5. MÄNNER SIND BEZIEHUNGSFÄHIG! VOM ENDE EINES MYTHOS

Vortrag für die Volkshochschule Linz
November 2014

Männer sind beziehungsfähig. Männer sind beziehungsfähig?!

Susanne, eine allein lebende Frau von Anfang dreißig, erzählt die folgende Geschichte: ein Mann hat über Facebook mit ihr Kontakt aufgenommen, weil ihm ihr Profil gefalle. Er möchte mit ihr ein längeres Telefonat führen, und bei diesem Gespräch teilt er ihr gleich kategorisch mit, eine Heirat und Kinder kämen für ihn überhaupt nicht in Frage. Susanne ist einigermaßen verwundert, ist aber einverstanden, sich persönlich zu treffen. Bei dieser Gelegenheit erklärt er ihr weiter, wie er sich das Leben mit einer Frau vorstelle: die Abende sind zu Hause zu verbringen, weil sein anstrengender Job diese Ruhe verlange. Mit einer Frau, die alleine fortgeht, kann er gar nichts anfangen. Und er könne nur am Land leben, die Stadt sei, wenn irgend möglich zu meiden. Als Susannne erzählt, sie sei gern und oft in Wien, ist er entsetzt: Wien gehe gar nicht, also Wien wirklich überhaupt nicht. Als sie nach diesem Treffen meint, es mache aus ihrer Sicht keinen Sinn, die Bekanntschaft weiter zu vertiefen, ist er ganz betroffen: er sei sich ganz sicher, dass sie die Richtige für ihn sei. Wie auch immer er zu dieser Auffassung kommt – er weiß schließlich praktisch nichts über sie, weil er das Gespräch so gut wie alleine bestritten hat. Und sie habe ihn ganz falsch verstanden, natürlich könne man über alles reden, er lerne gern dazu und sei bereit, sich so zu verändern, wie sie es gerne hätte.

Ein Einzelfall? Wohl kaum, solche Geschichten höre ich allenthalben. Männer, die Frauen erzählen, wie sie sich die Welt und eine Beziehung vorstellen, ohne mit diesen Frauen über die Frage „Was machst du beruflich?“ wesentlich hinauszukommen.

Männer sind beziehungsfähig. Männer sind beziehungsfähig?!

Noch ein Beispiel, diesmal weniger kabarettistisch.
Lisa wird vom Vater ihrer Kinder im Volksschulalter seit zwei Jahren durch einen qualvollen Rechtsstreit um die Obsorge gehetzt. Sie wird von Anwälten beschimpft, psychiatrisch begutachtet, weil ihr (aus dem Nichts heraus) eine psychische Störung vorgeworfen wird. Von jedem Besuchstermin kommen die Kinder verstört und hungrig zurück. Sie hat sich vor drei Jahren von dem Mann getrennt, weil er exzessiv Drogen missbraucht und sie und die Kinder seinem rigiden und lebensfeindlichen Stil unterworfen hat: gespart musste bis zur Knausrigkeit werden, die Kinder mussten um Punkt 19 Uhr im Bett sein und durften das Kinderzimmer auch nicht verlassen, um auf die Toilette zu gehen (was naheliegenderweise bei beiden zu laufendem nächtlichen Einnässen geführt hat). Lisa wurde von seiner paranoiden Eifersucht bedrängt: sie dürfe keine männlichen Freunde haben, das sei widernatürlich, sie ziehe sich an wie eine Nutte, wenn sie aus dem Haus gehe.
Die neueste Wendung in der Geschichte ist, dass Lisas jetzigem Mann, dem Stiefvater der Kinder, gerichtlich untersagt werden soll, väterliche Funktionen auszuüben.

Männer sind beziehungsfähig. Männer sind beziehungsfähig?!

Es gibt aber auch Gegenbeispiele, und die sind gar nicht so wenig.
Zum Beispiel den erwähnten Stiefvater, seit einem Jahr Lisas Ehemann. Er teilt sein Leben mit ihr und ihren Kindern, arbeitet hart, um der Patchworkfamilie eine entsprechend große Wohnung zu ermöglichen. Das Leben, vom Herrichten des Frühstücks bis zum Schlafengehen der Kinder, und die Führung des Haushalts sind partnerschaftlich aufgeteilt. Wenn Sie am Sonntag nachmittag dort vorbeikommen, kann es gut sein, dass Sie ihn gerade beim Bügeln antreffen. Den Kindern hat er schwimmen beigebracht, das hat ihr leiblicher Vater nicht zustande gebracht. Und statt der Baby-Bücher, die er ihnen immer noch vorlesen möchte, hören sie beim Stiefvater ‚Harry Potter’, alle sieben Bände. Wenn Lisa wieder einen Gerichts- oder Gutachtertermin hat, ist er nachher für sie da.

