Mein psychologisches Corona-Tagebuch: Persönliche Schutzmechanismenagebuch: Persönliche Schutzmechanismen 1: Verleugnen
„Ich kann das alles schon nicht mehr hören“ (12.04.2020)
Verleugnung kann im stärksten Fall bedeuten, etwas überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen, so wie ein Kind, das sich die Hand vors Gesicht hält und glaubt, dass es jetzt nicht gesehen werden kann. Häufiger tritt es in Form von Abstreiten und Verharmlosen von Umständen, Sichtweisen oder Informationen auf.
Herr Z. (männlich, 44, Skype): Ich meine, im Grunde ist das alles reine Hysterie. Jetzt sollen wir auch noch Gesichtsmasken tragen. Ich denke da überhaupt nicht daran, und wenn ich meine Freunde besuchen will, dann tue ich es. Das lasse ich mir nicht nehmen. Und wenn ich Strafe zahlen muss, dann zahle ich eben Strafe.
Therapeut: Herr Z., ich möchte Ihnen gerne ein Experiment vorschlagen.
Z: OK…
Therapeut: Ich werde jetzt verschiedene Standpunkte einnehmen und sie Ihnen gegenüber vertreten, so, als ob ich Sie dafür gewinnen möchte. Tatsächlich will ich das nicht, ich will Ihnen Ihre Sichtweise nicht nehmen. Mich interessiert nur, wie Sie darauf reagieren. Bereit?
Z: Ja, kann losgehen.
Therapeut: Standpunkt eins – und ich sage damit nicht, welcher Standpunkt mein persönlicher ist. Es sind nur mehrere mögliche. Also Standpunkt eins: Um Gottes Willen, wie können Sie denn so verantwortungslos sein? Sie gefährden Menschenleben! Wollen Sie unbedingt, dass das bei uns so explodiert wie in Italien? Oder noch schlimmer in den USA? – Was ist denn Ihre spontane Reaktion darauf?
Z: Soll ich ehrlich sein? Ich will Sie ja nicht beleidigen.
Therapeut: Es ist nur ein Rollenspiel, ich nehme das nicht persönlich.
Z: Also gut. Sie sind ja genauso von dieser allgemeinen Hysterie angesteckt, die uns das ganze Leben vermiesen soll. Wer sagt denn, dass das unbedingt so schlimm kommen muss? Und wer sagt, dass die Zahlen und die Berichte überhaupt stimmen?
Therapeut: Und was fühlen Sie, wenn Sie das sagen?
Z: Ich bin total genervt, ich kann das alles schon nicht mehr hören.
Therapeut: Denn wenn Sie es hören würden?
Z: Dann würde ich es womöglich auch noch glauben.
Therapeut: Und wenn Sie es glauben würden?
Z: Dann würde ich Angst kriegen, so wie alle anderen auch. Und das will ich nicht!
Therapeut: Dann würden Sie Angst kriegen, und das wollen Sie nicht. Kann ich gut verstehen. Wollen Sie Standpunkt zwei noch hören?
Z: Ja, schon.
Therapeut: Standpunkt zwei: ja, da ist was dran, was sie sagen. Vor Angst gestorben ist auch tot. Die Behandlung darf nicht schlimmer sein als die Krankheit. Wie ist Ihre Reaktion darauf?
Z: Wenn Sie mir das als ersten Standpunkt erzählt hätten, hätte ich gesagt: find‘ ich super, dass Sie als Psychologe das auch so sehen. Das wollte ich von Ihnen hören.
Therapeut: Und jetzt, wo Sie es als Zweites gehört haben?
Z: Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich nicht nur die Angst wegschieben will. Aber ich will mich auch nicht von ihr auffressen lassen!
Therapeut: Das finde ich einen sehr sinnvollen Standpunkt. Angst ist ein sehr wichtiges Gefühl, weil sie uns vorsichtig werden lässt, aber wenn wir uns davon überfluten lassen, wenn sie zur Panik wird, dann hören wir auf zu denken.