4. VERTRAUEN IST GUT, KONTROLLE IST BESSER WARUM MÄNNER SICH NICHT TRAUEN ZU VERTRAUEN

Vortrag für die Volkshochschule Linz
Linz, Oktober 2002

Seite drucken Seite weiterleiten

"Bei Frauen glaubt Ihr wirklich,
daß Ihr Treue finden könnt?
Herrlich ist die Idee,
Ihr glaubt daran?
Die gerühmte Frauentreue,
sie gleicht dem Phönix aus Arabien.
Jeder sagt, er existiere, doch wo ist er?
Das weiß man nicht!"

So zeichnet in der Eingangsszene von Mozarts Oper "Cosi fan tutte" - derzeit am Linzer Landestheater zu sehen - der alternde Philosoph Don Alfonso sein Bild vom Beziehungsverhalten der Frauen. Er antwortet damit auf die schwärmerischen Schilderungen der jungen Offiziere Ferrando und Guglielmo, die ihre Liebsten, die Schwestern Fiordiligi und Dorabella, in den leuchtendsten Farben schildern:

"So treu wie auch schön
schuf der Himmel ja sie."

Alfonso beginnt - anscheinend wohlwollend - Misstrauen und Zweifel in die Herzen der jungen Männer zu säen:

"Wo habt Ihr den Beweis, dass die Geliebten
Euch immer lieben werden?
Was gibt Euch Sicherheit,
dass beständig und treu ihre Herzen?"

Er schlägt ihnen vor - um die Treue der Frauen auf die Probe zu stellen -  scheinbar abzureisen, in Verkleidung wiederzukehren und als Fremde um die beiden  zu werben - und zwar sozusagen über Kreuz, also um die Verlobte des jeweils Anderen.

Die Komödie (oder Tragödie?) nimmt ihren Verlauf. Fiordiligi und Dorabella sind entsetzt und traurig über den Abschied. Das Auftauchen zweier neuer Verehrer befremdet sie, und entrüstet weisen sie deren Werbung zurück. Ferrando und Guglielmo fühlen sich in ihrem Vertrauen bestätigt:

"Ein Hauch sel'ger Liebe
beruhigt mein Herze."

Aber Don Alfonso ist unerbittlich:

"Das wäre ja zu lächerlich!
Es  gibt so wenig standhafte Frauen auf der Erde –
und hier gäb' es gleich zwei...
Das ist nicht möglich."

Und so setzt er seine Intrige fort; über fingierte Selbstmordversuche gelingt es Ferrando und Guglielmo schließlich, die Verlobte des jeweils anderen zu  verführen. An diesem Punkt erfolgt die Demaskierung. Alle vier sind schockiert – mit einem feinen Unterschied: die Frauen über sich selbst und ihre Leichtfertigkeit, die Männer über die Treulosigkeit der Frauen.

Don Alfonso setzt zum großen Resümee an:

"s gilt bei Häßlichen, Schönen,
bei Jungen und Grauen,
wiederholt drum mit mir:
So machen's Frauen."

So machen’s Frauen – nichts anderes bedeutet der Titel der Oper – was für eine merkwürdige Verdrehung. Die Männer setzen alles daran, die beiden zu verführen, um dann schließlich selbstgerecht ihr Urteil zu fällen – getreu dem Ausspruch von Curt Goetz:

„Kann man Vertrauen zu einer Frau haben, die einen selber zum Mann nimmt?“

Dieses Motiv – das der ehrlosen Frau – findet sich in der gesamte Kulturgeschichte des Abendlandes, beginnend mit Schöpfungsgeschichten und Weltentstehungsmythen.

 

Denken wir an Eva: Adam gibt eine Rippe für ihre Erschaffung, und was tut sie? Sie erliegt der Versuchung der Schlange, verführt den unschuldigen Adam und ist schuld an der Vertreibung der Menschen aus  dem Paradies.

Auch die griechischen Göttersagen kennen eine aufschlussreiche Variante dieses Themas: am Anfang gab es Götter und Göttinnen; die Menschen, die Prometheus mit Zeus’ Hilfe geschaffen hatte, waren ausschließlich Männer, und sie waren ausschließlich gut. Das missfiel Zeus, der sie so zuwenig von den Göttern unterschieden sah. Er fabrizierte eine Anzahl von schlechten Eigenschaften, aber bevor er sie unter die Menschen – die Männer – bringen konnte, stahl Poseidon, der die Menschen liebte, diese schlechten Eigenschaften und versteckte sie in einer Dose. Zeus liebte es bekanntermaßen gar nicht, wenn man ihn zu überlisten versuchte. Er geriet in Wut, fand mit seiner Götterallmacht natürlich die Dose und schuf eine neue Art von Mensch, der all diese schlechten Eigenschaften in sich vereinte: die Frau.

Aber ich will nicht ungerecht sein: es gibt natürlich auch positive Frauenfiguren in Mythen, Religionen, in der Literatur, und zwar absolut gute und reine. Sie sind sittsam, edel, keusch: Johanna von Orleans etwa, Othellos unschuldig gemordete Desdemona, Hamlets Ophelia, Pamina in der Zauberflöte. Und sie alle sind asexuell, meist unberührte Jungfrauen; ihre absolute Verkörperung ist die heilige Maria, die sogar  gebären kann, ohne ihre Jungfernschaft zu verlieren.

