Psychosomatische Erkrankungen

„Psychosomatik“ ist die Bezeichnung für die Wechselwirkung von Körper und Seele. In der Psychotherapie und der klinischen Psychologie versteht man darunter körperliche Leiden und Erkrankungen, die auf psychische Einflüsse zurückzuführen sind – oder, anders gesagt, Erkrankungen seelischen Ursprungs, die zu körperlichen Symptomen oder Veränderungen führen.

Der Grund dafür ist in der Konstruktion des menschlichen Gehirns begründet: wir nehmen unsere Umwelt und die Art und Weise, wie sie sich mit uns in Beziehung setzt, mit einem vielfältigen Sensorium wahr, unter anderem mit den Instrumenten der Gefühlen: ein anderer Mensch wirkt auf uns z.B. beunruhigend und bedrohlich. Das fühlen wir – das heißt, ein komplizierter hormoneller Prozess aus Signalen unseres Körpers (z.B. Herzklopfen, Bauchschmerzen, Hitzegefühle...) und ihrer Verarbeitung und Umsetzung im Gehirn setzt ein. Dieser kaum bewusste Vorgang passiert ständig – deutlich wird er uns nur bei sehr intensiven emotionellen Prozessen und/ oder Konflikten. Er setzt Aktionen und Reaktionen im Verhalten, im Denken und im Fühlen in Gang, mit denen wir zu Lösungen kommen wollen.

Wenn wir die erwünschten Lösungen nicht finden können oder dürfen, wenn z.B. Gefühle unterdrückt werden müssen oder Konflikte zu unserem Nachteil entschieden werden, intensivieren sich die Körperreaktionen (Beispiel: Ärger drückt sich körperlich u.a. als erhöhte Magensäureproduktion aus; gesund verarbeiteter Ärger erlaubt dem Gehirn, die Säureproduktion wieder zu reduzieren. Ärger, der schwelt und nicht zum Ausdruck kommen darf, führt zu chronisch erhöhter Säureansammlung im Magen mit der Gefahr entsprechender Erkrankungen).

Psychosomatischen Erkrankungen liegen ungelöste innere und/ oder zwischenmenschliche Konflikte zugrunde; das körperliche Symptom tritt auf, da die Person subjektiv oder objektiv den Konflikt nicht lösen kann. Sehr oft ist er – der Konflikt – überhaupt nicht oder nur teilweise bewusst. Vereinfacht gesagt, drückt der Körper etwas aus, signalisiert etwas, was das Bewusstsein nicht oder nicht in vollem Umfang wahrnehmen kann.

Im Grunde kann jedes körperliche Leiden psychische Hintergründe haben beziehungsweise kann sich Psychosomatik auf die vielfältigsten Arten und Weisen manifestieren. Ein weitverbreiteter Irrtum besagt, psychosomatische Erkrankungen bedeute, dass keine feststellbare Organerkrankung vorliege, quasi im Sinn einer „eingebildeten Krankheit.“ Tatsächlich liegen in den meisten Fällen medizinisch diagnostizierbare Erkrankungen mit manifesten Symptomen vor, und ärztliche Behandlung ist ausnahmslos immer notwendig. Symptome von Atembeklemmungen und Herz-Kreislaufbeschwerden, bei denen kein organischer Hintergrund vorliegt, sind meist dem Problemkreis von Angst und Panik zuzuordnen.

Häufige körperliche Leiden und Erkrankungen, bei denen psychosomatische Psychotherapie sinnvoll ist:

  • Hauterkrankungen (z.B. Ekzeme, Neurodermitis)
  • Akute und chronische Erkrankungen des Verdauungstrakts (z.B. Gastritis, Geschwüre, Morbus Krohn, Colitis ulcerosa)
  • Allergien und Erkrankungen des Immunsystems
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck)
  • Asthma
  • Sexualität und Fortpflanzung (Erektionsschwäche, Anorgasmie, Ejaculatio praecox, Empfängnisprobleme)
  • Störungen der Sinneswahrnehmung (z.B. Tinnitus)
  • Tics (Tourette-Syndrom)
  • Chronische und wiederkehrende entzündliche Prozesse z.B. des Urogenitaltrakts, der Augen, der Atemwege usw.
  • Erkrankungen des Nervensystems (z.B. Multiple Sklerose)
  • Tumorerkrankungen

Psychosomatische Psychotherapie

Noch einmal: Psychotherapie bei psychosomatischen Erkrankungen ersetzt nicht die medizinische Behandlung, sie muss in enger Zusammenarbeit mit der ärztlicher Hilfe vorgehen.

