Leseprobe Die Kunst der starken Führung

Leseprobe aus Klaus Sejkora/Henning Schulze: Die Kunst der starken Führung. Persönliche Potentiale kraftvoll nutzen - die Ressourcen der Mitarbeiter stärken. Fischer&Gann Verlag, Munderfing 2016

1. Das Führungsschiff steuern. Eine kurze Einführung.
Führen in Organisationen bedeutet, dass definierte Ziele für die Organisation erreicht werden sollen, indem Menschen zu entsprechenden Haltungen und Handlungen motiviert werden. Dazu ist es notwendig, passende Rahmenbedingungen (zum Beispiel Arbeitsplätze, Arbeitsgeräte, Arbeits- und Urlaubszeiten, budgetäre Mittel usw.)  zu schaffen und zur Verfügung zu stellen. Dabei muss eine Führungskraft laufend fünf verschiedenen Dimensionen im Auge behalten getragen werden. Diese Dimensionen sind
o Die Führungskraft in ihrer Persönlichkeit und ihrer Selbststeuerung
o Die Menschen, die es zu führen gilt - also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
o Die Kommunikation im eigenen Arbeitsbereich, im ganzen Unternehmen (mit höheren Führungsebenen, Schnittstellen usw.) und außerhalb (Kunden, Lieferanten usw.)
o Der Führungsauftrag, der erfüllt werden muss (die Führung einer Organisationseinheit zu ihrem Zweck und ihren Zielen)
o Die Organisation, in der und für die der Auftrag erfüllt werden muss.
Wir bitten Sie nun, in der ersten Übung diese fünf Dimensionen für Ihre persönliche Führungssituation näher zu bestimmen. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, auch nicht um größtmögliche Vollständigkeit, sondern darum, dass Sie einen ersten Eindruck davon bekommen, wodurch diese Dimensionen in Ihrem Führungsalltag bestimmt sind.
Übung 1: Die fünf Dimensionen meines Führens
Die folgenden Fragen sollen Ihnen eine erste Standortbestimmung Ihres Führens erlauben. Sie müssen Sie nicht gleich und spontan beantworten, Sie können sich Ihre Führungssituation und Ihre Mitarbeiter auch ein paar Tage lang beobachten und Notizen in Ihr Tagebuch machen.
Persönlichkeit der Führungskraft
• Wo sehe ich in meiner Selbsteinschätzung meine größten Stärken beim Führen?
• Wo kann ich mich meiner Ansicht nach noch verbessern?
• Wenn ich meine Fähigkeit, mich selbst zu steuern und zu motivieren, auf einer Skala von eins (sehr schlecht) bis zehn (sehr gut) einschätze – wo stufe ich mich dann ein?
Meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
Gehen Sie alle die Personen durch, die Sie direkt führen, also die Ihnen berichtspflichtig sind. Beantworten Sie die folgenden Fragen für jeden Einzelnen von ihnen.
• Wo sehe ich seine/ihre größten Stärken?
• Wo kann sie/er sich meiner Ansicht nach noch verbessern?
• Wenn ich jede Person nach ihrer Fähigkeit, sich selbst zu steuern und zu motivieren, auf einer Skala von eins (kann sich selbst gar nicht motivieren und steuern, muss von mir motiviert und gesteuert werden) bis zehn (kann sich ganz eigenständig selbst steuern und motivieren) einschätze – wo stufe ich dann jeden Einzelnen ein?
• Wenn ich jede Person nach ihrer Klarheit über ihren Arbeitsauftrag auf einer Skala von eins (große Unklarheit über den Arbeitsauftrag) bis zehn (vollständige Klarheit über den Arbeitsauftrag) einschätze – wo stufe ich dann jeden Einzelnen ein?
Kommunikation
• Listen Sie bitte alle Personen auf, mit denen Sie im Rahmen Ihrer Führungstätigkeit regelmäßig zielgerichtet kommunizieren müssen.
• Notieren Sie dazu die Häufigkeit, in der diese Gespräche sinnvollerweise stattfinden sollten - und wie oft sie tatsächlich stattfinden (z.B.: Mitarbeiterin A: sinnvoll ca. 1x wöchentlich/tatsächlich alle 2-3 Wochen; mein Bereichsleiter: sinnvoll 14tägig/tatsächlich alle 2-3 Tage).
• Verwenden Sie wieder für jede Person die Skala von eins bis zehn: eins = die Kommunikation ist sehr problematisch und oft bis immer ergebnislos, zehn = die Kommunikation ist einfach, klar, strukturiert und zielorientiert.
• Verwenden Sie die Skala nochmals für die Beziehungsqualität auf der zwischenmenschlichen Ebene: 1 = sehr schlechte zwischenmenschliche Beziehung, wir kommen praktisch nicht in Kontakt miteinander; 10 = sehr gute zwischenmenschliche Beziehung, problemloser Kontakt. Bitte beachten Sie, dass „zwischenmenschlich“ nicht mit „freundschaftlich“ gleichzusetzen ist.
• Mit welchen der aufgelisteten Personen erleben Sie die Zusammenarbeit als belastet von schlecht bis nicht lösbaren Konflikten? Mit welchen als nicht belastet - Konflikte sind gut lösbar?
Mein Führungsauftrag 
• Definieren Sie möglichst genau den Arbeitsauftrag, den Sie für Ihr Unternehmen oder Ihre Organisation durch Ihre Führungsaufgabe. erfüllen sollen (z.B. „Ich bin als Teamleiter verantwortlich für ein Team von fünf Außendienstmitarbeitern. Meine Aufgabe besteht darin, die Tätigkeiten zu koordinieren, die Ergebniszahlen zu kontrollieren, meine Erfahrungen im Vertrieb zur Verfügung zu stellen, bei der Akquisition von Neukunden zu beraten und selbst zu akquirieren und so die vom Vorstand über den Abteilungsleiter vorgegebenen Umsatzzahlen zu erreichen. Gleichzeitig koordiniere ich meine Tätigkeit mit drei anderen Teamleitern und meinem Abteilungsleiter“).