Dann gibt es Anton, der seit über 20 Jahren mit seiner Frau Gerda verheiratet ist. Sie hatte eine schreckliche Kindheit mit unfassbaren Gewalterfahrungen. Dementsprechend schwer tut sie sich in ihrer Beziehung. Manchmal geht es sehr gut, dann sind die beiden glücklich. Und dann bricht wie aus dem Nichts Gerdas Vergangenheit auf, sie wird abwechselnd jähzornig und eiskalt. Immer wieder ist Anton verzweifelt und überlegt, sich zu trennen, aber er hält zu ihr. „Sie ist einfach der Mensch, der sie ist, und ich liebe sie.“, sagt er. Um mit dieser schwierigen Situation besser umgehen zu können, ist er schon seit langer Zeit bei mir in Psychotherapie.

Männer sind beziehungsfähig. Ja, Männer sind beziehungsfähig.

Es gibt Männer, die Beziehungen zu ihren Frauen, ihren Kindern, ihren Freunden herstellen können und vor allem wollen. Und es gibt solche, die das nicht wollen (können?), aus vielen verschiedenen Hintergründen heraus.

Immer wieder werde ich von weiblichen Klientinnen gefragt, ob denn Männer überhaupt beziehungsfähig sein. Wenn Sie auf Google ‚Männer beziehungsunfähig’ eingeben, erhalten Sie auf der Stelle 17.000 Nennungen.

Das ist Unsinn. Männer sind nicht beziehungsunfähig. Sie sind – grundsätzlich - beziehungsfähig. Aber das heisst noch lange nicht, dass alle in guten Beziehungen leben oder so einfach leben könnten.

Ich kenne und kannte viele Kinder und Jugendliche, mich eingeschlossen, die Schwierigkeiten in und mit der Schule haben und hatten. Sie sind aufsässig, lern- und prüfungsblockiert, zurückgezogen, sie ‚stören’ den Unterricht, sie schwänzen die Schule. Sie gelten als ‚faul’, ‚unbegabt’, moderner: ‚sozial inkompetent’ .

Alles klar – diese Kinder sind offensichtlich ‚lernunfähig’. So, wie Männer ‚beziehungsunfähig’ sind. Merken Sie, wie absurd das ist? Es gibt natürlich keine lernunfähigen Menschen, unser Gehirn ist genetisch auf Lernen programmiert, von dem Augenblick an, in dem sich beim Embryo das Gehirn entwickelt. Wir müssen lernen, ob wir das wollen oder nicht.
Natürlich sind sie nicht lernunfähig, kein Mensch ist das. Diese Kinder wollen natürlich lernen, und sie würden es auch, wenn die Rahmenbedingungen in der Schule, zu Hause, in der Bildungspolitik passen würden. Ich war in der Volksschule ein sehr guter und lerneifriger Schüler, und später ein ebensolcher Student. Nur im Gymnasium – da war ich faul. Es war auch mehr  eine Kaserne als eine Schule, praktisch all unsere Lehrer waren körperlich und seelisch kriegsversehrt.

Lernunfähig? Faul?

Was ich mit dieser Analogie sagen will: so wenig, wie es ‚lernunfähig’ gibt, gibt es ‚beziehungsunfähig’. Der Mensch, jeder, ob weiblich oder männlich, hat ein genetisch vorgegebenes Bedürfnis nach Beziehung, nach Anerkennung und nach Liebe. Wir alle haben einen komplexen und komplizierten psychophysischen Apparat in uns, der für das Aufnehmen und Halten von Beziehung eingerichtet ist. Das haben wir uns in der Evolution erworben, weil wir sonst nicht überlebt hätten. Wir sind unter den Lebensformen dieses Planeten nicht die schnellste, nicht die stärkste, und unsere Augen, Ohren, Nasen sind nicht sehr entwickelt. Aber wir können uns mit unseresgleichen zusammentun zu Familien, Stämmen, Völkern, Nationen, Organisationen – und auch zu Paaren. Dabei machen und machten wir viel Unfug, aber wir brachten und bringen auch Großartiges hervor. Allerdings sind die Rahmenbedingungen, in denen Partnerbeziehungen stattfinden, sowohl die realen als auch die unserer Wunschvorstellungen, nicht gerade ideal dafür, Beziehungsfähigkeit zu entfalten. Und ebenso wenig ideal sind die Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens, in denen Männer – immer noch – aufwachsen und ihr Leben zubringen.

Ein Beispiel dafür, und es hat sich wirklich so zugetragen. Eine Volksschulklasse hat eine Lehrerin, die sich bald damit überfordert fühlt, dass es (ihren Worten nach) so ‚laut und unruhig’ sei. Die Schuldigen dafür sind bald ausgemacht: es sind ‚die Buben’. Sie (eigentlich nur ein paar von ihnen) raufen, sie spielen Fussball, sie sind laut, sie ärgern die Mädchen. Die Lehrerin reagiert streng: wenn es laut ist, dürfen die Kinder nicht hinaus ins Freie. Wenn bei Wandertagen nicht still in Zweierreihen gegangen wird, dürfen die ‚lauten’ Buben nicht mit auf die nächste Klassenaktivität. Und, Überraschung, die Unruhe wird nicht kleiner, sondern größer. Immer mehr Buben beteiligen sich daran, aus purer Solidarität. Die Konsequenz: ein Projekt wird in Gang gesetzt, das sich ‚soziales Lernen’ nennt. Die Buben werden für eine Stunde wöchentlich von den Mädchen getrennt und sollen bei einem Sozialpädagogen lernen, wie man ‚sozial’ ist.