Mythen, Sagen, Legenden, religiöse Bilder, erfolgreiche Werke der Weltliteratur bringen in verdichteter Form kollektives herrschendes Denken zum Ausdruck  und prägen es gleichzeitig weiter.

Es scheint so zu sein, dass in der christlich-abendländischen Kultur und in ihren griechisch-römischen und jüdischen Wurzeln ein zweigespaltenes Frauenbild geprägt und überliefert wird: einerseits ist die Frau unter dem Motto „Ach wie so trügerisch sind Weiberherzen“ die Quelle alles Verhängnisvollen und Bösen, Inbegriff aller menschlichen Schwäche, triebgesteuert und verführend.

Auf der anderen Seite wird sie zur hehren Lichtgestalt, rein, Inbegriff aller Sehnsüchte und doch gleichzeitig unerreichbar: „Das ewig Weibliche zieht uns hinan!“ formuliert Goethe pathetisch.

Pointiert formuliert: Männer würden Frauen nur vertrauen, wenn sie asexuell sind. Sind sie menschlich und aus Fleisch und Blut, wird die Sache verhängnisvoll.

Jedes Lebewesen jeder Gattung will auf dieser Welt zwei Dinge: überleben und sich fortpflanzen. Im Grunde verschmelzen diese beiden Wünsche zu einem: dadurch, dass ich mich fortpflanze, dass ich meine Gene weitergebe, verlängere ich mein eigenes Leben über meinen Tod hinaus.

Als sich der Homo sapiens in der afrikanischen Steppe so vermehrt hatte, dass nicht mehr genug Nahrung für alle zu finden war, begann er, sich in Rudeln auf die Wanderschaft zu machen. Für diesen gefahrvollen Vorgang musste gezähmtes Vieh zur Ernährung mitgeführt werden. Das Rudel, das am meisten Vieh hatte, das also am besten genährt war, war am erfolgreichsten dabei, wenn es darum ging, Weideland zu erobern. Diese Stelle stellt wir auf einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte dar: die Anhäufung von Besitz wird bedeutungsvoll - Besitz in Form von Vieh, Weideland, Werkzeug, Waffen. Damit werden Formen von Herrschaft etabliert: wer den meisten Besitz oder das meiste Know-how über das Erlangen, Vermehren und Halten von Besitz hat, wird zum Anführer, zum Stammeshäuptling, zum König. Je mehr die Menschheit Ackerbau und den Bau von Siedlungen beherrscht, umso mehr kommt dieser Prozess in Gang. Damit wird zugleich das Erbrecht, die Weitergabe von Gütern, Wissen und Herrschaft an Träger der eigenen Gene, bedeutungsvoll (im alten Ägypten beispielsweise so bedeutungsvoll, dass Inzest, Geschwisterheirat in Herrscherfamilien üblich war, um absolute genetische Reinheit zu gewährleisten). Im alten Testament finden sich diese Entwicklungsprozesse sehr anschaulich beschrieben.

Stellen wir uns also das prototypische Bild des männlichen homo sapiens vor, sagen wir, fünf- bis zehntausend Jahren vor: er hat gerade das Patriarchat, die Dominanz des Mannes, in seiner Gattung etabliert. Bevor der Mensch auf Wanderschaft ging, Waffen, Besitztümer und Kriege entwickelte, hatten die dominierende Rolle die gebärenden, Leben weitergebenden Frauen inne. Sie sind entmachtet worden, Gewalt, Besitz, Welteroberung sind zu den beherrschenden Faktoren geworden. Er ist  mächtig, unser Ur-Mann, er herrscht über andere Männer, er hat Zugang zu Nahrungsquellen, zu Land, zu Werkzeug und Waffen. Er hat sich mächtige männliche Gottheiten geschaffen, um seinen Herrschaftsanspruch ideologisch zu untermauern.

Und er will diesen Besitz weitergeben an seine männlichen Nachkommen, um damit die Herrschaft seines Geschlechts – in jeder Bedeutung des Wortes – weiterzugeben. Allerdings wird er das alleine nicht schaffen, er wird wohl oder übel eine Frau dazu brauchen. Da er im Besitze eines funktionierenden Geschlechtstriebes ist, ist ihm das grundsätzlich auch nicht unrecht. Aber da spielt ihm die Biologie einen Streich: wie kann er sich sicher sein, dass die Gene, die in den Kindern leben, die seine Frau oder seine Frauen zur Welt bringen, auch wirklich die seinen sind? Dass er nicht ein Kuckucksei großzieht?

 

Kann er dieser Frau oder diesen Frauen vertrauen? Was passiert, während er im Krieg ist, auf der Jagd, auf dem Feld, während er sich mit seinen Männern betrinkt? Wenn er mit anderen Frauen schläft? Ist nicht die Welt voller gehörnter Ehemänner? Hat er nicht selbst auch schon anderen Hörner aufgesetzt?

Vertrauen mag ja etwas Schönes sein – aber Kontrolle ist entschieden besser. Also bringt der Mann die Frau unter seine Kontrolle. Dafür gibt es viele Mittel: als erstes wird die Frau zum Ding und zum Besitztum erklärt, auf das er Eigentumsrecht hat (erinnern Sie sich an die 10 Gebote: Haus, Weib, Knecht, Magd, Vieh werden gleichermaßen als Besitz definiert). Dann gibt es Gewalt und Gewaltandrohung (es ist noch nicht so lange her, dass weiblicher Ehebruch in unseren Breite mit der Todesstrafe bedroht wurde).