Meine Organisation
• In welchem Bereich ist meine Organisation (mein Unternehmen) tätig?
• Wie groß ist die Organisation (Zahl der Mitarbeiter, Geschäftsbereiche, Filialen, Tochterfirmen etc.)
• Wie ist die Struktur der Organisation (Rechtsform, Organigramm)?
• Was sind ihre Ziele?
• Welchen Werten fühlt sich meine Organisation verpflichtet?
• Was ist die Funktion der von mir geleiteten Einheit im Rahmen der Gesamtorganisation?
• Wie ist ihr Stellenwert (Wichtigkeit) für die Abläufe der Gesamtorganisation und die Erreichung ihrer Ziele?
• Mit welchen Teilen der Organisation muss ich über meine Einheit hinaus kooperieren (Schnittstellen, höhere Hierarchieebenen)?
Vielleicht haben Sie bei der Beantwortung mancher dieser Fragen Unklarheiten. Was wäre nötig, um zu mehr Klarheit zu kommen? Die Organisation näher zu hinterfragen? Mit anderen Menschen zu reden? Sich selbst besser kennen zu lernen? Eine genauere Definition Ihres Führungsauftrages zu erarbeiten und einzuholen? Eine Möglichkeit wäre, über eine oder zwei Wochen lang eine Art Tagebuch zu führen und sich Notizen über ihre Beobachtungen zu den Fragen der Übung zu machen. 
Zurück zum Thema unseres Kapitels - dem „Steuern des Führungsschiffes“. Diese Metapher haben wir gewählt, weil sich Führen gut mit dem Navigieren eines Schiffes vergleichen lässt, wobei dieses „Schiff“ nicht unbedingt ein großer hochtechnologisch ausgerüsteter Tanker sein muss.  Es kann auch ein kleines Fährboot oder sogar ein Floß sein. Geführt wird nicht nur in großen Organisationen, sondern auch in Teams mit zwei oder drei Personen. Auch eine Grundschullehrerin führt ihre Klasse. Für alle diese Schiffe aber gilt: der Kapitän, der Fährmann, der Steuermann muss Untiefen, Strömungsgeschwindigkeit, meteorologische Bedingungen, die Geschwindigkeit des Schiffes, seine Wendigkeit und andere Faktoren im Auge behalten. Diese Parameter entsprechen den Dimensionen des Führens. Das Schiff wird mithilfe verschiedener beeinflussbarer Größen gesteuert: Tempo, Kurs und Wasserlage. Gleichzeitig braucht es unterschiedliche Seekarten, um sich auf dem Weg zu seinem Ziel zu orientieren - dazu etwas später.
Die vom Seefahrer beeinflussbaren Größen nennen wir - auf das Führen umgemünzt – Stellschrauben, die laufend justiert werden müssen. Diese sind:
o Die persönliche Autonomie, also Eigenständigkeit, und die der anderen Personen in der Organisation, die für die Erfüllung des Führungsauftrages von Bedeutung sind.
o Klarheit über die eigene Rolle (oder Rollen) und über die der anderen handelnden Personen.
o Klarheit über die Grenzen der Organisation, der eigenen Einheit, der Ziele, der handelnden Personen - und natürlich über die eigenen Grenzen.
o Motivation und Selbstmotivation
o   Resilienz: das bedeutet die eigene Fähigkeit und die der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, mit Belastungen, Stress und Krisen umzugehen.
Diese fünf Stellschrauben und ihr Justieren werden uns immer wieder begegnen – bei der Beschreibung der Situation der fünf exemplarischen Führungskräfte im zweiten Kapitel wie bei den konkreten 12 Führungsherausforderungen im fünften Kapitel Eine besondere Rolle unter diesen Stellschrauben kommt der Resilienz zu. Darauf werden wir im Kapitel vier speziell eingehen. Mithilfe eines Fragebogens, des von uns entwickelten DICTA Resilienz Inventory, können Sie Ihre persönliche Resilienz in 18 verschiedenen Items genau bestimmen und Schritte zu ihrer Entwicklung zu setzen.
Die oben erwähnten „Seekarten“ nennen wir in diesem Kontext Landkarten. Sie entstammen dem psychologischen Modell der Transaktionsanalyse . Diese Landkarten sind Orientierungshilfen, um sich selbst und andere Menschen sowie die Kommunikation und Interaktion zwischen ihnen besser verstehen und darauf Einfluss nehmen zu können. Sie werden im Verlauf des Buches - bei der Schilderung der Situation der fünf exemplarischen Führungskräfte und insbesondere bei den Führungsherausforderungen - jeweils kurz beschrieben.
Sie sehen, es sind verschiedene Achsen, um die sich der Inhalt dieses Buches dreht. Um Ihnen das Arbeiten und den Überblick zu erleichtern, finden Sie eine Auflistung aller dieser Aspekte auf der Innenseite der hinteren Buchklappe:
• 5 Dimensionen des Führens
• 5 Stellschrauben des Führens
• 18 Faktoren der Resilienz
• 11 Landkarten aus der Transaktionsanalyse
So ersparen Sie es sich, wieder und wieder nachzublättern.
Doch genug der Einführung. Lassen Sie uns mitten in den Führungsalltag eintauchen - den von Georg, Elke, Sabine, Heinz und Wolfgang.

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