Funktioniert hat das natürlich nicht. Aber warum nicht? Den Buben wird kollektiv erklärt, sie seien nicht sozial, sie hätten Bedarf an Nachhilfeunterricht, sie seien – beziehungsunfähig. Die braven Mädchen, ja, die sind beziehungsfähig, die brauchen das nicht.

Ich werde auf die Geschichte später zurückkommen. Lassen Sie mich zuvor ausholen, um Ihnen ein psychologisches Modell nahe zu bringen – das Modell der ‚Strokes’.

Alle Menschen haben ein Grundbedürfnis danach, wahrgenommen, anerkannt und gesehen zu werden. Aus diesem Bedürfnis heraus kommunizieren wir auf die verschiedenste Art miteinander, und diese Kommunikation ermöglicht uns, Beziehungen zu formen. Im kommunikativen Kontakt nehmen wir einander wahr, und dabei werden Energien freigesetzt. Diese Energie nennt man mit einem englischen Wort ‚Stroke’, und es ist nicht ins Deutsche übersetzbar, denn es bedeutet sowohl ‚Streicheln’ als auch ‚Schlagen’. Das benennt bereits den Kern des Stroke-Konzepts: wir können andere auf positive und auf negative Art wahrnehmen und uns von ihnen wahrgenommen fühlen. Jedes Lächeln, jeder Gruß, jedes Kopfschütteln, überhaupt jede Art von kommunikativer Aktion oder Reaktion, verbal oder nonverbal, ist ein Stroke.

Wir können einander Strokes so geben, dass sie mit einer bestimmten Leistung, einem bestimmten Verhalten zu tun haben und so, dass sie sich auf die ganze Person beziehen. Das eine nennen wir ‚bedingte’, also an eine Bedingung geknüpfte, Strokes, das andere bedingungslose.

Wir können also vier Arten von Strokes unterscheiden:
bedingungslos positive (Annahme): „Ich liebe dich so, wie du bist!“, „Schön, dich zu sehen!“
bedingt positive (Lob): „Toll, wie du das geschafft hast, ich bin stolz auf dich!“ „Mir gefällt das, was du da machst!“
bedingt negative (Kritik): „Ich finde es nicht gut, dass du deine Hausaufgaben nicht erledigt hast!“,  „Diesen Standpunkt finde ich kontraproduktiv!“
bedingungslos negative (Ablehnung): „Ich hasse dich!“, „Geh doch dorthin, wo der Pfeffer wächst!“

Wir alle brauchen Strokes. Natürlich brauchen wir positive, sowohl bedingte, die uns Rückmeldung über unser Handeln geben, als auch bedingungslose. Wir brauchen aber auch bedingt negative, die uns unsere Grenzen und unsere Fehler deutlich machen. Bedingungslos negative helfen uns nicht in unserer Entwicklung; leider tauschen wir sie oft genug untereinander aus. Sie tun weh, denn wir werden ja als ganze Person abgelehnt, deswegen fürchten wir sie am meisten und versuchen nach Kräften, sie zu vermeiden.

Strokes sind gewissermaßen der ‚Schmierstoff’ menschlicher Beziehung, über sie tauschen wir in der Kommunikation  nicht nur Inhalte aus, sondern Energie. Über diese Energie bilden wir unsere Auffassungen und Haltungen uns selbst, anderen Menschen und dem ganzen Leben gegenüber.

Gehen wir nochmals zu der Situation mit den Buben in der Volksschulklasse zurück. Sie fangen ihre Schullaufbahn an, indem sie einfach so sind, wie sie sind, sie kommunizieren auf die Art, die für sie in sozialen Situationen üblich ist, und zwar jeder individuell für sich. Man könnte das durchaus als einen bedingungslos positiven Stroke an die Lehrerin verstehen: ich vertraue dir, dass du mich sein lässt, wie ich bin. Das tut sie aber nicht; sie verteilt bedingt negative Strokes: seid anders! Seid ruhig! Seid brav! Die Reaktion der Buben darauf ist unterschiedlich: manche fügen sich und passen sich an, andere intensivieren ihr Lebhaftigkeit. Das kommt bei der Lehrerin vermutlich als Ablehnung, als bedingungslos negativer Stroke an: sie mögen mich nicht! So verteilt sie schlussendlich auch bedingungslos negative Strokes. Das beginnt bei der Verallgemeinerung ‚die Buben’ und führt schließlich zu der Idee vom ‚sozialen Lernen. Wie soll diese Maßnahme anders ankommen als als Ablehnung der ganzen Person? ‚Buben sind nicht sozial’ – ja, aber ich bin halt nun mal ein Bub. Das definiert mein Menschsein, ich bin ja kein geschlechtsloses Neutrum. Wir sind die Menschen, die wir sind, als männliche oder als weibliche Menschen.