Und es gibt Ideen und die aus ihnen abgeleitete Ideologie: Frauen sind grundsätzlich zwar ein Objekt der Sehnsucht bis hin zur romantischen Verklärung (denn, siehe oben, Geschlechtstrieb und Arterhaltungstrieb brauchen natürlich den andersgeschlechtlichen Menschen). Aber: Gefahr im Verzug! Wie schnell wandelt sich so ein ehrbares Mädchen (per intakter Jungfernschaft kontrollierbar ehrenhaft) zu einer untreuen Verführerin, die nur darauf wartet, ihren Herrn und Gebieter zu betrügen. Das liegt ihr in der Natur – cosi fan tutte, so machen’s Frauen. Wie berechtigt sind daher doch männliche Eifersucht und Kontrolle!

 

„Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden“ – dieser Ausspruch von Karl Marx findet hier seine Bestätigung. Über Jahrtausende wurden und werden diese Ideen von der Unzuverlässigkeit der Frau sozial und kulturell weitergegeben und werden daher (zumindest im tiefsten Inneren) von Männern geglaubt.

Als ich zum ersten Mal als junger Mann eine Freundin zu mir nach Hause brachte, nahm mich mein Vater auf die Seite und gab mir folgenden Ratschlag mit auf den Weg: „Weißt du, Frauen sind von Natur aus unselbständig, und es ist die Aufgabe des Mannes, sie zur Selbständigkeit zu erziehen.“ Meinen beiden Brüdern erzählte er übrigens bei ähnlicher Gelegenheit dasselbe.

Da liegt die komprimierte „Weisheit“ des Patriarchats drin: im Klartext heißt das natürlich „Pass auf, dass deine Frau nicht zu selbständig wird – sonst hast du das Nachsehen!“

 

So weit zum ersten Teil meiner Überlegungen; ich nenne das die ‚kulturelle Hypothese’: quasi im kollektiven Bewusstsein (und natürlich auch im Unbewussten) eines Mannes unserer Kultur ist über gesellschaftliche und individuelle Erziehung eine Hemmschranke eingezogen, die ihn davor bewahren soll, einer Frau sein Vertrauen zu schenken.

Die zweite Hypothese ist die tiefenpsychologische: kindliche Beziehungserfahrungen bestimmen unbewusst die Muster der Beziehungen in unserem Erwachsenenleben. Die frühen individuellen persönlichen Beziehungsmuster eines kleinen Buben beinhalten nahezu immer die Erfahrung, zugunsten eines Anderen verlassen und betrogen zu werden. Die erste Frau, die wir lieben und der wir vertrauen, ist in der Regel unsere Mutter. Wir werden geboren nach neun Monaten des absoluten Einsseins, der totalen Verschmelzung mit dieser Frau. Und ganz selbstverständlich erwarten wir, dass dieser paradiesische Zustand weitergeht, und meist bestätigen die ersten Wochen oder Monate diese Hoffnung: das Neugeborene steht im Zentrum des Denkens, Fühlens und Handelns der Mutter.

Aber früher oder später ändert sich das: sie wendet sich wieder anderen Personen zu, zum Beispiel ihrem Mann. Und der kleine Junge muss schmerzlich erleben, dass sie mit diesem anderen Mann eine Form von Nähe und seelischer und körperlicher Verschmelzung teilt, die ihm vorenthalten bleibt. Das ist das erste Mal in seinem Leben, dass er sich betrogen fühlt.

 

Wenn er auch noch Geschwister bekommt, wiederholt sich für ihn der Verrat. Aber selbst wenn er ein Einzelkind ist und seine Mutter Alleinerzieherin, wird er es in der Regel nicht schaffen, das alleinige Objekt ihres Interesses und ihrer Liebe zu sein.

All unsere frühen Erfahrungen, gute wie schlechte, verallgemeinern wir, um daraus Regeln für ein besseres Zurechtkommen in der Welt zu entwickeln. So lernen wir die Schwerkraft und andere Naturgesetze kennen und respektieren, aber auch die ‚Gesetze’, nach denen menschliche Beziehungen abzulaufen scheinen. Auch ihre Kenntnis soll uns helfen, uns besser zurechtzufinden und unnötige Verletzungen zu vermeiden. Der Schutz, den der von seiner Mutter betrogene Bub (so erlebt er sich), entwickelt, heißt: Vorsicht, wenn man eine Frau liebt! Besser kein Vertrauen!

Wenn Menschen einmal ein Vorurteil gefasst haben, lassen sie sich nicht so leicht wieder davon abbringen – im Gegenteil: man dreht und wendet die Realität, bis sie ins Schema passt. Unser heranwachsender Knabe und der junge Mann, der aus ihm wird, erlebt ziemlich normale Dinge: Mädchen und junge Frauen, in die er verliebt ist, bevorzugen einen anderen, Beziehungen mit anderen Frauen finden auch wieder ihr Ende, möglicherweise wird er auch wirklich betrogen. Er aber nimmt nicht wirklich wahr, dass das eben individuelle Erlebnisse mit spezifischen Frauen, sind – er verallgemeinert und schließt rück auf das ganze Geschlecht - eine beachtliche Leistung, denn immerhin gibt es weltweit etwa drei Milliarden Frauen. Aber für sie alle gilt: cosi fan tutte – so machen’s Frauen! An dieser Stelle scheinen dann individuelle und kollektive Erfahrung zusammenzupassen, und es ist gut vorstellbar, wie aus diesem Mann eines Tages ein Don Alfonso werden könnte, der alles tut, um jüngeren Männern die gleiche ‚Weisheit’ beizubringen.

