2023: Bezahlt wird nicht
„Alles wird teurer, das ist legal.“
Moral und Scham – Schamlosigkeit und Unmoral
„Zahlen der Nationalbank zeigen, dass der größte Teil der inländischen Preissteigerungen entstand, weil Betriebe ihre Profite ausgeweitet haben. Sie erhöhten Preise stärker, als die Kosten stiegen.“ (Der Standard, 23.6.2023)
Armut stürzt Menschen in Verzweiflung, in Wut und Zorn, in Angst und Panik, vor allem aber ist arm sein zutiefst beschämend. Es ist beschämend, Strom und Heizung nicht mehr bezahlen zu können, kein Geld mehr für Miete oder Kreditrückzahlungen zu haben, es ist beschämend, hungern zu müssen. Es ist beschämend, hilflos zusehen zu müssen, wie sich einige wenige an der Not vieler maßlos bereichern. Und es ist beschämend, die eigenen moralischen Werte zu verletzen und stehlen, lügen und betrügen zu müssen.
Vor diesem Hintergrund entfaltet der italienische Autor Dario Fo sein burleskes Stück „Bezahlt wird nicht.“ Die Frauen eines ganzen Stadtviertels weigern sich gemeinsam, die immer teurer werdenden Waren im Supermarkt zu bezahlen, nehmen sie einfach mit und laufen davon. Antonia, Margherita und ihre Männer Giovanni und Luigi bewegen sich das ganze Stück hindurch in einem rastlosen Balanceakt: auf der einen Seite steht der moralische Wunsch, „arm, aber ehrlich“ (Giovanni) bleiben zu können, auf der anderen die unmoralische Sehnsucht, es sich schamlos gut gehen lassen zu können.
Sind „schamlos“ und „unmoralisch“ wirklich die passende Adjektive für Menschen, die sich von gestohlenen Lebensmitteln ernähren müssen? Die aus Angst vor dem Arm des Gesetzes lügen müssen?
Und welche Eigenschaftswörter gibt es für Energiekonzerne, die Übergewinne in astronomischer Höhe abschöpfen? Für Handelskonzerne, die die Preise laufend erhöhen – weil der freie Markt und die entsprechenden Gesetze das ganz legal erlauben? Für Milliardäre, die sich gewaltige Steuerermäßigungen verschaffen können? Oder solche, die hunderte Millionen an Steuerstundungen nicht mehr zurückzahlen müssen? Die stattdessen Unternehmen in die Insolvenz schicken und hunderte Mitarbeiter*innen kündigen?
Wer entscheidet über Moral oder Unmoral, über Scham oder Schamlosigkeit?
Ihr, die auf unsrer Scham und eurer Lust besteht
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr's immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
(Bertolt Brecht, Die Dreigroschenoper)