Und so kann sich – zumindest in manchen dieser Buben, dieser heranwachsenden Männer – tief drinnen (vor allem, wenn diese Erfahrung auch durch ähnliche in der Familie verstärkt wird) die Überzeugung festsetzen: als der Mensch, der ich bin, als der männliche Mensch, werde ich abgelehnt.

Es gibt drei Grundregeln der Stroke-Versorgung:
1) Wenn ich schon keine bedingungslos positiven Strokes kriegen, dann muss ich mich wenigstens um bedingt positive bemühen. Im Klartext: wenn ich für mein Menschsein, so wie ich bin, nicht genügend kriege, dann über Leistung.
2) Negative Strokes sind besser als gar keine.
3) Bedingt negative Strokes sind besser als bedingungslos negative.

Das alles findet sich im Verhalten der meisten Buben in unserer Klasse wieder: bedingungslos positive Strokes gibt es für sie nicht. Sie organisieren sich bedingt positive: gute Noten bekommen sie sowieso von ihrer Lehrerin nicht, wenn sie ruhig und brav sind, fallen sie ihr auch nicht weiter auf. Also strengen sie sich an, gute Fussballer zu werden, das verschafft ihnen eine Menge Strokes, vor allem von ihren Vätern (was allerdings wieder mit Lärm am Pausenhof verbunden ist....).
Lieber als überhaupt nicht aufzufallen ist ihnen, negativ aufzufallen, dadurch bekommen sie immerhin eine Menge Beachtung. Sie fangen an, ihre negativen Verhaltensrückmeldungen zu sammeln und untereinander zu vergleichen.
Und sie lernen, Verhalten, das negativ bewertet wird, gezielt einzusetzen. Wenn die Lehrerein sagt: ‚Heute beim Turnen sind wir besonders leise’, dann sind sie unter Garantie besonders unruhig. Das sichert negativ bedingte Strokes, vermeidet aber bedingungslos negative.

Ein Ausnahmefall? Die geschilderte Lehrerin sicher. Aber ähnliche Rahmenbedingungen für männliches Aufwachsen sind nicht so selten: ‚wildes’ Verhalten wird negativ bewertet als ‚ungesund aggressiv’ (von der eigenen Mutter, von Mädchenmüttern, von Mädchen, von Kindergarten- und Schulpädagoginnen). Wir haben mittlerweile eine halbe Generation von jungen Männern, die nur mit weiblichen Bezugspersonen  aufgewachsen sind, angefangen von der alleinerziehenden Mutter. Leistung wird hoch bewertet (besonders von Vätern). Buben erhalten signifikant weniger Körperkontakt von ihren Eltern als Mädchen (insbesondere von ihren Vätern), je größer sie werden, umso weniger.

Und verfolgen nicht auch die Männer unserer zwei eingangs geschilderten Negativbeispiele ein ähnliches Stroke-Muster?

Der erste, der mit dem etwas merkwürdigen Dating-Verhalten, versucht zuerst, bedingungslos positive Strokes zu bekommen, indem er – sinngemäß – zum Ausdruck bringt: so und so bin ich, keine Diskussion, nimm mich und liebe mich, wie ich bin. Als er dafür eine deutlichen bedingt negativen Stroke bekommt, rudert er zurück und kündigt Leistung an: wenn ich schon keine bedingungslos positiven Strokes kriegen kann, dann wenigstens bedingt positive.
Der zweite, der mit dem scheußlichen Obsorge-Streit, hat es ähnlich eingefädelt wie Nummer eins, natürlich viel extremer: so bin ich, ich denke nicht daran, mich zu ändern, ich habe ein Recht darauf, geliebt zu werden, wie ich bin. Als Lisa sich von ihm trennte, hat er zuerst den gleichen Schwenk gemacht: ich kann mich ändern, ich tue alles, damit du mich nicht verlässt. Das hat nicht funktioniert. Eine Trennung ist natürlich ein Ende des Stroke-Austauschs. Abgesehen von Regelungen über die Besuchszeiten der Kinder wäre kein Kontakt zwischen den beiden mehr nötig und von Lisa auch nicht gewünscht. Damit ist der Expartner aber nicht einverstanden. Negative Strokes sind besser als gar keine, und die holt er sich jetzt intensiv. Er bekommt immer noch Beachtung von Lisa, er ist immer noch Teil ihres Lebens.

Ich habe vorhin den Ausdruck ‚Stroke-Muster’ verwendet. Damit ist gemeint, dass jeder Mensch ein für ihn typisches Muster entwickelt, nach dem er Strokes gibt, seine Versorgung mit Strokes betreibt und auch Strokes von anderen wahrnimmt oder ausfiltert. Strokes bestimmen ja unsere Glaubenssätze über uns, über andere, über das Leben. Wenn also beispielsweise jemand zutiefst davon überzeugt ist, dass er nicht geliebt wird, und zwar von niemandem, dann wird er sich dementsprechend verhalten. Wir können annehmen, dass Lisas Expartner so ein Mensch ist. Er verhält sich nicht wirklich liebenswert; alle Beweise von Lisa, die sich sehr lange um ihn und die Beziehung bemüht hat, hat er ausgefiltert oder umdefiniert. Jeder Wunsch von ihr, Freunde zu treffen, insbesondere männliche, hatte die Reaktion zur Folge ‚Du suchst ja sowieso ständig einen Anderen.’ Was immer sie für ihn und seine Bedürfnisse tat, es war nie genug.