 

Erlauben Sie mir, an dieser Stelle einen kleinen Exkurs in die Persönlichkeitspsychologie zu unternehmen und Ihnen ein Modell zur Beschreibung menschlicher Persönlichkeit vorzustellen – das der Ich-Zustände, das aus der Transaktionsanalyse stammt.

Unser Ich, das wir ja immer als eine Einheit und als im Grunde immer dasselbe begreifen, kann in Wirklichkeit verschiedene Formen, verschiedene Zustände annehmen. Wir erleben uns immer als denselben Menschen und können doch ganz unterschiedlich sein, oft von einem Moment auf den anderen. Gerade noch fühlen wir uns ganz eins mit uns selbst, das Leben ist gut, so wie es ist, den Aufgaben, die sich uns stellen, fühlen wir uns gewachsen. Doch mit einem Mal, von einem Moment zum anderen, es genügt vielleicht, durch eine dunkle Gasse zum geparkten Auto zu gehen, fühlen wir uns ängstlich, verunsichert, würden am liebsten davonlaufen. Oder eine bestimmte Situation lässt uns plötzlich im Zorn Dinge sagen und tun, über die wir uns selbst wundern.

Man kann sagen, dass das Ich drei verschiedene Zustandsformen beinhaltet: einen erwachsenen, wo ich mich so verhalte, so denke, so fühle, wie es einem Menschen meines Alters, meines Geschlechts, meiner sozialen Herkunft und Zugehörigkeit, meinem Bildungsgrad entspricht. Das nennt man das Erwachsenen-Ich.

In einem anderen Teil meines Ichs aber sind kindliche Gefühle, kindliches Denken und kindliche Erfahrungen gespeichert; dieser Teil – das Kind-Ich – wird meist in unangenehmen Situationen aktiviert, in denen man sich dann wieder so ängstlich, so verlassen, so hilflos, so trotzig fühlt, wie man es als Kind getan hat.

Der dritte Ich-Zustand – das Eltern-Ich – ist der Ort, an dem das aufbewahrt ist, was meine Eltern und andere Autoritätspersonen mir mitgegeben haben; aber auch gesellschaftliche, soziale, kulturelle Regeln und Normen und ethische Werten finden sich hier.

 

Diese Ich-Zustände kommunizieren ständig miteinander, ohne dass uns das in der Regel bewusst würde. Zu einer beliebigen Problemstellung untersucht quasi das Erwachsenen-Ich die ihm zugänglichen Speicher nach Vorinformationen: es fragt das Eltern-Ich, ob es dort verwertbare Anweisungen der Eltern, entsprechende gesellschaftliche Normen oder soziale Regeln gibt, die auf diese Situation anwendbar sind. Und es holt sich beim Kind-Ich Auskunft darüber, ob so etwas oder so etwas Ähnliches schon früher im Leben aufgetreten ist. Je schwieriger das Problem ist und je massiver die entsprechenden Inhalte dazu im Eltern- und im Kind-Ich, umso schwieriger wird es für das Erwachsenen-Ich, sich wirklich erwachsen zu verhalten. „Wirklich erwachsen“, das heißt: lösungsorientiert, spezifisch, mit den Gefühlen, die zu der Situation passen, eigenständig und verantwortungsvoll.

 

Zurück  zur Situation des Mannes, der sich nicht traut zu vertrauen.

Ich habe zwei Faktoren beschrieben, die sich gewissermaßen zangenförmig um das erwachsene Bewusstsein legen. Das eine ist die soziokulturelle Ideologie, dass Frauen von ihrer Natur zum Verrat und zum Betrug bestimmt sind. Seit Jahrtausenden weitergegeben vom Vater auf den Sohn, in unzähligen literarischen, philosophischen, religiösen, sogar medizinischen Überlieferungen festgehalten, wird diese Haltung zum Inhalt des männlichen Eltern-Ichs. Von der anderen Seite her gibt es gravierende schmerzliche Erfahrungen des Verlassenwerdens, des Betruges und des Verrats, die im Kind-Ich gespeichert sind.