Auch kann Psychotherapie in vielen Fällen das körperliche Leiden – insbesondere, wenn es sich um schweres und chronifiziertes handelt – nicht zum vollständigen Verschwinden bringen.

Zwei Ebenen müssen in der psychosomatischen Psychotherapie erfasst werden:

  • das Akzeptieren der Krankheit, der Umgang damit und der Kampf gegen sie
  • und das Entdecken und Lösen des zugrunde liegenden seelischen Konflikts

1) Der Umgang mit der Erkrankung und der Kampf gegen sie

Die Geschichte einer psychosomatischen Erkrankung ist fast immer auch die Geschichte eines Nicht-Akzeptierens, eines Leugnens oder eines Nicht-Wahrhaben-Wollens (da es ja psychodynamisch um das Nicht-Akzeptieren eines inneren oder äußeren Konfliktes geht, ist das Nicht-Akzeptieren der körperlichen Manifestation diese Konfliktes nur folgerichtig).

Fast immer geht es zu Beginn der Psychotherapie darum, das Leiden als solches zu erkennen und in seinen Konsequenzen (die das Leben manchmal drastisch einschränken, unter Umständen bis hin zum Tod gehen können) anzunehmen. Das ist ein Prozess, der aufgrund der hohen Emotionalität sehr behutsam geführt werden muss. Der Patient/ die Patientin muss auf dem schmalen Grat zwischen Depression und Resignation („hat ja doch alles keinen Sinn mehr, ich gebe mich auf“) auf der einen und übertriebenem Optimismus („ich werde sicher wieder ganz gesund“) auf der anderen Seite begleitet werden.

Auch auf der Verhaltensebene müssen viele Dinge geklärt und erarbeitet werden: Verlangt die Krankheit eine Umstellung des Lebens und der Lebensgewohnheiten? Wie können soziale Beziehungen, Partnerschaft, Familie unter dem Aspekt der Erkrankung gestaltet werden?

2) Der zugrunde liegende seelische Konflikt

Der Prozess des Annehmens der Erkrankung ist bereits ein erster Schritt in die Richtung des ursprünglichen, verdrängten Konflikts: das Erleben der Gefühle von Angst, Wut, Traurigkeit und Verzweiflung über die eigene Krankheit öffnet auch die Türe hin zu den Gefühlen, die bisher nicht bewusst werden durften und daher über den Körper ausgedrückt werden mussten. Wie meist in der Psychotherapie geht es auch hier um ein Erforschen der lebensgeschichtlichen Umstände des betreffenden Menschen, um ein Erfassen der Spuren hin zum dem heutigen Geschehen.

Das Ziel der Bewältigung ungelöster früherer Konflikte ist die Veränderung destruktiver Konfliktverarbeitungsmechanismen; so lange die alten Mechanismen weiter wirksam sind, findet das psychosomatische Krankheitsgeschehen weiteren Nährboden. Häufig ist dieser Prozess mit intensiven Veränderungen in der Gegenwart verbunden: das Lösen aus krankmachenden Lebenssituationen, das Verändern destruktiver Beziehungsmuster, das Umstellen gesundheitsgefährdender Lebensgewohnheiten.

Texte zum Thema:

Der Prozess der Skriptbildung in tiefenpsychologisch-transaktionsanalytischer Sicht (1993)

Das Wiederentdecken des verdrängten Inneren Kindes: Wege aus Depressionen, Ängsten, Stress, Psychosomatischem Leiden (1995)

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