Meiner Beobachtung über die Jahrzehnte hinweg, in denen ich mich mit Menschen befasse, hat mir gezeigt, dass es offenbar so etwas wie ‚typisch männliche’ Stroke-Muster gibt, die sich immer wieder in Beziehungen und in der Beziehungsanbahnung finden.

Erstens: viele, viele Männer definieren sich im Wesentlichen über Leistung, sei es über den Beruf, den Sport, den Besitz. Sie wollen sich ihre positiven Strokes überwiegend als bedingte organisieren. Das hat allerdings einen Haken: so viele Strokes ich auch für meine Leistung bekomme, sie gelten eben meiner Leistung und nicht mir als ganzem Menschen. Daher können es nie genug sein.

Zweitens: bedingungslos positive Strokes werden kaum wahrgenommen oder umgedeutet. Ein Beispiel: im Laufe der Paartherapie eines Paares in einer langjährigen schwierigen Beziehungskrise sagte die Frau zu Ihrem Mann auf die Frage, warum sie immer noch bei ihm bleibe ‚weil ich dich immer noch liebe.’ Seine Anwort war: ‚Na ja, das Haus und mein Geld sind schließlich auch keine schlechten Argumente.’

Drittens: bedingt negative Strokes, also solche, die sich aufs Verhalten beziehen, können viele Männer nur schwer ertragen – weil sie sie als bedingungslos negativ gemeint erleben. Noch ein Beispiel desselben Paares: Sie: ‚Bitte ruf doch wenigstens an, wenn es bei dir später wird, dann kann ich mich darauf einstellen.’ Er: ‚Wenn du das nicht verstehst, dass ich in meinem Job die Zeit nicht so einfach planen kann, dann verstehst du gar nichts von mir.’

Mit diesen drei Parametern – positive Strokes im Wesentlichen bedingt für Leistung, bedingungslos positive können nicht angenommen werden, bedingt negative werden als bedingungslos wahrgenommen – öffnet sich eine Dynamik, die ich die ‚Stroke-Falle’ nenne. Die Sehnsucht nach bedingungslos positiven Strokes bleibt aus zwei Gründen ungestillt, erstens, weil sie nicht angenommen werden können, und zweitens, weil bei all der Leistung zu wenig Zeit und Raum für Liebe bleibt. Dieses Defizit muss kompensiert werden – durch Leistung! Ich brauche positive Strokes, also her mit denen, die leicht zu kriegen sind: ich leiste noch mehr. Das nimmt mir erst recht den Raum für meine Beziehungen. Dafür gibt es bedingt negative Strokes (‚du bist so häufig weg, es bleibt keine Zeit für uns’), die wiederum als bedingungslose Ablehnung erlebt werden. Das erhöht mein Bedürfnis nach Liebe: also werde ich noch mehr leisten.

Natürlich ringen auch die beiden Männer, die ich am Anfang des Vortrags als positive Beispiele für Beziehungsfähgkeit dargestellt habe, mit ähnlichen verinnerlichten Stroke-Mustern und tappen immer wieder in die Stroke-Falle. Auch Lisas jetziger Mann (ich kenne die beiden aus einer Paartherapie) findet sich immer wieder in Situationen, in denen er die Sehnsucht hat ‚für all das, was ich für euch tue, könnte ich schon ein wenig mehr Liebe bekommen’. Auch er hat immer wieder den Impuls ‚da wird sie mich erst recht lieben, wenn ich das Frühstück so schön herrichte und danach auch noch die Bügelwäsche mache’. Und er kämpft dann mit der Enttäuschung darüber, dass das mittlerweile selbstverständlich geworden ist (was es ja in Wirklichkeit auch ist) – und der Angst, nicht wirklich als Mensch geliebt zu werden. Wenn Lisa in die Küche kommt und meint, er könne ja den Herd auch so oder anders benutzen, ist er in Gefahr, sich ungeliebt zu fühlen und beleidigt zu reagieren (um dann den Tisch doppelt liebevoll zu decken). Er ist kein Wunderkind, kein vom Himmel herabgestiegener Engel (für den Lisa ihn anfänglich gehalten hat), sondern auch ein Mann mit erlernten typisch männlichen Mustern. Aber er arbeitet daran, aus der Stroke-Falle herauszukommen: er nimmt sich Zeit für die Familie, er setzt sich mit seinen Mustern auseinander und verändert sie, er beschäftigt sich damit, warum es so gekommen ist,  dass er ist, wie er ist.