Ich habe versucht, dieses psychodynamische Geschehen bildlich zu verdeutlichen: ein erwachsener Mann liebt eine Frau und will sich erwachsen der Aufgabe stellen, mit ihr eine Beziehung aufzubauen und zu gestalten. Das Erwachsenen-Ich scannt die Speicherplatten des Bewusstseins und vor allem die des Unbewussten und wird dort mehr als fündig: das Eltern-Ich (eine Art innerer Don Alfonso) sagt mit schrecklich besorgtem Gesichtsausdruck: „Die Frauen sind alle gleich, gefährlich und betrügerisch, nimm dich vor ihnen in Acht!“ Das Kind-Ich ist ebenso massiv: „Nie wieder will ich von einer Frau so verletzt werden – ich darf ihnen nicht vertrauen!“

Es ist eine große Herausforderung, angesichts solch mächtiger Eltern- und Kind-Ich-Informationen noch voll und ganz erwachsen zu bleiben. Außer in Ausnahmefälle wird dieser innere Konflikt zwar nicht zum Verzicht auf die Beziehung führen, aber er wird für ein gewisses Grund-Misstrauen sorgen, das jederzeit hochschwappen und intensiv werden kann. Das unter Druck gesetzte Erwachsenen-Ich wird versuchen, Eltern- und Kind-Ich zu beruhigen: „Wisst ihr was, ich glaube euch schon, dass es gefährlich ist, eine Beziehung mit einer Frau einzugehen. Was haltet ihr von der Idee, sie – die Frau – genau zu kontrollieren, damit uns nichts passiert?“

 

Gute Idee, finden Eltern-Ich und Kind-Ich. Und zu dritt erfindet man dann einen ganzen Katalog von subtilen und auch offenen Kontrollmechanismen. Das hört sich dann an wie:

„Schatz, wie lange wirst du denn heute Abend fortbleiben?“

„Ich hab dich den ganzen Nachmittag am Handy zu erreichen versucht – hast du es nicht läuten gehört?“
„Sind da nur Frauen dabei am Betriebsausflug, oder Männer auch?“

„Musst du denn schon wieder fortgehen?“

„Meine Frau hat es doch nicht nötig, arbeiten zu gehen!“

„Flirte nicht so unverschämt mit dem Kerl herum, ich will nicht, dass meine Frau für ein Flittchen gehalten wird!“

Steigerungsstufen sind natürlich unbegrenzt möglich – vom Versuch, die Treue auf die Probe zu stellen (wie in Cosi fan tutte) über Nachspionieren bis hin zur offenen Gewalt und schlussendlich zum Eifersuchtsmord.

Wichtig ist, zu verstehen, wie stark die innerpsychischen Mechanismen sind, die hinter dem männlichen Kontrollwunsch beziehungsweise der Angst, zu vertrauen, stecken. Es geht dabei nicht um Böswilligkeit oder um primitiven testosterongesteuerten männlichen Chauvinismus, sondern einerseits um tiefe archaische Ängste und andererseits um die Erinnerung an nicht viel weniger tiefe persönliche Verletzungen.

Natürlich kann es nicht damit getan sein, das zu analysieren, zu begreifen und dann achselzuckend zu sagen: „Na ja, wenn das so ist, dann kann man halt nichts machen (oder vielleicht so zirka fünftausend Jahre warten).“ Mit Verstehen und dem kognitiven Wunsch, aus diesen Mechanismen auszusteigen, hat man einen ersten entscheidenden Schritt getan; die nächstfolgenden Schritte auf dem Weg zu Vertrauen und Beziehungsfähigkeit heißen Verarbeiten und Überwinden der destruktiven Botschaften, die in Eltern-Ich und Kind-Ich gespeichert sind. Dieser Prozess ist zwar lohnend und interessant, oft aber auch kompliziert und schmerzlich.

Als Beispiel dafür möchte ich Ihnen ein paar Ausschnitte aus der Psychotherapie erzählen, die ich mit Thomas, einem damals vierzigjährigen Mann, erlebte.

Thomas war einige Jahre zuvor schon für längere Zeit bei mir gewesen; damals hatte er sich von seiner Frau getrennt, was für ihn ein sehr schmerzhafter Prozess gewesen war, umso mehr, als er auch eine kleine Tochter mit ihr gemeinsam hatte. Er hatte diese Trennung bewältigt und war eine neue Beziehung mit einer Frau,  Bernadette, eingegangen, die er (ganz ohne Pathos, sondern sehr ernsthaft) als die „große Liebe seines Lebens“ bezeichnete.

Als er mich anrief, war er verzweifelt; seine Beziehung mit Bernadette sei in einer tiefen Krise und es sei nicht sicher, ob sie zusammenbleiben würden. Nach dem Telefonat war ich betroffen; die Beziehung zwischen den beiden hatte damals sehr positiv und hoffnungsvoll begonnen. Eine gute Zukunft und eine stabile langdauernde Beziehung waren mir durchaus realistisch erschienen.

Meine Fantasie vor unserem ersten Treffen war: hat er sich wieder in eine andere verliebt? Hat er eine wirklich nahe und vertrauensvolle Beziehung nicht ausgehalten, ist er geflüchtet?

 

Nun, es war – zumindest auf den ersten Blick - genau andersherum: er hatte entdeckt, dass Bernadette ein Verhältnis mit einem anderen Mann hatte, noch nicht lange zwar, aber sie überlegte ernsthaft, sich von Thomas zu trennen. Er war tief getroffen:

 

T: Ich geh einfach im Kreis. Ich bringe keinen Bissen runter, ich kann kaum mehr schlafen, ich denke an nichts anderes mehr – ständig sehe ich die Bilder vor mir, wie sie mit dem anderen zusammen ist. Ich fühle nichts anderes mehr, ich träume davon – ich weiß nicht, wie das alles weitergehen soll. Ich will sie nicht verlieren!

