine Bedürfnisse ebenso wie die der anderen Person verstehe und ernst nehme. Dann bin weder ich ein Idiot noch ist es der andere. Wir haben beide unsere Lebensgeschichten mit ihren Verletzungen und unseren Skriptbausteinen. Wir haben beide unsere legitimen Bedürfnisse und befürchten aus unserer Lebenserfahrung heraus, mit Ihnen nicht verstanden zu werden. Der Zugang des Songs vom Anfang dieses Vortrages ist ein obeflächlich beschreibender: ach, was für schlechte Spiele spielen doch die Menschen und verplempern damit ihre Zeit und ihre Beziehungen. Wenn wir so, mit erhobenem Zeigefinger, versuchen würden, Konflikte zu lösen, würden wir erst recht zu einem psychologischen Spiel einladen. Wir würden eine sehr grobe Landkarte nützen, die sozusagen von weit aus dem Weltall aufgenommen ist und die Landschaft, wie wir erkunden wollen, nur sehr ungenau und oberflächlich darstellt. Wenn wir unseren Zoom aber genauer und genauer einstellen, können wir verstehen lernen, warum wir Menschen „jede Nacht und jeden“ Tag Spiele spielen, und wir können Wege finden, stattdessen unsere Beziehungsräume produktiv und konstruktiv zu gestalten.

 

 

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