Ja, wie ist es denn gekommen, dass wir die Stroke-Muster haben, die wir haben, mit denen wir uns immer wieder das bestätigen, was wir ohnehin schon wissen? Es hat natürlich mit unserer Lebensgeschichte zu tun. So sehr jeder Mensch seine eigene unterschiedliche Geschichte hat und damit auch sein eigenes Muster entwickelt, Strokes zu geben, zu nehmen und zurückzuweisen, so sehr gibt es doch auch geschlechtsspezifische Gemeinsamkeiten.

Noch einmal kurz das, was ich als ‚typisch männliches’ Stroke-Muster bezeichnet habe: positive Strokes werden überwiegend über Leistung als positiv bedingte organisiert; bedingungslos positive Strokes – Liebe – werden ausgefiltert und umgedeutet; bedingt negative Strokes (Kritik) werden zu bedingungslos negativen umgedeutet. Daraus resultiert die Stroke-Falle: je mehr ich leiste, desto weniger bedingungslos positive Strokes bekomme ich – also muss ich noch mehr leisten (und bekomme noch weniger).

Stefan – Lisas Mann – hatte keine einfache Kindheit. Er ist das älteste von fünf Kindern, seine Mutter war permanent überlastet und wurde im Lauf der Jahre sehr depressiv. Depressive Menschen tun sich sehr schwer, Liebe zu geben und zu zeigen, aber sie brauchen und fordern sehr viel Zuwendung. Stefan musste sich schon sehr bald um seine jüngeren Geschwister kümmern und vor allem die Mutter trösten, aufmuntern und stützen. Sein Vater arbeitete sehr viel und forderte von seinem Sohn ähnlich hohe Leistungen. Stefan erlebte ihn als streng und abweisend, jähzornig und bisweilen gewalttätig.

Wir sehen deutlich die Grundzüge von Stefans Stroke-Muster: das, was wirklich zählt, ist Leistung, dafür gibt es Lob und Aufmerksamkeit (seine schönsten Momente seien, erzählt er, gewesen, wenn die Mutter gesagt hätte: ‚Wenn ich dich nicht hätte!’). Es gibt keine wirkliche bdingungslose Liebe, weder vom Vater, noch von der Mutter. Und Fehler werden schwer bestraft, manchmal auch mit Schlägen.

Vor genau 25 Jahren ist mein Buch ‚Männer unter Druck – Wege aus typisch männlichen Lebenskonflikten’ erschienen. Hat sich seither etwas verändert?

Ja und nein. Der Leistungsdruck ist mehr geworden statt weniger. Die männlichen Stroke-Muster und die Stroke-Falle haben sich nicht substantiell verändert – wohl aber die Art und Weise, wie Männer, wie Paare damit umgehen. Und auch im gesellschaftlichen Bewusstseins scheint sich etwas zu verändern. Vater zu sein, Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, ist ein höherer Wert geworden. Erste, zögerliche Väterkarenzregelungen tragen dem Rechnung. Immer mehr Menschen sind nicht damit einverstanden, 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche erreichbar sein zu müssen. Ein Indiz, das mir selbst in meiner Praxis merke: vor etwa 20 Jahren begann ich, in meiner Praxis nicht nur mit Einzelpersonen, sondern auch mit Paaren zu arbeiten. Nicht nur, dass das Interesse daran sehr viel mehr geworden ist – es sind auch viel mehr Männer, die mich deswegen kontaktieren. Waren damals von 9 von 10 Erstanrufern Anruferinnen, sind es heute eher in der Mehrzahl Männer, denen klar ist, dass ihre Beziehung ein hoher Wert für sie ist und dass es sich lohnt, daran zu arbeiten.

Beziehungsfähigkeit oder –unfähigkeit definiert sich nicht über die Einzelperson, sondern über die Beziehung. Auch wenn es manchmal so aussieht, als ob mit Männern, so überarbeitet und gefühlsarm, wie sie sich zeigen, ja wirklich keine Beziehung möglich sein kann. Nicht er und nicht sie ist schuld daran, wenn eine Beziehung schlecht läuft. Beide gestalten diese Beziehung, so, wie sie sie gestalten; wenn etwas ‚unfähig’ ist, dann ist es die Art und das Muster dieser Beziehung.

Deswegen habe ich einen Schwerpunkt meiner psychotherapeutischen Tätigkeit mittlerweile auf die Arbeit mit Paaren gelegt – eben weil ‚Beziehungsfähigkeit’ keine abstrakte Größe ist, sondern sich in konkreten Situationen konkret stellt. Davon wird auch mein neues Buch handeln, das im Herbst nächsten Jahres erscheinen wird.

Als Beispiel dafür möchte ich Ihnen zum Schluss dieses Vortrages noch einen Ausschnitt aus der Paartherapie von Lisa und Stefan erzählen. Die beiden sind nicht – wie die meisten Paare – gekommen, weil sie in einer tiefen Krise stecken, sondern weil sie mit der durch den Obsorgestreit belasteten Situation besser zurechtkommen wollen. Sie merken, dass sie beide, insebesondere, wenn die Nerven blank liegen, in alte Muster aus ihren früheren Beziehungen rutschen. In diesen Konflikten werden ihre jeweiligen Stroke-Muster und ihr gemeinsames, verflochtenes Paar-Stroke-Muster sichtbar. In diesen Streitereinen tauschen sie dann bedingungslos negative Strokes aus; Stefan kann Lisas bedingungslos positive Strokes – ihre Liebe nur schwer annehmen, Lisa kann mit bedingt positiven (Lob und Anerkennung) schwer umgehen, weil das für sie heißt, dass sie sich noch mehr anstrengen muss.