Th: Das kann ich verstehen – aber wenn ich Ihnen so zuhöre, dann gibt es im Moment eine noch größere Gefahr als die, Bernadette zu verlieren: nämlich sich selbst zu verlieren.

Thomas ist – in Ich-Zuständen gesprochen – im Moment nur mehr ein verletztes und verzweifeltes Kind, nahezu außerstande, erwachsene Schlussfolgerungen anzustellen und entsprechende Handlungen zu setzen. Er versucht intensiv, alles nur Erdenkliche zu tun, um seine Partnerin wieder zurückzugewinnen, er ist liebevoll, aufmerksam, verzeihend bis hin zur Unterwürfigkeit. Wie ein Kind eben, das panische Angst hat, seine Mutter zu verlieren und dann nicht mehr lebensfähig zu sein.

Ich rate ihm, sich ein Stück von Bernadette zu distanzieren, nicht aus Trotz (was wieder kindlich wäre), sondern einerseits, um wieder zu etwas mehr normaler Lebensfähigkeit zurückzufinden, und andererseits, um nicht immer wieder aufs Neue in der Nähe zu ihr seine Verletzung spüren zu müssen.

 

T: Aber da habe ich solche Angst, dass sie glaubt, ich bin jetzt sauer, und dann erst recht zu dem anderen geht, denn der ist ja nicht sauer auf sie!

Th: Und sind Sie nicht sauer auf sie?

T: Doch, was für eine Frage! Sie hat mich ja betrogen!

Th: Eben! Was immer ihre Gründe dafür waren: es geht jetzt nicht darum, Bernadette zu verstehen. Sie sind der Betrogene. Jetzt geht es darum, ein Mann zu sein, Thomas, ein erwachsener Mann – kein braver kleiner Bub.

Das knüpft an die Geschichte unserer früheren Therapie miteinander an, in der es immer wieder um das Thema ‚Mann-Sein’ ging. Thomas ist das einzige Kinder einer sehr ängstlichen und unsicheren Frau und eines klassisch autoritären Vaters, und beide ließen ihn auf ihre Art nur schwer erwachsen werden: der Vater, indem er ihm auf Schritt und Tritt vorschrieb, was er zu tun und zu lassen hatte, die Mutter, indem sie sich an ihn klammerte und ihn als Vertrauensperson und Partnerersatz benutzte. Wenn er sich dagegen wehrte und aggressiv wurde, reagierte sie tief verletzt, zog sich zurück und bestrafte ihn mit tagelangem Schweigen.

Thomas versteht meine Anspielung:

T: Ja, Sie haben recht: es ist die gleiche Angst wie damals. Ich muss brav sein, sonst mag sie mich nicht mehr! Und ich brauch sie doch so sehr...

Th: ‚Sie’ ist in diesem Fall wer?

T: Gemeint hab ich die Mutter, aber vorkommen tut es mir bei der Bernadette genauso... (er fängt an zu weinen)

Th: Und stimmt es bei der Bernadette?

T: Wissen Sie, diese Angst habe ich ja schon länger. Ich habe es ja kaum mehr ausgehalten, wenn sie abends fortgegangen ist, und auch im Büro hab ich sie alle paar Stunden angerufen. Sie hat immer gesagt, sie fühlt sich so kontrolliert. Und jetzt hat sie mir bewiesen, dass ich sie nicht kontrollieren kann...

Th: Stimmt diese Angst? Stimmt es, dass Sie ohne sie nicht leben können?

T: Nein, es stimmt natürlich nicht! Es wäre sehr traurig, sie zu verlieren, denn ich liebe sie wirklich. Da bin ich mir sehr sicher, sonst wäre ich nicht bereit, diese Verletzung auszuhalten. Aber ich könnte schon alleine leben... vorstellen mag ich’s mir allerdings nicht...

 

Damit ist ein erster Schritt getan (dank der therapeutischen Vorerfahrung mit Thomas ging er rasch): sein Erwachsenen-Ich steht vor der Frage „Wie löse ich diese Krise?“, und sein Kind-Ich meldet dazu: „Ich darf diese Frau nicht verlieren, ich kann ohne sie nicht leben!“ – und verwechselt dabei die Mutter mit der Partnerin. Indem Thomas sagt „Eine Lösungsmöglichkeit wäre, alleine zu leben, und ich könnte das, denn ich bin erwachsen“ verliert das Ganze die existenzielle Dramatik. Es wäre immer noch sehr bitter, sich trennen zu müssen, aber es wäre keine Frage des Überlebens. Mehr noch: Thomas hört auf, Opfer zu sein, abhängig davon, wie Bernadette sich entscheidet. Er kann auch Entscheidungen treffen, er kann unabhängig von ihren Überlegungen herausfinden, ob er ihr überhaupt wieder vertrauen will oder nicht.

Als Thomas nach einer Woche wiederkommt, wirkt er gefestigter als beim ersten Mal. Die Talsohle sei durchschritten, berichtet er.

T: Ich habe mich selber wieder gefunden. Ich bin wieder arbeitsfähig. Ich schaue jetzt genau, wie nahe ich Bernadette wirklich kommen will. Und wenn ich nicht neben ihr liegen will, dann geh ich ins Arbeitszimmer und schlafe dort. Wenn ich nicht mit ihr reden will, dann gehe ich meiner eigenen Wege.

Th: Großartig! Das freut mich wirklich!

T: Und das Erstaunlichste ist, dass sie irgendwie beeindruckt wirkt. Sie ist verunsichert, würde ich sagen, und geht respektvoller mit mir um.

Th: Sie respektiert Sie wieder als Mann.

T: Genau – denn ich glaube, es war in der letzten Zeit nicht einfach, mich als Mann zu sehen. Ich habe viel über mich nachgedacht, seit ich die Wahrheit erfahren habe. Ich merke erst jetzt, wie sehr ich mich zurückgezogen habe in meine eigene Welt aus Arbeit, Büchern und Computer. Immer mehr habe ich mir gedacht, ich brauche sie ja gar nicht, soll sie doch grantig und ärgerlich sein, weil ich es ihr schon wieder nicht recht gemacht habe. Und das Witzigste ist - wie sie mir gestanden hat, dass sie mich betrügt, war einer der ersten Gedanken: das tu ich schon lang, aber mit mir selbst. Ich hab mich öfter selbst befriedigt als mit ihr geschlafen, und wenn, dann war das eigentlich eher ein technisch perfekter Pornofilm, den wir da hingelegt haben. Was anderes hat uns aneinander gar nicht mehr interessiert.

Th: Ich möchte Ihnen gerne erzählen, was meine erste Fantasie war, als Sie mich vor zwei Wochen angerufen haben. Ich habe mir gedacht: hat er die Nähe nicht ausgehalten? Hat er sich wieder eine andere gesucht?

T: Eine andere zwar nicht, aber das mit der Nähe stimmt wirklich, glaube ich. Wenn ich mich zurückgezogen habe, und vor allem, wenn ich mich selbst befriedigt habe, habe ich mir immer wieder gedacht: geschieht dir recht! Kein Wunder, dass ich dir nicht vertrauen kann, so wie du bist!

Th: So wie du bist?

T: Bevormundend, besserwisserisch, kontrollierend!

Th: Ja, an diese Seite von Bernadette kann ich mich aus der Zeit unserer Therapie erinnern, das hat es auch damals schon gegeben.

T: Und das wird mir auch mit jedem Tag klarer: das lass ich mir sicher nicht mehr gefallen. Wenn es eine Fortsetzung – oder einen Neubeginn für uns geben soll, dann habe ich meine Bedingungen: die Außenbeziehung muss beendet sein. Ich höre auf, sie zu kontrollieren, und sie hört auf, mich zu bevormunden. Sie hat alle Freiheiten, die sie braucht – außer die Freiheit zum Seitensprung.

Th: Mehr kann man auf dieser Welt nicht haben, wenn man in einer Beziehung leben will.

 

In dieser Sitzung setzt sich der Prozess aus der ersten fort: er erkennt mehr und mehr seine erwachsenen Kapazitäten; ein Leben ohne Bernadette wäre für ihn vorstellbar.

 

Am Beginn der nächsten Woche erhalte ich ein SMS von ihm: „Ich bin ein Mann, und das ist gut so!“

Seine neugewonnene Selbstsicherheit wird auf eine harte Probe gestellt. Bernadette ist zwar bereit, mit ihm an ihrer Beziehung zu arbeiten, um zu entdecken, ob sie ihn noch liebt und sich mit ihm eine Zukunft vorstellen kann – aber um ihre Entscheidung realistisch treffen zu können, will sie den Kontakt mit dem anderen Mann nicht oder noch nicht beenden. Auch sie hat eine Therapie begonnen, um herauszufinden, was da passiert ist, was sie zu einem Schritt getrieben hat, den sie für sich nie für möglich gehalten hätte – einen Seitensprung.

Ich kann diese Position nachvollziehen, auch die Aussage Bernadettes „Wenn ich mir das jetzt nicht genau anschaue und diese Beziehung einfach abschneide, dann bin ich in zwei Jahren wieder an demselben Punkt – denn dass ich in der Beziehung so unglücklich geworden bin, hat auch mit mir zu tun“ imponiert mir in ihrer Klarheit. Sie vereinbart mit Thomas, ihm mitzuteilen, wann sie sich mit dem anderen Mann trifft, damit er nicht unentwegt Angst haben muss, sie könne mit ihm zusammensein. Dazu sagt Thomas in der Therapie:

T: Das hilft mir schon, obwohl es natürlich auch Wahnsinn ist, das zu wissen, wenn sie ihn sieht. Schläft sie gerade mit ihm oder was tut sie sonst? Wie nah ist sie ihm? Wird sie wieder zu mir zurückkommen? Und dann? Aber zugleich gelingt es mir, ihr zu vertrauen, dass sie mich zumindest nicht anlügt.“

An zwei Abenden trifft Bernadette in den nächsten Wochen den anderen mit Thomas’ Wissen, zwei Mal geht er durch die Hölle. Aber er achtet gut auf sich: er hat viel Kontakt mit Freunden, die ihn sehr unterstützen, er kommt regelmäßig zur Therapie und telefoniert häufig mit mir, er läuft regelmäßig, meditiert und stellt seine Ernährung um. Die Tatsache, dass er diese schwere Krise in seinem Leben so gut durchsteht, gibt ihm viel Selbstvertrauen.