Die Art und Weise, wie wir Strokes annehmen, nicht annehmen und redefinieren, sind natürlich wiederum Strokes an die Adresse des/der Anderen. Wenn ich jemanden lobe und seine Freude darüber erlebe, ist das wiederum ein bedingt positiver Stroke für mich. Wenn dieses Lob (wie im Fall der beiden) von Lisa zurückgewiesen wird, empfindet Stefan das (entsprechend seinem Stroke-Muster) als bedingungslos negativ. Seine Zweifel an ihrer Liebe empfindet Lisa wiederum als bedingungslos negativ.  Dementsprechend reagieren beide dann ebenso: sie tauschen bedingungslos negative Strokes aus („Dann ist es eben sinnlos mit dir!“, „Ich bin vorher gut allein mit meinen Kindern zurecht gekommen, ich werde das auch weiterhin schaffen!“). Zwei individuelle Stroke-Fallen verknüpfen sich zu einer gemeinsamen.

Wenn wir Menschen dabei erleben, wie sie Strokes austauschen, dann erzählt uns das verschiedene Arten von Geschichten: die Geschichte davon, wie die beiden sich miteinander dorthin entwickelt haben, wo sie jetzt sind, und die Geschichte davon, wie sie es als Kinder gelernt haben, ihr Leben und ihre Beziehungen so zu gestalten,wie sie es jetzt tun. Die Stroke-Muster von Menschen erzählen uns Geschichten von Liebe und Nicht-Liebe, von Geliebtwerden und von Nicht-Geliebtwerden.

Stefan ist als ältestes von fünf Kindern auf einer Nebenerwerbs-Landwirtschaft aufgewachsen. Sein Vater war unter der Woche in der Stadt, um in der Fabrik zu arbeiten, während die Mutter – schwer überfordert – den Bauernhof führte. Stefan sagt, er habe seine Mutter „mehr als Maschine als als Menschen“ kennengelernt. Sie arbeitete ununterbrochen bis zur Erschöpfung, und Stefan – als ältester und einziger Sohn– sah sich bald als ‚Mann am Hof’, der die Mutter in der körperlichen Schwerstarbeit zu unterstützen hatte.

Stefan: Sie werden das vielleicht nicht glauben, aber eigentlich war das schön, zumindest manchmal. Es ist zwar weit über meine Kräfte hinausgegangen, aber wenn die Mutter und ich am Abend beisammen gesessen sind und besprochen haben, was am nächsten Tag geschehen muss, dann habe ich mich schon sehr erwachsen gefühlt. Und je älter und kräftiger ich geworden bin, umso weniger Fehler habe ich gemacht.
Th: Fehler?
St: Na ja, wenn ich nicht aus dem Bett gekommen bin, zum Beispiel, weil ich einfach todmüde war. Wenn dann vor der Schule keine Zeit mehr war, die Kühe zu melken. Das musste ja alles noch mit der Hand geschehen, damals.
Th: Und was ist dann passiert?
St: Zuerst einmal, dass die Mutter nicht mehr gesprochen hat. Ich meine, gar nichts mehr. Viel geredet hat sie ja nie, aber dann hat sie getan, als ob ich überhaupt nicht da wäre. Die Besprechungen am Abend haben dann nicht stattgefunden oder, noch ärger, mit der jüngeren Schwester und ich bin ins Bett geschickt worden. (Pause, er atmet tief)
Th: Aber da war noch Schlimmeres.
St: Ja. Am Freitag, wenn der Vater heimgekommen ist aus der Fabrik, dann hat sie es ihm erzählt. Heimlich. Ich hab’ mich früher immer so gefreut, wenn er heimgekommen ist, ich bin ihm entgegengelaufen, und er hat schon von weitem gerufen „Stefan!“ Und manchmal, wenn ein bisschen Zeit war am Wochenende, dann hat er zu mir gesagt: „Komm, setz dich her zu mir, Stefan.“ Einfach hersetzen. (Pause)
Th: Aber wenn Sie ‚Fehler’ gemacht haben?“
St: Ja. Dann hat sie es ihm erzählt. Aber das habe ich anfangs ja gar nicht gewusst. Er hat auch so getan, als ob nichts wäre. Aber irgendwann war dann dieses ‚Setz dich her zu mir.“ So wie immer. Und dann hat er mch auf einmal angeschaut und hat gesagt: „Ich hab da was für dich, Stefan.“ Und ich hab’ gehofft, er hat mir etwas aus der Stadt mitgebracht, das war früher manchmal so. Aber er hat dann den Gürtel aus der Hose gezogen.
Lisa (betroffen): Mein Gott, das hast du mir ja nie erzählt...
St (leise): Scheiterknieen, mit dem Gürtel auspeitschen, das volle Gewaltprogramm. Praktisch jedes Wochenende. Ich hab’ aufgehört, mich auf ihn zu freuen. Ich hab’ mich gefürchtet. Irgendein Fehler ist mir unter der Woche immer passiert.
L: Jetzt versteh’ ich, warum du nie Fehler machen darfst!
Th (zu L): Und warum es für ihn so unerträglich ist, wenn er sich im Streit wieder so erlebt, als ob alles an ihm falsch wäre. Denn für falsch sein, für Fehler, gibt es furchtbare Strafen. Dann wird das, was er einmal als Liebe erlebt hat, zu Gewalt und Ablehnung.