T: Es klingt ja einigermaßen verrückt – meine Frau hat mich betrogen, es gibt diesen anderen, dieses Arschloch, immer noch in ihrem Leben, ich werde sie vielleicht an ihn verlieren, ich habe keine Ahnung, wie mein Leben weitergehen wird, ich habe seit zwei Monaten mit keiner Frau geschlafen, mehr noch: ich will zur Zeit gar nicht mit einer schlafen, auch nicht mit Bernadette. Und trotzdem habe ich mich in meinem Leben noch nie so als Mann gefühlt wie jetzt!

Th: Weil Sie sich selbst haben.

T: Und weil ich begriffen habe, dass mir das nichts und niemand nehmen kann, was auch immer in diesem verrückten Leben passiert. Wenn ich mir vorstelle, was mein Vater sagen würde, wenn er das alles wüsste...

Th: Was würde er sagen?

T: Du bist kein Mann, mein Sohn. Ein Mann lässt sich so etwas nicht gefallen.

Th: Und was tut ein Mann in so einer Situation, seiner Meinung nach?

T: Na was weiß ich, dreinschlagen oder die Pumpgun holen, oder zumindest ins Bordell gehen. Und auf jeden Fall diese Frau verstoßen. Er würde sagen: ich hätte dir das gleich prophezeien können, ich habe gewusst, dass man dieser Frau nicht vertrauen kann. Sie ist ein Flittchen.

Th: Und wenn ich ihn fragen würde, woher er denn das so genau gewusst hat?

T: Weil es so viele Flittchen und so wenig anständige Frauen auf dieser Welt gibt. Und weil ich immer gesehen habe, dass du die Zügel nicht fest genug in der Hand hast. Frauen brauchen eine starke Hand.

Jetzt sind wir mitten im Eltern-Ich: was Thomas da als Aussagen seines Vaters vermutet (und wahrscheinlich wird er nicht sehr weit neben der Realität damit liegen), ist die komprimierte Botschaft des Patriarchats: cosi fan tutte.

Th: Und, werden sie es ihm erzählen?

T: Den Teufel werde ich tun! Das geht ihn überhaupt nichts an! Das ist mein Leben, und mit welcher Frau ich was für eine Beziehung führe, ist ausschließlich meine Sache! Und überhaupt – diese Allgemeinweisheiten nützen nichts und niemandem. Es geht um meine konkrete Beziehung mit meiner konkreten Frau. Die hat mich betrogen, und ich werde versuchen, es ihr zu verzeihen. Ein Flittchen ist sie noch lange nicht, und dass es mit unserer Beziehung so weit gekommen ist, liegt an mir genauso.

 

Jetzt hat Thomas gewonnen: er hat wirklich sein Erwachsenen-Ich zur Verfügung. Der Eltern-Ich-Botschaft „Trau den Frauen nicht, sie sind alle gleich!“ setzt er entgegen: „Ich bilde mir meine eigene Meinung und entscheide selbst, wem ich vertraue und wem nicht!“

Wenn ich sage, er hat gewonnen, heißt das noch nicht, dass er Bernadette zurückgewonnen hat. Er hat sich selbst gewonnen – sein erwachsenes Mann-Sein, was immer er in seinem Leben damit macht.

Bernadette und Thomas haben die Kurve gekriegt, aber das ist an diesem Punkt gar nicht das Entscheidende (so sehr es mich auch nach wie vor für die beiden freut). Entscheidend ist, das Thomas zu sich selbst gefunden hat; denn um sich zu trauen, einer Frau zu vertrauen, muss ein Mann zu allererst sich selbst vertrauen: sich selbst vertrauen, dass er auch den Treuebruch und das Verlassenwerden gut überleben könnte. Es geht nicht um blindes kindliches Vertrauen, sondern um die Frage: liebe ich diese Frau so sehr, dass ich bereit bin, das Risiko zu tragen, ihr zu vertrauen?

 

Lassen Sie mich zum Schluss meiner Überlegungen noch einmal auf Mozarts ‚Cosi’ zurückkommen. Ich denke, man würde Lorenzo da Ponte, dem Librettisten der drei großen italienischen Mozart-Opern Unrecht tun, würde man ihm tatsächlich die simple patriarchalische Aussage ‚So machen’s Frauen’ als seine persönliche Haltung unterschieben. Zu sehr stehen dem die kräftigen, gesunden und selbstbewussten Frauenfiguren dieser drei Opern entgegen: in der ‚Hochzeit des Figaro’ die Susanna, die nicht daran denkt, dem Grafen Almaviva das Recht der ersten Nacht zuzugestehen; im ‚Don Giovanni’ die Magd Zerlina, die als Einzige den abgedroschenen Annäherungsversuchen des Titelhelden widersteht; und in der ‚Cosi’ schließlich das Dienstmädchen Despina, die sich über all die theatralischen und dann doch nicht eingehaltenen Treueschwüre lustig macht. Für mich ist die Botschaft eine ganz andere: Treue kann man nicht auf die Probe stellen und Vertrauen braucht keine Beweise. Vertrauen ist eine erwachsene Entscheidung auf der Basis von Liebe und der Bereitschaft, zu verzeihen.

Oder, wie es der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erich Fromm wunderschön formuliert: „Liebe heißt, dass wir uns dem anderen ganz ohne Garantie ausliefern.“

 

Seite drucken Seite weiterleiten
nach oben