Hier wird deutlich, wie das Konzept der Strokes nicht nur hilft, gegenwärtige Muster des Paares zu verändern, sondern wie es auch der Schlüssel zu den Skripts der Partner ist. Dadurch wird verstehbar, was den Anderen unbewusst antreibt: frühe Beziehungs- (also Stroke-) Muster werden in die Gegenwart übertragen. An bestimmten Punkten ihrer Interaktion hat Stefan (in seinem Erleben) nicht mehr Lisa vor sich, sondern eine Kombination aus seiner Mutter und seinem Vater: Anerkennung (die für Liebe gehalten wird) gibt es nur für Leistung, wirklicher Liebe kann man nicht trauen. Kritik an Fehlern führt zu vollständiger Ablehnung (denn Gewalt wird natürlich als bedingungslos negativer Stroke erlebt). Indem Lisa das in der Paartherapie betroffen miterlebt, wird ihr klar, wie Stefan so geworden ist, wie er ist.

Und Stefan helfen diese Erkenntnisse, Verantwortung für sein gegenwärtiges Handeln, Denken und Fühlen zu übernehmen, indem er seine Vergangenheit von der Gegenwart trennt. Genauer gesagt: indem er lernt, Lisa als eine andere Person als seine Eltern zu sehen und zu erleben.

Parallel dazu und damit verflochten arbeite ich an Lisas Stroke-Muster und ihrer Lebensgeschichte (auf die ich hier aus Zeitgründen nicht näher eingehen möchte). So kann Beziehungsfähigkeit entstehen: die beiden Partner verändern ihre Stroke-Muster und dami ihr gemeinsames, indem sie erkennen, was wirklich Teil der Beziehung ist und was sie sozusagen als ‚Rucksack’ aus ihrem früheren Leben mitgebracht haben.

Männer sind beziehungsfähig. Männer sind beziehungsfähig, wenn sie sich mit sich selbst und den Menschen um sie herum auseinandersetzen. Männer sind beziehungsfähig, wenn sie auf ihre Frauen und auf ihre Kinder zugehen, ihnen zuhören und versuchen, sie zu verstehen. Männer sind beziehungsfähig, wenn sie sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht einfach aufs Auge drücken lassen, sondern wenn sie sie hinterfragen und wenn sie beginnen, sie zu verändern.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch zu der Volksschulklasse zurückkommen, von der ich Ihnen erzählt habe. Der – angebliche – ‚wildeste Bub’ dieser Klasse war der kleine Daniel, ein Bub, der aus einer schwierigen familiären Situation mit Eltern in einer Dauerkrise kommt. Bis er neun war, hat er in fünf verschiedenen Wohnungen gelebt, je nachdem, ob seine Eltern gerade zusammen oder getrennt waren oder ob seine Mutter mit einem neuen Mann zusammenzog. In den ersten zwei Schuljahren wurde er zum Anführer der ‚Bubenbande’, schon deswegen, weil er der beste Fussballer ist. Die Lehrerin, die Mädchen und vor allem die Mütter der anderen Buben wollten ihn aus der Klasse draußen haben. Dann kam am Anfang der dritten Klasse ein neues Mädchen dazu. Viktoria wächst mit zwei älteren Brüdern und deren Freunden auf und ist ein dementsprechend unbefangenes und ‚wildes’ Kind. Vom ersten Tag in der neuen Klasse freundete sich mit einem anderen Mädchen, der eher ruhigen, aber genauso lebendigen Miriam, an. Die beiden entwickelten in der Pause und im Hort hochkreative Spiele; damit zogen sie Daniels Interesse auf sich. Seither sind die drei ein Herz und eine Seele und haben eine Bande gegründet, die sie ‚Feuer – Wasser – Sturm’ (Feuer ist Daniel, Wasser Miriam und Sturm Viktoria) nennen. Daniel erzählt jetzt zu Hause, dass Mädchen ‚eh voll cool’ sind und ist begeistert von dem Einfallsreichtum seiner beiden Freundinnen. Die Mädchen wiederum sind von Daniels Abenteuerlust hingerissen und finden, dass man mit Buben ‚voll die tollen Spiele’ machen kann.

Ja, Menschen sind beziehungsfähig, männliche wie weibliche – wenn man sie lässt und wenn sie sich selbst lassen.

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